Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

nach dem Sterben verewigt und müsse auch da noch auf
menschliche Weise genährt werden; oder wandelte bei den
Griechen der Abgeschiedene in der letzten Lebensgestaltung
unsterblich unter den Seeligen oder Verdammten u. s. w.,
so waren dies gewissermaßen doch nur allegorische Anwen¬
dungen jener geahneten Erkenntniß, während freilich die
zum Mannesalter gereifte Wissenschaft (wenn von einem
Sein der Seele außerhalb dieser Existenz die Rede ist)
zwar allerdings einestheils schonungslos Alles zu vernichten
scheint, was als neu Gewordenes an der Seele erst im
Laufe des Lebens entstand, dafür aber das wahrhaft ewige
Werden der Seele in Gott mit festem und unverlösch¬
lichem Griffel verzeichnet.

Das Schwere für die Fassungskraft des Geistes bei
diesen Gegenständen liegt jedenfalls hauptsächlich darin, daß,
indem die Seele sich sehnt zur Gewißheit nicht nur ihrer
Ewigkeit überhaupt (welche sie mit allen ihren selbst unbe¬
wußten Ideen gemein haben würde), sondern ganz vorzüg¬
lich und wesentlich zur Gewißheit von der Ewigkeit ihres
selbstbewußten Geistes zu gelangen, sie sich doch zugleich
sagen muß, daß alle die Vorstellungen und alle die Aequi¬
valente der Vorstellungen des Geistes, an denen eben dieses
sein Bewußtsein sich entwickelt hat, und mittels welchen
die Seele selbst erst als Geist sich offenbar geworden ist,
durchaus mit der vergnüglichen Erscheinung des Organismus
der allgemeinen Vergänglichkeit anheimfallen müssen. Gewiß
wird indeß, wer immer das oben Gesagte von dem ihrem
Wesen nach sich Verewigen auch der vergänglichen Erschei¬
nung am Geiste recht durchgedacht hat, schon hiedurch über
diesen scheinbaren Widerspruch hinwegkommen, indem er
erkennt und begreift, daß es eben bei der Frage nach dem
Ewigsein des bewußten Geistes nicht sowohl auf die vor¬
übergehenden Spiegelungen des an sich stets Wechselnden
und also auch durchaus Vergänglichen ankommt, sondern
daß die gewonnene Ueberzeugung von den Folgen, welche

nach dem Sterben verewigt und müſſe auch da noch auf
menſchliche Weiſe genährt werden; oder wandelte bei den
Griechen der Abgeſchiedene in der letzten Lebensgeſtaltung
unſterblich unter den Seeligen oder Verdammten u. ſ. w.,
ſo waren dies gewiſſermaßen doch nur allegoriſche Anwen¬
dungen jener geahneten Erkenntniß, während freilich die
zum Mannesalter gereifte Wiſſenſchaft (wenn von einem
Sein der Seele außerhalb dieſer Exiſtenz die Rede iſt)
zwar allerdings einestheils ſchonungslos Alles zu vernichten
ſcheint, was als neu Gewordenes an der Seele erſt im
Laufe des Lebens entſtand, dafür aber das wahrhaft ewige
Werden der Seele in Gott mit feſtem und unverlöſch¬
lichem Griffel verzeichnet.

Das Schwere für die Faſſungskraft des Geiſtes bei
dieſen Gegenſtänden liegt jedenfalls hauptſächlich darin, daß,
indem die Seele ſich ſehnt zur Gewißheit nicht nur ihrer
Ewigkeit überhaupt (welche ſie mit allen ihren ſelbſt unbe¬
wußten Ideen gemein haben würde), ſondern ganz vorzüg¬
lich und weſentlich zur Gewißheit von der Ewigkeit ihres
ſelbſtbewußten Geiſtes zu gelangen, ſie ſich doch zugleich
ſagen muß, daß alle die Vorſtellungen und alle die Aequi¬
valente der Vorſtellungen des Geiſtes, an denen eben dieſes
ſein Bewußtſein ſich entwickelt hat, und mittels welchen
die Seele ſelbſt erſt als Geiſt ſich offenbar geworden iſt,
durchaus mit der vergnüglichen Erſcheinung des Organismus
der allgemeinen Vergänglichkeit anheimfallen müſſen. Gewiß
wird indeß, wer immer das oben Geſagte von dem ihrem
Weſen nach ſich Verewigen auch der vergänglichen Erſchei¬
nung am Geiſte recht durchgedacht hat, ſchon hiedurch über
dieſen ſcheinbaren Widerſpruch hinwegkommen, indem er
erkennt und begreift, daß es eben bei der Frage nach dem
Ewigſein des bewußten Geiſtes nicht ſowohl auf die vor¬
übergehenden Spiegelungen des an ſich ſtets Wechſelnden
und alſo auch durchaus Vergänglichen ankommt, ſondern
daß die gewonnene Ueberzeugung von den Folgen, welche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0496" n="480"/>
nach dem Sterben verewigt und mü&#x017F;&#x017F;e auch da noch auf<lb/>
men&#x017F;chliche Wei&#x017F;e genährt werden; oder wandelte bei den<lb/>
Griechen der Abge&#x017F;chiedene in der letzten Lebensge&#x017F;taltung<lb/>
un&#x017F;terblich unter den Seeligen oder Verdammten u. &#x017F;. w.,<lb/>
&#x017F;o waren dies gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen doch nur allegori&#x017F;che Anwen¬<lb/>
dungen jener geahneten Erkenntniß, während freilich die<lb/>
zum Mannesalter gereifte Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft (wenn von einem<lb/>
Sein der Seele außerhalb die&#x017F;er Exi&#x017F;tenz die Rede i&#x017F;t)<lb/>
zwar allerdings einestheils &#x017F;chonungslos Alles zu vernichten<lb/>
&#x017F;cheint, was als <hi rendition="#g">neu</hi> Gewordenes an der Seele er&#x017F;t im<lb/>
Laufe des Lebens ent&#x017F;tand, dafür aber das wahrhaft ewige<lb/><hi rendition="#g">Werden der Seele in Gott</hi> mit fe&#x017F;tem und unverlö&#x017F;ch¬<lb/>
lichem Griffel verzeichnet.</p><lb/>
        <p>Das Schwere für die Fa&#x017F;&#x017F;ungskraft des Gei&#x017F;tes bei<lb/>
die&#x017F;en Gegen&#x017F;tänden liegt jedenfalls haupt&#x017F;ächlich darin, daß,<lb/>
indem die Seele &#x017F;ich &#x017F;ehnt zur Gewißheit nicht nur ihrer<lb/>
Ewigkeit überhaupt (welche &#x017F;ie mit allen ihren &#x017F;elb&#x017F;t unbe¬<lb/>
wußten Ideen gemein haben würde), &#x017F;ondern ganz vorzüg¬<lb/>
lich und we&#x017F;entlich zur Gewißheit von der Ewigkeit ihres<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;tbewußten Gei&#x017F;tes zu gelangen, &#x017F;ie &#x017F;ich doch zugleich<lb/>
&#x017F;agen muß, daß alle die Vor&#x017F;tellungen und alle die Aequi¬<lb/>
valente der Vor&#x017F;tellungen des Gei&#x017F;tes, an denen eben die&#x017F;es<lb/>
&#x017F;ein Bewußt&#x017F;ein &#x017F;ich entwickelt hat, und mittels welchen<lb/>
die Seele &#x017F;elb&#x017F;t er&#x017F;t als Gei&#x017F;t &#x017F;ich offenbar geworden i&#x017F;t,<lb/>
durchaus mit der vergnüglichen Er&#x017F;cheinung des Organismus<lb/>
der allgemeinen Vergänglichkeit anheimfallen mü&#x017F;&#x017F;en. Gewiß<lb/>
wird indeß, wer immer das oben Ge&#x017F;agte von dem ihrem<lb/>
We&#x017F;en nach &#x017F;ich Verewigen auch der vergänglichen Er&#x017F;chei¬<lb/>
nung am Gei&#x017F;te recht durchgedacht hat, &#x017F;chon hiedurch über<lb/>
die&#x017F;en &#x017F;cheinbaren Wider&#x017F;pruch hinwegkommen, indem er<lb/>
erkennt und begreift, daß es eben bei der Frage nach dem<lb/>
Ewig&#x017F;ein des bewußten Gei&#x017F;tes nicht &#x017F;owohl auf die vor¬<lb/>
übergehenden Spiegelungen des an &#x017F;ich &#x017F;tets Wech&#x017F;elnden<lb/>
und al&#x017F;o auch durchaus Vergänglichen ankommt, &#x017F;ondern<lb/>
daß die gewonnene Ueberzeugung von den Folgen, welche<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[480/0496] nach dem Sterben verewigt und müſſe auch da noch auf menſchliche Weiſe genährt werden; oder wandelte bei den Griechen der Abgeſchiedene in der letzten Lebensgeſtaltung unſterblich unter den Seeligen oder Verdammten u. ſ. w., ſo waren dies gewiſſermaßen doch nur allegoriſche Anwen¬ dungen jener geahneten Erkenntniß, während freilich die zum Mannesalter gereifte Wiſſenſchaft (wenn von einem Sein der Seele außerhalb dieſer Exiſtenz die Rede iſt) zwar allerdings einestheils ſchonungslos Alles zu vernichten ſcheint, was als neu Gewordenes an der Seele erſt im Laufe des Lebens entſtand, dafür aber das wahrhaft ewige Werden der Seele in Gott mit feſtem und unverlöſch¬ lichem Griffel verzeichnet. Das Schwere für die Faſſungskraft des Geiſtes bei dieſen Gegenſtänden liegt jedenfalls hauptſächlich darin, daß, indem die Seele ſich ſehnt zur Gewißheit nicht nur ihrer Ewigkeit überhaupt (welche ſie mit allen ihren ſelbſt unbe¬ wußten Ideen gemein haben würde), ſondern ganz vorzüg¬ lich und weſentlich zur Gewißheit von der Ewigkeit ihres ſelbſtbewußten Geiſtes zu gelangen, ſie ſich doch zugleich ſagen muß, daß alle die Vorſtellungen und alle die Aequi¬ valente der Vorſtellungen des Geiſtes, an denen eben dieſes ſein Bewußtſein ſich entwickelt hat, und mittels welchen die Seele ſelbſt erſt als Geiſt ſich offenbar geworden iſt, durchaus mit der vergnüglichen Erſcheinung des Organismus der allgemeinen Vergänglichkeit anheimfallen müſſen. Gewiß wird indeß, wer immer das oben Geſagte von dem ihrem Weſen nach ſich Verewigen auch der vergänglichen Erſchei¬ nung am Geiſte recht durchgedacht hat, ſchon hiedurch über dieſen ſcheinbaren Widerſpruch hinwegkommen, indem er erkennt und begreift, daß es eben bei der Frage nach dem Ewigſein des bewußten Geiſtes nicht ſowohl auf die vor¬ übergehenden Spiegelungen des an ſich ſtets Wechſelnden und alſo auch durchaus Vergänglichen ankommt, ſondern daß die gewonnene Ueberzeugung von den Folgen, welche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/496
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/496>, abgerufen am 24.11.2024.