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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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der Frage: "warum müssen diese Unvollkommenheiten, diese
qualvollen Unzulänglichkeiten sein? warum kann nicht das
Leben selbst die Hoffnungen und Wünsche erfüllen, zu wel¬
chen es durch die unwillkürlich sich erschließende bedürfende
Erwartung sich fast für berechtigt erklären möchte? wa¬
rum sollen die höchsten Güter dem Menschen nur gezeigt,
und nie bleibend von ihm erlangt werden?" -- Aber ge¬
rade von aller Noth dieser Fragen auf welche eine den
Verstand ganz zufriedenstellende Antwort nun einmal durch¬
aus fehlt, wie von alle dem Schmerz über die Noth des
Lebens selbst, gibt es nur eben jene "Erlösung"
durch das Erwachen und Festhalten der unbedingten Liebe
zu jenem göttlichen höchsten Mysterium, in und aus wel¬
chem wir selbst eben mit jenem höhern Bedürfniß hervor¬
gegangen sind, und dessen bodenlosen Abgrund wir nur
durch die Macht und Gewalt der Liebe zu erfüllen vermö¬
gen. Diese Liebe ist es daher, welche die Seele gewiß
macht, daß jenes Mysterium, eben weil wir es entschieden
als den Urquell alles Vorhandenen anzuerkennen haben,
auch der Urquell aller Wahrheit, Schönheit
und der Liebe selbst sei
, sie ist es, welche uns eben
deßhalb mit dem vollendeten Vertrauen erfüllt, daß eine
wirkliche Antwort und Rechtfertigung auf jene Fragen aller¬
dings vorhanden, wenn auch nicht ganz innerhalb unserer
Erkenntniß vorhanden sein müsse, und sie ist es eben de߬
halb, welche in all unserer Unruhe und unserm Zweifel
uns allein Genüge und innere Ruhe gewähren kann. --
Solche Ruhe aber, einmal gewonnen, wirkt alsdann theils
den Geist auch heller zu erschließen, damit er selbst durch
den Schleier jenes Mysteriums hindurch mehr und mehr
noch von der Größe und Vernunft der Weltordnung er¬
kenne, und theils gewährt sie auch erst der Seele die Mög¬
lichkeit desjenigen wirklichen Glücks und derjenigen günstigen
Begegnungen, welche das Leben doch zeitweise herbeizuführen
fähig ist, mit solcher Sammlung und so sicherm Erfassen

der Frage: „warum müſſen dieſe Unvollkommenheiten, dieſe
qualvollen Unzulänglichkeiten ſein? warum kann nicht das
Leben ſelbſt die Hoffnungen und Wünſche erfüllen, zu wel¬
chen es durch die unwillkürlich ſich erſchließende bedürfende
Erwartung ſich faſt für berechtigt erklären möchte? wa¬
rum ſollen die höchſten Güter dem Menſchen nur gezeigt,
und nie bleibend von ihm erlangt werden?“ — Aber ge¬
rade von aller Noth dieſer Fragen auf welche eine den
Verſtand ganz zufriedenſtellende Antwort nun einmal durch¬
aus fehlt, wie von alle dem Schmerz über die Noth des
Lebens ſelbſt, gibt es nur eben jeneErlöſung
durch das Erwachen und Feſthalten der unbedingten Liebe
zu jenem göttlichen höchſten Myſterium, in und aus wel¬
chem wir ſelbſt eben mit jenem höhern Bedürfniß hervor¬
gegangen ſind, und deſſen bodenloſen Abgrund wir nur
durch die Macht und Gewalt der Liebe zu erfüllen vermö¬
gen. Dieſe Liebe iſt es daher, welche die Seele gewiß
macht, daß jenes Myſterium, eben weil wir es entſchieden
als den Urquell alles Vorhandenen anzuerkennen haben,
auch der Urquell aller Wahrheit, Schönheit
und der Liebe ſelbſt ſei
, ſie iſt es, welche uns eben
deßhalb mit dem vollendeten Vertrauen erfüllt, daß eine
wirkliche Antwort und Rechtfertigung auf jene Fragen aller¬
dings vorhanden, wenn auch nicht ganz innerhalb unſerer
Erkenntniß vorhanden ſein müſſe, und ſie iſt es eben de߬
halb, welche in all unſerer Unruhe und unſerm Zweifel
uns allein Genüge und innere Ruhe gewähren kann. —
Solche Ruhe aber, einmal gewonnen, wirkt alsdann theils
den Geiſt auch heller zu erſchließen, damit er ſelbſt durch
den Schleier jenes Myſteriums hindurch mehr und mehr
noch von der Größe und Vernunft der Weltordnung er¬
kenne, und theils gewährt ſie auch erſt der Seele die Mög¬
lichkeit desjenigen wirklichen Glücks und derjenigen günſtigen
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[409/0425] der Frage: „warum müſſen dieſe Unvollkommenheiten, dieſe qualvollen Unzulänglichkeiten ſein? warum kann nicht das Leben ſelbſt die Hoffnungen und Wünſche erfüllen, zu wel¬ chen es durch die unwillkürlich ſich erſchließende bedürfende Erwartung ſich faſt für berechtigt erklären möchte? wa¬ rum ſollen die höchſten Güter dem Menſchen nur gezeigt, und nie bleibend von ihm erlangt werden?“ — Aber ge¬ rade von aller Noth dieſer Fragen auf welche eine den Verſtand ganz zufriedenſtellende Antwort nun einmal durch¬ aus fehlt, wie von alle dem Schmerz über die Noth des Lebens ſelbſt, gibt es nur eben jene „Erlöſung“ durch das Erwachen und Feſthalten der unbedingten Liebe zu jenem göttlichen höchſten Myſterium, in und aus wel¬ chem wir ſelbſt eben mit jenem höhern Bedürfniß hervor¬ gegangen ſind, und deſſen bodenloſen Abgrund wir nur durch die Macht und Gewalt der Liebe zu erfüllen vermö¬ gen. Dieſe Liebe iſt es daher, welche die Seele gewiß macht, daß jenes Myſterium, eben weil wir es entſchieden als den Urquell alles Vorhandenen anzuerkennen haben, auch der Urquell aller Wahrheit, Schönheit und der Liebe ſelbſt ſei, ſie iſt es, welche uns eben deßhalb mit dem vollendeten Vertrauen erfüllt, daß eine wirkliche Antwort und Rechtfertigung auf jene Fragen aller¬ dings vorhanden, wenn auch nicht ganz innerhalb unſerer Erkenntniß vorhanden ſein müſſe, und ſie iſt es eben de߬ halb, welche in all unſerer Unruhe und unſerm Zweifel uns allein Genüge und innere Ruhe gewähren kann. — Solche Ruhe aber, einmal gewonnen, wirkt alsdann theils den Geiſt auch heller zu erſchließen, damit er ſelbſt durch den Schleier jenes Myſteriums hindurch mehr und mehr noch von der Größe und Vernunft der Weltordnung er¬ kenne, und theils gewährt ſie auch erſt der Seele die Mög¬ lichkeit desjenigen wirklichen Glücks und derjenigen günſtigen Begegnungen, welche das Leben doch zeitweiſe herbeizuführen fähig iſt, mit ſolcher Sammlung und ſo ſicherm Erfaſſen

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/425>, abgerufen am 22.11.2024.