b. Betrachtung der ersten durch unbewußtes Walten der Idee gesetzten Gliederung des Organismus in verschiedene Systeme.
Unter manchem Unverständlichen und Unverantwort¬ lichen mit dem die ältere Psychologie sich herumgetragen hat, steht die Lehre vom Verhältniß zwischen Leib und Seele in so fern mit oben an, als man hierunter nicht sowohl das Verhältniß zwischen der Idee, dem gött¬ lichen Urbilde an und für sich, und dem in ätherischer Substanz ausgeprägten leiblichen Abbilde, auch an und für sich, im Sinne hatte, sondern darunter vielmehr das Verhältniß verschiedener Regionen des Seelenlebens, wie es sich theils bewußter, theils aber unbewußter Weise äußert, verstand oder vielmehr wirklich nicht, oder doch nicht recht verstand. So rechnete man z. B. es als eine Beziehung zwischen Leib und Seele, wenn man das Ver¬ hältniß darstellte, welches besteht zwischen den zum Be¬ wußtsein kommenden Denkfunctionen des Gehirns und den bewußtlosen Verdauungsfunctionen des Magens; man sagte: das Denken der Seele werde influenzirt von dem Ernäh¬ rungsleben, der Geist von dem Blutleben des Leibes u. s. w., und bedachte nicht, daß man hier und in allen ähnlichen Fällen gar keinen Gegensatz von Seele und Leib, sondern nur einen Gegensatz zwischen verschiedenen bald bewußten, bald unbewußten Regionen der sich darlebenden Seele, oder eines zeitlich und organisch sich darlebenden göttlichen Ur¬ bildes, vor sich hatte. Diese fälschlich sogenannte Lehre von Seele und Leib, zwei Factoren, deren Aufeinander¬ wirken übrigens so gar nicht zur Klarheit gebracht werden konnte, hat allein schon unsäglichen Irrthum in der Psy¬ chologie verbreitet, und sie kann nur erleuchtet, und eigent¬ lich ganz beseitigt werden, wenn die Lehre von der Glie¬ derung der verschiedenen Lebenssphären und Systeme des Menschen zu vollständiger Deutlichkeit gebracht wird; ich
b. Betrachtung der erſten durch unbewußtes Walten der Idee geſetzten Gliederung des Organismus in verſchiedene Syſteme.
Unter manchem Unverſtändlichen und Unverantwort¬ lichen mit dem die ältere Pſychologie ſich herumgetragen hat, ſteht die Lehre vom Verhältniß zwiſchen Leib und Seele in ſo fern mit oben an, als man hierunter nicht ſowohl das Verhältniß zwiſchen der Idee, dem gött¬ lichen Urbilde an und für ſich, und dem in ätheriſcher Subſtanz ausgeprägten leiblichen Abbilde, auch an und für ſich, im Sinne hatte, ſondern darunter vielmehr das Verhältniß verſchiedener Regionen des Seelenlebens, wie es ſich theils bewußter, theils aber unbewußter Weiſe äußert, verſtand oder vielmehr wirklich nicht, oder doch nicht recht verſtand. So rechnete man z. B. es als eine Beziehung zwiſchen Leib und Seele, wenn man das Ver¬ hältniß darſtellte, welches beſteht zwiſchen den zum Be¬ wußtſein kommenden Denkfunctionen des Gehirns und den bewußtloſen Verdauungsfunctionen des Magens; man ſagte: das Denken der Seele werde influenzirt von dem Ernäh¬ rungsleben, der Geiſt von dem Blutleben des Leibes u. ſ. w., und bedachte nicht, daß man hier und in allen ähnlichen Fällen gar keinen Gegenſatz von Seele und Leib, ſondern nur einen Gegenſatz zwiſchen verſchiedenen bald bewußten, bald unbewußten Regionen der ſich darlebenden Seele, oder eines zeitlich und organiſch ſich darlebenden göttlichen Ur¬ bildes, vor ſich hatte. Dieſe fälſchlich ſogenannte Lehre von Seele und Leib, zwei Factoren, deren Aufeinander¬ wirken übrigens ſo gar nicht zur Klarheit gebracht werden konnte, hat allein ſchon unſäglichen Irrthum in der Pſy¬ chologie verbreitet, und ſie kann nur erleuchtet, und eigent¬ lich ganz beſeitigt werden, wenn die Lehre von der Glie¬ derung der verſchiedenen Lebensſphären und Syſteme des Menſchen zu vollſtändiger Deutlichkeit gebracht wird; ich
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b. Betrachtung der erſten durch unbewußtes Walten der Idee geſetzten
Gliederung des Organismus in verſchiedene Syſteme.
Unter manchem Unverſtändlichen und Unverantwort¬
lichen mit dem die ältere Pſychologie ſich herumgetragen
hat, ſteht die Lehre vom Verhältniß zwiſchen Leib
und Seele in ſo fern mit oben an, als man hierunter
nicht ſowohl das Verhältniß zwiſchen der Idee, dem gött¬
lichen Urbilde an und für ſich, und dem in ätheriſcher
Subſtanz ausgeprägten leiblichen Abbilde, auch an und
für ſich, im Sinne hatte, ſondern darunter vielmehr das
Verhältniß verſchiedener Regionen des Seelenlebens, wie
es ſich theils bewußter, theils aber unbewußter Weiſe
äußert, verſtand oder vielmehr wirklich nicht, oder doch
nicht recht verſtand. So rechnete man z. B. es als eine
Beziehung zwiſchen Leib und Seele, wenn man das Ver¬
hältniß darſtellte, welches beſteht zwiſchen den zum Be¬
wußtſein kommenden Denkfunctionen des Gehirns und den
bewußtloſen Verdauungsfunctionen des Magens; man ſagte:
das Denken der Seele werde influenzirt von dem Ernäh¬
rungsleben, der Geiſt von dem Blutleben des Leibes u. ſ. w.,
und bedachte nicht, daß man hier und in allen ähnlichen
Fällen gar keinen Gegenſatz von Seele und Leib, ſondern
nur einen Gegenſatz zwiſchen verſchiedenen bald bewußten,
bald unbewußten Regionen der ſich darlebenden Seele, oder
eines zeitlich und organiſch ſich darlebenden göttlichen Ur¬
bildes, vor ſich hatte. Dieſe fälſchlich ſogenannte Lehre
von Seele und Leib, zwei Factoren, deren Aufeinander¬
wirken übrigens ſo gar nicht zur Klarheit gebracht werden
konnte, hat allein ſchon unſäglichen Irrthum in der Pſy¬
chologie verbreitet, und ſie kann nur erleuchtet, und eigent¬
lich ganz beſeitigt werden, wenn die Lehre von der Glie¬
derung der verſchiedenen Lebensſphären und Syſteme des
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/47>, abgerufen am 23.11.2024.
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