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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Man hat aus diesem Grunde zuweilen, wie schon bei
der Lehre vom Erkennen bemerkt wurde, den Willen der¬
gestalt mit dem Erkennen für vereint gehalten, daß man
beide zu trennen nicht für statthaft erklären wollte. Hierauf
ist zu erwiedern, daß überhaupt dadurch, daß das Eine die
Bedingung des Andern ist, niemals erwiesen sein kann,
daß beide eins sein müßten, und daß hier, im Verhältniß
der Erkenntniß zum Willen, deutlich genug ein verschiedenes
Sein sich dadurch ergibt, daß beide in ihrer relativen
Höhe und Energie keinesweges durchaus einander als sich
gleichstehende bedingen; denn die Willenskraft kann bei der¬
selben Erkenntniß sehr sinken (ein Erkrankter, ein von Blut¬
verlust Erschöpfter wird nicht mehr dieselbe Willensmacht
haben wie vorher, obwohl er noch derselbe Erkennende ist),
und die Energie des willkürlichen Wollens kann bei ganz
gesunkener Erkenntniß (z. B. im Wahnsinn) eine sehr ge¬
waltige sein. Ist doch auch gezeigt worden, wie deßhalb
das jeder Seele eigene Verhältniß des Willens zur Er¬
kenntniß sehr bestimmt in dem jedesmaligen Verhalten der
Nervengebilde des Hirns, und selbst dadurch wieder, kranio¬
skopisch genommen, in dem der Schädelwirbel, sich aus¬
spricht, so daß Stärke des Willens durch stärkere Entwick¬
lung von Nachhirn und Rückenmark und von Hinterhaupt¬
wirbel gewöhnlich entschieden sich verräth.

Hiedurch muß übrigens nun auch klar geworden sein,
daß, eben so wie ohne entwickeltes Bewußtsein noch nicht
vom Willen die Rede ist, so auch der entwickelte Wille
nicht in das absolut unbewußte Reich der Seele hinüber¬
zuwirken vermag, oder vielmehr, daß er es nur mittelbar
und indirect zu erreichen im Stande ist, wie hierüber schon
in einem frühern Abschnitte von dem Einflusse des bewu߬
ten auf das unbewußte Seelenleben das Nähere angeführt
worden ist. Hiebei ist jedoch nicht zu vergessen, daß auch,
schon in dem Kreise des eigentlich bewußten Lebens, der
Wille sehr bestimmte Schranken findet. Wir können nicht

Man hat aus dieſem Grunde zuweilen, wie ſchon bei
der Lehre vom Erkennen bemerkt wurde, den Willen der¬
geſtalt mit dem Erkennen für vereint gehalten, daß man
beide zu trennen nicht für ſtatthaft erklären wollte. Hierauf
iſt zu erwiedern, daß überhaupt dadurch, daß das Eine die
Bedingung des Andern iſt, niemals erwieſen ſein kann,
daß beide eins ſein müßten, und daß hier, im Verhältniß
der Erkenntniß zum Willen, deutlich genug ein verſchiedenes
Sein ſich dadurch ergibt, daß beide in ihrer relativen
Höhe und Energie keinesweges durchaus einander als ſich
gleichſtehende bedingen; denn die Willenskraft kann bei der¬
ſelben Erkenntniß ſehr ſinken (ein Erkrankter, ein von Blut¬
verluſt Erſchöpfter wird nicht mehr dieſelbe Willensmacht
haben wie vorher, obwohl er noch derſelbe Erkennende iſt),
und die Energie des willkürlichen Wollens kann bei ganz
geſunkener Erkenntniß (z. B. im Wahnſinn) eine ſehr ge¬
waltige ſein. Iſt doch auch gezeigt worden, wie deßhalb
das jeder Seele eigene Verhältniß des Willens zur Er¬
kenntniß ſehr beſtimmt in dem jedesmaligen Verhalten der
Nervengebilde des Hirns, und ſelbſt dadurch wieder, kranio¬
ſkopiſch genommen, in dem der Schädelwirbel, ſich aus¬
ſpricht, ſo daß Stärke des Willens durch ſtärkere Entwick¬
lung von Nachhirn und Rückenmark und von Hinterhaupt¬
wirbel gewöhnlich entſchieden ſich verräth.

Hiedurch muß übrigens nun auch klar geworden ſein,
daß, eben ſo wie ohne entwickeltes Bewußtſein noch nicht
vom Willen die Rede iſt, ſo auch der entwickelte Wille
nicht in das abſolut unbewußte Reich der Seele hinüber¬
zuwirken vermag, oder vielmehr, daß er es nur mittelbar
und indirect zu erreichen im Stande iſt, wie hierüber ſchon
in einem frühern Abſchnitte von dem Einfluſſe des bewu߬
ten auf das unbewußte Seelenleben das Nähere angeführt
worden iſt. Hiebei iſt jedoch nicht zu vergeſſen, daß auch,
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[356/0372] Man hat aus dieſem Grunde zuweilen, wie ſchon bei der Lehre vom Erkennen bemerkt wurde, den Willen der¬ geſtalt mit dem Erkennen für vereint gehalten, daß man beide zu trennen nicht für ſtatthaft erklären wollte. Hierauf iſt zu erwiedern, daß überhaupt dadurch, daß das Eine die Bedingung des Andern iſt, niemals erwieſen ſein kann, daß beide eins ſein müßten, und daß hier, im Verhältniß der Erkenntniß zum Willen, deutlich genug ein verſchiedenes Sein ſich dadurch ergibt, daß beide in ihrer relativen Höhe und Energie keinesweges durchaus einander als ſich gleichſtehende bedingen; denn die Willenskraft kann bei der¬ ſelben Erkenntniß ſehr ſinken (ein Erkrankter, ein von Blut¬ verluſt Erſchöpfter wird nicht mehr dieſelbe Willensmacht haben wie vorher, obwohl er noch derſelbe Erkennende iſt), und die Energie des willkürlichen Wollens kann bei ganz geſunkener Erkenntniß (z. B. im Wahnſinn) eine ſehr ge¬ waltige ſein. Iſt doch auch gezeigt worden, wie deßhalb das jeder Seele eigene Verhältniß des Willens zur Er¬ kenntniß ſehr beſtimmt in dem jedesmaligen Verhalten der Nervengebilde des Hirns, und ſelbſt dadurch wieder, kranio¬ ſkopiſch genommen, in dem der Schädelwirbel, ſich aus¬ ſpricht, ſo daß Stärke des Willens durch ſtärkere Entwick¬ lung von Nachhirn und Rückenmark und von Hinterhaupt¬ wirbel gewöhnlich entſchieden ſich verräth. Hiedurch muß übrigens nun auch klar geworden ſein, daß, eben ſo wie ohne entwickeltes Bewußtſein noch nicht vom Willen die Rede iſt, ſo auch der entwickelte Wille nicht in das abſolut unbewußte Reich der Seele hinüber¬ zuwirken vermag, oder vielmehr, daß er es nur mittelbar und indirect zu erreichen im Stande iſt, wie hierüber ſchon in einem frühern Abſchnitte von dem Einfluſſe des bewu߬ ten auf das unbewußte Seelenleben das Nähere angeführt worden iſt. Hiebei iſt jedoch nicht zu vergeſſen, daß auch, ſchon in dem Kreiſe des eigentlich bewußten Lebens, der Wille ſehr beſtimmte Schranken findet. Wir können nicht

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/372>, abgerufen am 22.11.2024.