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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Willen unzertrennlich, denn nur so lange bin ich meiner
wahrhaft bewußt, als ich absichtlich, d. h. durch fort¬
währende Willensthätigkeit
denke, und eben deßhalb
wäre es durchaus irrig, die Lehre vom Wollen und von
dessen thatsächlicher Vollstreckung nur auf das Handeln nach
außen zu bezeichnen, während doch jeder selbstbewußte Ge¬
danke jedes frei und absichtlich angeregte Denken, immer und
allemal nur durch einen Akt des Willens zu Stande kommt.
Je mächtiger daher der Wille ist, je klarer er alles Vor¬
stellungsleben beherrscht, und je mehr er nach den höchsten
Ergebnissen der Erkenntniß das innere seelische Leben sich
anhaltend bewegen läßt, desto mehr nimmt an innerer Macht¬
vollkommenheit die Seele zu, und desto mehr steigert sich die
Energie der Idee. Eben so sinkt dieselbe nothwendig, bei gar
nicht oder schwach geübter Willensthätigkeit; das Bewußtlose
wird wieder übermächtig, und der Geist, je weniger er
denkt
, um so weniger existirt er. Aber es ist nicht
das Denken allein, worin der Wille sich offenbart und wo¬
durch das Wachsthum der Grundidee unsers Daseins geför¬
dert oder gehindert werden kann, der Geist beweist seine eigen¬
thümliche göttlich schöpferische Macht insbesondere durch die
Wirkungen und Umgestaltungen, die von ihm ausgehen
auf die Welt, in welcher er erscheint, er beweist sie durch
die That des Lebens -- nicht bloß durch die That
des Gedankens
. Wie sehr aber gerade durch die That
des Lebens der innerste Mensch, die Grundidee unsers
Daseins, zunehme, muß einem Jeden, der das Glück gehabt
hat irgend ein größeres tüchtiges Werk zu vollenden, sein
eigenes Bewußtsein sagen; es muß ihm sagen, daß in
seiner That er selbst ein Anderer geworden ist, und wie durch
die freie That des Weibes, wenn sie sich dem Manne unter¬
wirft, daß er sie erkenne, für immer etwas in ihrem eigenen
Dasein anders geworden ist, so wird eigentlich der Mann
erst wahrhaft zu dem, was wir Mann im vollen Sinne
des Wortes nennen, wenn eine freie That, die wahrhaft

Willen unzertrennlich, denn nur ſo lange bin ich meiner
wahrhaft bewußt, als ich abſichtlich, d. h. durch fort¬
währende Willensthätigkeit
denke, und eben deßhalb
wäre es durchaus irrig, die Lehre vom Wollen und von
deſſen thatſächlicher Vollſtreckung nur auf das Handeln nach
außen zu bezeichnen, während doch jeder ſelbſtbewußte Ge¬
danke jedes frei und abſichtlich angeregte Denken, immer und
allemal nur durch einen Akt des Willens zu Stande kommt.
Je mächtiger daher der Wille iſt, je klarer er alles Vor¬
ſtellungsleben beherrſcht, und je mehr er nach den höchſten
Ergebniſſen der Erkenntniß das innere ſeeliſche Leben ſich
anhaltend bewegen läßt, deſto mehr nimmt an innerer Macht¬
vollkommenheit die Seele zu, und deſto mehr ſteigert ſich die
Energie der Idee. Eben ſo ſinkt dieſelbe nothwendig, bei gar
nicht oder ſchwach geübter Willensthätigkeit; das Bewußtloſe
wird wieder übermächtig, und der Geiſt, je weniger er
denkt
, um ſo weniger exiſtirt er. Aber es iſt nicht
das Denken allein, worin der Wille ſich offenbart und wo¬
durch das Wachsthum der Grundidee unſers Daſeins geför¬
dert oder gehindert werden kann, der Geiſt beweiſt ſeine eigen¬
thümliche göttlich ſchöpferiſche Macht insbeſondere durch die
Wirkungen und Umgeſtaltungen, die von ihm ausgehen
auf die Welt, in welcher er erſcheint, er beweiſt ſie durch
die That des Lebens — nicht bloß durch die That
des Gedankens
. Wie ſehr aber gerade durch die That
des Lebens der innerſte Menſch, die Grundidee unſers
Daſeins, zunehme, muß einem Jeden, der das Glück gehabt
hat irgend ein größeres tüchtiges Werk zu vollenden, ſein
eigenes Bewußtſein ſagen; es muß ihm ſagen, daß in
ſeiner That er ſelbſt ein Anderer geworden iſt, und wie durch
die freie That des Weibes, wenn ſie ſich dem Manne unter¬
wirft, daß er ſie erkenne, für immer etwas in ihrem eigenen
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[370/0386] Willen unzertrennlich, denn nur ſo lange bin ich meiner wahrhaft bewußt, als ich abſichtlich, d. h. durch fort¬ währende Willensthätigkeit denke, und eben deßhalb wäre es durchaus irrig, die Lehre vom Wollen und von deſſen thatſächlicher Vollſtreckung nur auf das Handeln nach außen zu bezeichnen, während doch jeder ſelbſtbewußte Ge¬ danke jedes frei und abſichtlich angeregte Denken, immer und allemal nur durch einen Akt des Willens zu Stande kommt. Je mächtiger daher der Wille iſt, je klarer er alles Vor¬ ſtellungsleben beherrſcht, und je mehr er nach den höchſten Ergebniſſen der Erkenntniß das innere ſeeliſche Leben ſich anhaltend bewegen läßt, deſto mehr nimmt an innerer Macht¬ vollkommenheit die Seele zu, und deſto mehr ſteigert ſich die Energie der Idee. Eben ſo ſinkt dieſelbe nothwendig, bei gar nicht oder ſchwach geübter Willensthätigkeit; das Bewußtloſe wird wieder übermächtig, und der Geiſt, je weniger er denkt, um ſo weniger exiſtirt er. Aber es iſt nicht das Denken allein, worin der Wille ſich offenbart und wo¬ durch das Wachsthum der Grundidee unſers Daſeins geför¬ dert oder gehindert werden kann, der Geiſt beweiſt ſeine eigen¬ thümliche göttlich ſchöpferiſche Macht insbeſondere durch die Wirkungen und Umgeſtaltungen, die von ihm ausgehen auf die Welt, in welcher er erſcheint, er beweiſt ſie durch die That des Lebens — nicht bloß durch die That des Gedankens. Wie ſehr aber gerade durch die That des Lebens der innerſte Menſch, die Grundidee unſers Daſeins, zunehme, muß einem Jeden, der das Glück gehabt hat irgend ein größeres tüchtiges Werk zu vollenden, ſein eigenes Bewußtſein ſagen; es muß ihm ſagen, daß in ſeiner That er ſelbſt ein Anderer geworden iſt, und wie durch die freie That des Weibes, wenn ſie ſich dem Manne unter¬ wirft, daß er ſie erkenne, für immer etwas in ihrem eigenen Daſein anders geworden iſt, ſo wird eigentlich der Mann erſt wahrhaft zu dem, was wir Mann im vollen Sinne des Wortes nennen, wenn eine freie That, die wahrhaft

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/386>, abgerufen am 22.11.2024.