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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Regen und Thun wieder völlig unbewußt geworden war.
So nährt sich denn gleichsam auch der bewußte Geist, und
insbesondere während seiner frühern Entwicklung, gern und
ersprießlich an dem hohen unbewußten Walten der Natur
und wächst daran und daraus, wie unser Organismus
leiblich von der Aufnahme natürlicher Körper sich nährt
und wächst. Auf diese Weise ist es also großentheils, daß
der am Naturleben herangebildete Geist jene schöne Folge
und reine Natürlichkeit gewinnen kann, welche dann alle
seine Gedanken durchdringt, regelt und bewegt, welche einen
wunderbaren Zauber über ihn zu verbreiten im Stande ist,
und welche namentlich den Geist des griechischen Alterthums
durch so eigenthümliche hohe Schönheit auszeichnet. Von
hier aus leuchtet daher auch gar wohl ein, wie groß eigent¬
lich die Bedeutung des Naturstudiums sei, und warum zu
einer Zeit, wo der Mensch im Ganzen und Aeußerlichen
immer mehr aus dem reinen Verhältniß zur Natur heraus¬
gedrängt wird, und immer mehr den Einflüssen einer eigenen
künstlichen unersprießlichen Natur anheim zu fallen droht,
gerade auf dem Studium der Naturwissenschaft ein so mäch¬
tiger Trost, eine so große Hoffnung beruhen muß. Dies
Studium ist es nämlich, welches -- recht angefaßt --
allein ein hilfreiches Gegengewicht gegen jene Unnatürlichkeit,
welches eine bewußte Hinleitung zur Natur zu geben und
welches im wahren höhern Sinne eine Gymnastik des Geistes
zu werden vermag, und daher also seine hohe Bedeutung! --
Freilich kann aber auch dieses Studium völlig verleidet,
mißleitet und gerade zum Gegentheil seines Ziels gewendet
werden, nämlich dann, wenn es ganz zur Künstlichkeit ge¬
wendet wird, und wenn es das Auswendiglernen systema¬
tischer Namen und Kennzeichen und ähnlichen eigentlich nur
als Nebensache und als Nothbehelf für Unermeßlichkeit,
unentbehrlichen Kram, geradezu zur Hauptaufgabe alles
Strebens werden läßt!

Wo also das Naturstudium solche Irrwege vermeidet

Regen und Thun wieder völlig unbewußt geworden war.
So nährt ſich denn gleichſam auch der bewußte Geiſt, und
insbeſondere während ſeiner frühern Entwicklung, gern und
erſprießlich an dem hohen unbewußten Walten der Natur
und wächst daran und daraus, wie unſer Organismus
leiblich von der Aufnahme natürlicher Körper ſich nährt
und wächst. Auf dieſe Weiſe iſt es alſo großentheils, daß
der am Naturleben herangebildete Geiſt jene ſchöne Folge
und reine Natürlichkeit gewinnen kann, welche dann alle
ſeine Gedanken durchdringt, regelt und bewegt, welche einen
wunderbaren Zauber über ihn zu verbreiten im Stande iſt,
und welche namentlich den Geiſt des griechiſchen Alterthums
durch ſo eigenthümliche hohe Schönheit auszeichnet. Von
hier aus leuchtet daher auch gar wohl ein, wie groß eigent¬
lich die Bedeutung des Naturſtudiums ſei, und warum zu
einer Zeit, wo der Menſch im Ganzen und Aeußerlichen
immer mehr aus dem reinen Verhältniß zur Natur heraus¬
gedrängt wird, und immer mehr den Einflüſſen einer eigenen
künſtlichen unerſprießlichen Natur anheim zu fallen droht,
gerade auf dem Studium der Naturwiſſenſchaft ein ſo mäch¬
tiger Troſt, eine ſo große Hoffnung beruhen muß. Dies
Studium iſt es nämlich, welches — recht angefaßt —
allein ein hilfreiches Gegengewicht gegen jene Unnatürlichkeit,
welches eine bewußte Hinleitung zur Natur zu geben und
welches im wahren höhern Sinne eine Gymnaſtik des Geiſtes
zu werden vermag, und daher alſo ſeine hohe Bedeutung! —
Freilich kann aber auch dieſes Studium völlig verleidet,
mißleitet und gerade zum Gegentheil ſeines Ziels gewendet
werden, nämlich dann, wenn es ganz zur Künſtlichkeit ge¬
wendet wird, und wenn es das Auswendiglernen ſyſtema¬
tiſcher Namen und Kennzeichen und ähnlichen eigentlich nur
als Nebenſache und als Nothbehelf für Unermeßlichkeit,
unentbehrlichen Kram, geradezu zur Hauptaufgabe alles
Strebens werden läßt!

Wo alſo das Naturſtudium ſolche Irrwege vermeidet

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[398/0414] Regen und Thun wieder völlig unbewußt geworden war. So nährt ſich denn gleichſam auch der bewußte Geiſt, und insbeſondere während ſeiner frühern Entwicklung, gern und erſprießlich an dem hohen unbewußten Walten der Natur und wächst daran und daraus, wie unſer Organismus leiblich von der Aufnahme natürlicher Körper ſich nährt und wächst. Auf dieſe Weiſe iſt es alſo großentheils, daß der am Naturleben herangebildete Geiſt jene ſchöne Folge und reine Natürlichkeit gewinnen kann, welche dann alle ſeine Gedanken durchdringt, regelt und bewegt, welche einen wunderbaren Zauber über ihn zu verbreiten im Stande iſt, und welche namentlich den Geiſt des griechiſchen Alterthums durch ſo eigenthümliche hohe Schönheit auszeichnet. Von hier aus leuchtet daher auch gar wohl ein, wie groß eigent¬ lich die Bedeutung des Naturſtudiums ſei, und warum zu einer Zeit, wo der Menſch im Ganzen und Aeußerlichen immer mehr aus dem reinen Verhältniß zur Natur heraus¬ gedrängt wird, und immer mehr den Einflüſſen einer eigenen künſtlichen unerſprießlichen Natur anheim zu fallen droht, gerade auf dem Studium der Naturwiſſenſchaft ein ſo mäch¬ tiger Troſt, eine ſo große Hoffnung beruhen muß. Dies Studium iſt es nämlich, welches — recht angefaßt — allein ein hilfreiches Gegengewicht gegen jene Unnatürlichkeit, welches eine bewußte Hinleitung zur Natur zu geben und welches im wahren höhern Sinne eine Gymnaſtik des Geiſtes zu werden vermag, und daher alſo ſeine hohe Bedeutung! — Freilich kann aber auch dieſes Studium völlig verleidet, mißleitet und gerade zum Gegentheil ſeines Ziels gewendet werden, nämlich dann, wenn es ganz zur Künſtlichkeit ge¬ wendet wird, und wenn es das Auswendiglernen ſyſtema¬ tiſcher Namen und Kennzeichen und ähnlichen eigentlich nur als Nebenſache und als Nothbehelf für Unermeßlichkeit, unentbehrlichen Kram, geradezu zur Hauptaufgabe alles Strebens werden läßt! Wo alſo das Naturſtudium ſolche Irrwege vermeidet

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/414>, abgerufen am 22.11.2024.