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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Gleichniß, und folglich unzulänglich, gedacht werden kann.
Wenn wir dagegen uns deutlich machen, daß wirklich das
allererste Keimbläschen des Organismus nur als ein ein¬
zelnes, als eine Monas, erscheint, daß dann schon wäh¬
rend seiner ersten Weiterbildung Tausende neuer solcher
Monaden aus dem Keimbläschen sich entwickeln, ja daß
der ganze Leib des allmählig anschießenden Embryo nur aus
wiederholten Bläschenformen -- Zellen -- besteht, aus
denen erst allmählig Hirn und Nerven, Muskeln und
Knochen, Sinnesorgane und Bildungs- und Ernährungs¬
organe nach einem höhern Plane der Totalität der Idee
sich zusammenreihen, während zugleich Millionen von rast¬
los entstehenden und vergehenden Monaden als Blutkörper¬
chen sich kreisend umhertreiben, ja daß auch von den bereits
zu größeren Gebilden angeschossenen Urbläschen oder Zellen
während jeder Erdumdrehung wieder viele Tausende auf¬
hören der Organisation anzugehören, sich ablösen und zer¬
stört werden, während andere Tausende immer wieder neu
sich gestalten und dem Bestehenden sich anschließen, und
daß nun doch in jeder dieser millionenfach dargebildeten
Zellen immer die ursprüngliche Lebensidee des Organismus
sich auf eigenthümliche Weise verwirklicht hat, so wird in
uns nun erst ein Begriff des Lebens erzeugt, den wir im
wahren Sinn einen würdigen nennen können, und der
uns den scheinbar einfachen und ruhig beharrenden leben¬
digen Leib als ein durchaus bewegtes Meer des steten
Vergehens und Werdens, ganz in gleichem Sinne etwa
wie ein System von Weltkörpern -- kurz, wie ich oben
sagte, wahrhaft als Mikrokosmus -- darstellt und beweiset.
In diesen Vorgängen also sehen wir das erste be¬
wußtlose Wirken jener göttlichen Idee
, welche als
Seele sich darleben soll, wie es hier unter gegebenen Be¬
dingungen an einer einfachen eistoffigen Flüssigkeit hervor¬
tritt, und zwar mit derselben Nothwendigkeit gestaltend
hervortritt, als an dem schwebenden Wassertropfen der

Gleichniß, und folglich unzulänglich, gedacht werden kann.
Wenn wir dagegen uns deutlich machen, daß wirklich das
allererſte Keimbläschen des Organismus nur als ein ein¬
zelnes, als eine Monas, erſcheint, daß dann ſchon wäh¬
rend ſeiner erſten Weiterbildung Tauſende neuer ſolcher
Monaden aus dem Keimbläschen ſich entwickeln, ja daß
der ganze Leib des allmählig anſchießenden Embryo nur aus
wiederholten Bläschenformen — Zellen — beſteht, aus
denen erſt allmählig Hirn und Nerven, Muskeln und
Knochen, Sinnesorgane und Bildungs- und Ernährungs¬
organe nach einem höhern Plane der Totalität der Idee
ſich zuſammenreihen, während zugleich Millionen von raſt¬
los entſtehenden und vergehenden Monaden als Blutkörper¬
chen ſich kreiſend umhertreiben, ja daß auch von den bereits
zu größeren Gebilden angeſchoſſenen Urbläschen oder Zellen
während jeder Erdumdrehung wieder viele Tauſende auf¬
hören der Organiſation anzugehören, ſich ablöſen und zer¬
ſtört werden, während andere Tauſende immer wieder neu
ſich geſtalten und dem Beſtehenden ſich anſchließen, und
daß nun doch in jeder dieſer millionenfach dargebildeten
Zellen immer die urſprüngliche Lebensidee des Organismus
ſich auf eigenthümliche Weiſe verwirklicht hat, ſo wird in
uns nun erſt ein Begriff des Lebens erzeugt, den wir im
wahren Sinn einen würdigen nennen können, und der
uns den ſcheinbar einfachen und ruhig beharrenden leben¬
digen Leib als ein durchaus bewegtes Meer des ſteten
Vergehens und Werdens, ganz in gleichem Sinne etwa
wie ein Syſtem von Weltkörpern — kurz, wie ich oben
ſagte, wahrhaft als Mikrokosmus — darſtellt und beweiſet.
In dieſen Vorgängen alſo ſehen wir das erſte be¬
wußtloſe Wirken jener göttlichen Idee
, welche als
Seele ſich darleben ſoll, wie es hier unter gegebenen Be¬
dingungen an einer einfachen eiſtoffigen Flüſſigkeit hervor¬
tritt, und zwar mit derſelben Nothwendigkeit geſtaltend
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[23/0039] Gleichniß, und folglich unzulänglich, gedacht werden kann. Wenn wir dagegen uns deutlich machen, daß wirklich das allererſte Keimbläschen des Organismus nur als ein ein¬ zelnes, als eine Monas, erſcheint, daß dann ſchon wäh¬ rend ſeiner erſten Weiterbildung Tauſende neuer ſolcher Monaden aus dem Keimbläschen ſich entwickeln, ja daß der ganze Leib des allmählig anſchießenden Embryo nur aus wiederholten Bläschenformen — Zellen — beſteht, aus denen erſt allmählig Hirn und Nerven, Muskeln und Knochen, Sinnesorgane und Bildungs- und Ernährungs¬ organe nach einem höhern Plane der Totalität der Idee ſich zuſammenreihen, während zugleich Millionen von raſt¬ los entſtehenden und vergehenden Monaden als Blutkörper¬ chen ſich kreiſend umhertreiben, ja daß auch von den bereits zu größeren Gebilden angeſchoſſenen Urbläschen oder Zellen während jeder Erdumdrehung wieder viele Tauſende auf¬ hören der Organiſation anzugehören, ſich ablöſen und zer¬ ſtört werden, während andere Tauſende immer wieder neu ſich geſtalten und dem Beſtehenden ſich anſchließen, und daß nun doch in jeder dieſer millionenfach dargebildeten Zellen immer die urſprüngliche Lebensidee des Organismus ſich auf eigenthümliche Weiſe verwirklicht hat, ſo wird in uns nun erſt ein Begriff des Lebens erzeugt, den wir im wahren Sinn einen würdigen nennen können, und der uns den ſcheinbar einfachen und ruhig beharrenden leben¬ digen Leib als ein durchaus bewegtes Meer des ſteten Vergehens und Werdens, ganz in gleichem Sinne etwa wie ein Syſtem von Weltkörpern — kurz, wie ich oben ſagte, wahrhaft als Mikrokosmus — darſtellt und beweiſet. In dieſen Vorgängen alſo ſehen wir das erſte be¬ wußtloſe Wirken jener göttlichen Idee, welche als Seele ſich darleben ſoll, wie es hier unter gegebenen Be¬ dingungen an einer einfachen eiſtoffigen Flüſſigkeit hervor¬ tritt, und zwar mit derſelben Nothwendigkeit geſtaltend hervortritt, als an dem ſchwebenden Waſſertropfen der

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/39>, abgerufen am 21.11.2024.