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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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höchst merkwürdige Eigenschaft hervor, welche sich eben so
auf die Zeit bezieht, wie jenes erste gestaltende Moment
auf den Raum sich bezog.

Diese Eigenschaft ist es nun, in welcher abermals
für die Entwicklung auch des höhern bewußten Seelen¬
lebens sehr wichtige Bedingungen sich ergeben. Wie näm¬
lich vorher sich zeigte, daß hinsichtlich der räumlichen Er¬
scheinung des Organismus stets eine unendliche Menge von
Einzelnheiten, der Bildung einer höheren, einer Gesammt¬
form untergeordnet sind, so ist es jener fortschreitenden erhal¬
tenden Wirkung, jenem zeitlichen Schaffen des unbewußten
Göttlichen im Organismus eigen und nothwendig, alle ein¬
zelnen Zeitmomente seiner Existenz einem Höhern, einer allge¬
meinen Zeit seines Daseins, unterzuordnen. Dieses Göttliche
nämlich, welches als solches nothwendig auch am Prädicat
der Ewigkeit Theil hat, offenbart sein Wesen stets, man
könnte sagen: in einem Bruchtheile dieser Ewigkeit, in einem
immerfort in Vergangenheit und Zukunft zerfallenden Zeit¬
theil, welchen wir gleichsam seine relative Ewigkeit,
d. i. seine Lebenszeit, nennen. Eben weil aber sonach
jede Vergangenheit und jede Zukunft des lebenden Orga¬
nismus integrirende Theile eines Ganzen, nämlich Bruch¬
theile einer relativen Ewigkeit sind, so müssen sie auch stets
in der allergenauesten Beziehung auf einander
sich verhalten, das Vorhergehende muß auf das Bestimm¬
teste auf das Folgende, und das Vorhandene eben so auf
das Vergangene deuten, und hierin liegt eben der höhere
Grund jener Beziehung der Zeiten, die wir später im
Bewußtsein als Erinnerung und Voraussicht bezeich¬
nen werden.

Indem daher alles Wachsen, alles Bilden, alles Zer¬
stören und alles sich Wiederbilden -- mit einem Worte --
alles dies unbewußte Werden immer die festesten und
allergenauesten Beziehungen des Vorhergehenden auf das
Nachkommende, und des Nachgekommenen auf das Vor¬

höchſt merkwürdige Eigenſchaft hervor, welche ſich eben ſo
auf die Zeit bezieht, wie jenes erſte geſtaltende Moment
auf den Raum ſich bezog.

Dieſe Eigenſchaft iſt es nun, in welcher abermals
für die Entwicklung auch des höhern bewußten Seelen¬
lebens ſehr wichtige Bedingungen ſich ergeben. Wie näm¬
lich vorher ſich zeigte, daß hinſichtlich der räumlichen Er¬
ſcheinung des Organismus ſtets eine unendliche Menge von
Einzelnheiten, der Bildung einer höheren, einer Geſammt¬
form untergeordnet ſind, ſo iſt es jener fortſchreitenden erhal¬
tenden Wirkung, jenem zeitlichen Schaffen des unbewußten
Göttlichen im Organismus eigen und nothwendig, alle ein¬
zelnen Zeitmomente ſeiner Exiſtenz einem Höhern, einer allge¬
meinen Zeit ſeines Daſeins, unterzuordnen. Dieſes Göttliche
nämlich, welches als ſolches nothwendig auch am Prädicat
der Ewigkeit Theil hat, offenbart ſein Weſen ſtets, man
könnte ſagen: in einem Bruchtheile dieſer Ewigkeit, in einem
immerfort in Vergangenheit und Zukunft zerfallenden Zeit¬
theil, welchen wir gleichſam ſeine relative Ewigkeit,
d. i. ſeine Lebenszeit, nennen. Eben weil aber ſonach
jede Vergangenheit und jede Zukunft des lebenden Orga¬
nismus integrirende Theile eines Ganzen, nämlich Bruch¬
theile einer relativen Ewigkeit ſind, ſo müſſen ſie auch ſtets
in der allergenaueſten Beziehung auf einander
ſich verhalten, das Vorhergehende muß auf das Beſtimm¬
teſte auf das Folgende, und das Vorhandene eben ſo auf
das Vergangene deuten, und hierin liegt eben der höhere
Grund jener Beziehung der Zeiten, die wir ſpäter im
Bewußtſein als Erinnerung und Vorauſſicht bezeich¬
nen werden.

Indem daher alles Wachſen, alles Bilden, alles Zer¬
ſtören und alles ſich Wiederbilden — mit einem Worte —
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[25/0041] höchſt merkwürdige Eigenſchaft hervor, welche ſich eben ſo auf die Zeit bezieht, wie jenes erſte geſtaltende Moment auf den Raum ſich bezog. Dieſe Eigenſchaft iſt es nun, in welcher abermals für die Entwicklung auch des höhern bewußten Seelen¬ lebens ſehr wichtige Bedingungen ſich ergeben. Wie näm¬ lich vorher ſich zeigte, daß hinſichtlich der räumlichen Er¬ ſcheinung des Organismus ſtets eine unendliche Menge von Einzelnheiten, der Bildung einer höheren, einer Geſammt¬ form untergeordnet ſind, ſo iſt es jener fortſchreitenden erhal¬ tenden Wirkung, jenem zeitlichen Schaffen des unbewußten Göttlichen im Organismus eigen und nothwendig, alle ein¬ zelnen Zeitmomente ſeiner Exiſtenz einem Höhern, einer allge¬ meinen Zeit ſeines Daſeins, unterzuordnen. Dieſes Göttliche nämlich, welches als ſolches nothwendig auch am Prädicat der Ewigkeit Theil hat, offenbart ſein Weſen ſtets, man könnte ſagen: in einem Bruchtheile dieſer Ewigkeit, in einem immerfort in Vergangenheit und Zukunft zerfallenden Zeit¬ theil, welchen wir gleichſam ſeine relative Ewigkeit, d. i. ſeine Lebenszeit, nennen. Eben weil aber ſonach jede Vergangenheit und jede Zukunft des lebenden Orga¬ nismus integrirende Theile eines Ganzen, nämlich Bruch¬ theile einer relativen Ewigkeit ſind, ſo müſſen ſie auch ſtets in der allergenaueſten Beziehung auf einander ſich verhalten, das Vorhergehende muß auf das Beſtimm¬ teſte auf das Folgende, und das Vorhandene eben ſo auf das Vergangene deuten, und hierin liegt eben der höhere Grund jener Beziehung der Zeiten, die wir ſpäter im Bewußtſein als Erinnerung und Vorauſſicht bezeich¬ nen werden. Indem daher alles Wachſen, alles Bilden, alles Zer¬ ſtören und alles ſich Wiederbilden — mit einem Worte — alles dies unbewußte Werden immer die feſteſten und allergenaueſten Beziehungen des Vorhergehenden auf das Nachkommende, und des Nachgekommenen auf das Vor¬

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/41>, abgerufen am 23.11.2024.