undenkbar. Merkwürdig ist es indeß, daß eben wegen dieser niederen Bedeutung im Ganzen, die Leichtigkeit der Production bloß durch Theilung und Abtrennung von Ur¬ zellen, mit der ungeheuern Vervielfältigung solcher Wesen in ganz geraden Verhältnissen steht. Hieher gehören näm¬ lich die Beispiele aus der Welt der Infusorien, wo man berechnen kann, daß ein Geschöpf in der Reihe weniger Stunden zu Millionen gleichartiger Geschöpfe sich ver¬ mehren kann, und Aehnliches mehr. Die Werdelust dieser Ideen, in Bezug auf Zahl der Einzelheiten, steht sofort durchaus in umgekehrtem Verhältnisse zu der Macht und Bedeutung der Individuen, die dadurch hervorgerufen werden. Wenden wir uns dagegen zu den höhern Lebenkreisen, zu denen deren höchster die Menschheit selbst ist, so treffen wir auf ein wesentlich anderes und ein sehr merkwürdiges Ver¬ hältniß. Die höhere Energie der Idee des Individuums ist es dort, welche eine mächtige Verschiedenheit setzt zwi¬ schen der Gesammtheit des Organismus und den Elemen¬ tartheilen desselben; eine Verschiedenheit von welcher es die Folge ist, daß zwar wohl einzelne dieser Elementartheile, sich vervielfältigend den eigenen Organismus fortzubilden und zu ergänzen vermögen, schlechterdings aber nicht mehr im Stande sind allein und an und für sich den ganzen Organismus so zu wiederholen, wie es die Theilung der Monaden-Infusorie, oder das abgeschnittene Stück der Nais, oder die Sprosse der Hydra vermochte. Um so mächtiger beweist sich dagegen hier die Idee der Gat¬ tung, und ein neues Individuum kann immer nur ent¬ stehen indem die Idee der Gattung selbst auf neue Weise sich setzt, weßhalb denn in der Wirklichkeit dieses sich Setzen auch nur dadurch möglich wird, daß nicht aus einem In¬ dividuum hervorgehend, sondern allemal nur durch das Zusammenwirken von zwei Individuen, deren Zweiheit nämlich jedesmal die Gattung reprä¬ sentirt (daher die Sprache sehr feinsinnig das Wort
undenkbar. Merkwürdig iſt es indeß, daß eben wegen dieſer niederen Bedeutung im Ganzen, die Leichtigkeit der Production bloß durch Theilung und Abtrennung von Ur¬ zellen, mit der ungeheuern Vervielfältigung ſolcher Weſen in ganz geraden Verhältniſſen ſteht. Hieher gehören näm¬ lich die Beiſpiele aus der Welt der Infuſorien, wo man berechnen kann, daß ein Geſchöpf in der Reihe weniger Stunden zu Millionen gleichartiger Geſchöpfe ſich ver¬ mehren kann, und Aehnliches mehr. Die Werdeluſt dieſer Ideen, in Bezug auf Zahl der Einzelheiten, ſteht ſofort durchaus in umgekehrtem Verhältniſſe zu der Macht und Bedeutung der Individuen, die dadurch hervorgerufen werden. Wenden wir uns dagegen zu den höhern Lebenkreiſen, zu denen deren höchſter die Menſchheit ſelbſt iſt, ſo treffen wir auf ein weſentlich anderes und ein ſehr merkwürdiges Ver¬ hältniß. Die höhere Energie der Idee des Individuums iſt es dort, welche eine mächtige Verſchiedenheit ſetzt zwi¬ ſchen der Geſammtheit des Organismus und den Elemen¬ tartheilen deſſelben; eine Verſchiedenheit von welcher es die Folge iſt, daß zwar wohl einzelne dieſer Elementartheile, ſich vervielfältigend den eigenen Organismus fortzubilden und zu ergänzen vermögen, ſchlechterdings aber nicht mehr im Stande ſind allein und an und für ſich den ganzen Organismus ſo zu wiederholen, wie es die Theilung der Monaden-Infuſorie, oder das abgeſchnittene Stück der Nais, oder die Sproſſe der Hydra vermochte. Um ſo mächtiger beweist ſich dagegen hier die Idee der Gat¬ tung, und ein neues Individuum kann immer nur ent¬ ſtehen indem die Idee der Gattung ſelbſt auf neue Weiſe ſich ſetzt, weßhalb denn in der Wirklichkeit dieſes ſich Setzen auch nur dadurch möglich wird, daß nicht aus einem In¬ dividuum hervorgehend, ſondern allemal nur durch das Zuſammenwirken von zwei Individuen, deren Zweiheit nämlich jedesmal die Gattung reprä¬ ſentirt (daher die Sprache ſehr feinſinnig das Wort
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undenkbar. Merkwürdig iſt es indeß, daß eben wegen
dieſer niederen Bedeutung im Ganzen, die Leichtigkeit der
Production bloß durch Theilung und Abtrennung von Ur¬
zellen, mit der ungeheuern Vervielfältigung ſolcher Weſen
in ganz geraden Verhältniſſen ſteht. Hieher gehören näm¬
lich die Beiſpiele aus der Welt der Infuſorien, wo man
berechnen kann, daß ein Geſchöpf in der Reihe weniger
Stunden zu Millionen gleichartiger Geſchöpfe ſich ver¬
mehren kann, und Aehnliches mehr. Die Werdeluſt dieſer
Ideen, in Bezug auf Zahl der Einzelheiten, ſteht ſofort
durchaus in umgekehrtem Verhältniſſe zu der Macht und
Bedeutung der Individuen, die dadurch hervorgerufen werden.
Wenden wir uns dagegen zu den höhern Lebenkreiſen, zu
denen deren höchſter die Menſchheit ſelbſt iſt, ſo treffen wir
auf ein weſentlich anderes und ein ſehr merkwürdiges Ver¬
hältniß. Die höhere Energie der Idee des Individuums
iſt es dort, welche eine mächtige Verſchiedenheit ſetzt zwi¬
ſchen der Geſammtheit des Organismus und den Elemen¬
tartheilen deſſelben; eine Verſchiedenheit von welcher es die
Folge iſt, daß zwar wohl einzelne dieſer Elementartheile,
ſich vervielfältigend den eigenen Organismus fortzubilden
und zu ergänzen vermögen, ſchlechterdings aber nicht mehr
im Stande ſind allein und an und für ſich den ganzen
Organismus ſo zu wiederholen, wie es die Theilung der
Monaden-Infuſorie, oder das abgeſchnittene Stück der
Nais, oder die Sproſſe der Hydra vermochte. Um ſo
mächtiger beweist ſich dagegen hier die Idee der Gat¬
tung, und ein neues Individuum kann immer nur ent¬
ſtehen indem die Idee der Gattung ſelbſt auf neue Weiſe
ſich ſetzt, weßhalb denn in der Wirklichkeit dieſes ſich Setzen
auch nur dadurch möglich wird, daß nicht aus einem In¬
dividuum hervorgehend, ſondern allemal nur durch das
Zuſammenwirken von zwei Individuen, deren
Zweiheit nämlich jedesmal die Gattung reprä¬
ſentirt (daher die Sprache ſehr feinſinnig das Wort
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/72>, abgerufen am 23.11.2024.
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