Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

undenkbar. Merkwürdig ist es indeß, daß eben wegen
dieser niederen Bedeutung im Ganzen, die Leichtigkeit der
Production bloß durch Theilung und Abtrennung von Ur¬
zellen, mit der ungeheuern Vervielfältigung solcher Wesen
in ganz geraden Verhältnissen steht. Hieher gehören näm¬
lich die Beispiele aus der Welt der Infusorien, wo man
berechnen kann, daß ein Geschöpf in der Reihe weniger
Stunden zu Millionen gleichartiger Geschöpfe sich ver¬
mehren kann, und Aehnliches mehr. Die Werdelust dieser
Ideen, in Bezug auf Zahl der Einzelheiten, steht sofort
durchaus in umgekehrtem Verhältnisse zu der Macht und
Bedeutung der Individuen, die dadurch hervorgerufen werden.
Wenden wir uns dagegen zu den höhern Lebenkreisen, zu
denen deren höchster die Menschheit selbst ist, so treffen wir
auf ein wesentlich anderes und ein sehr merkwürdiges Ver¬
hältniß. Die höhere Energie der Idee des Individuums
ist es dort, welche eine mächtige Verschiedenheit setzt zwi¬
schen der Gesammtheit des Organismus und den Elemen¬
tartheilen desselben; eine Verschiedenheit von welcher es die
Folge ist, daß zwar wohl einzelne dieser Elementartheile,
sich vervielfältigend den eigenen Organismus fortzubilden
und zu ergänzen vermögen, schlechterdings aber nicht mehr
im Stande sind allein und an und für sich den ganzen
Organismus so zu wiederholen, wie es die Theilung der
Monaden-Infusorie, oder das abgeschnittene Stück der
Nais, oder die Sprosse der Hydra vermochte. Um so
mächtiger beweist sich dagegen hier die Idee der Gat¬
tung
, und ein neues Individuum kann immer nur ent¬
stehen indem die Idee der Gattung selbst auf neue Weise
sich setzt, weßhalb denn in der Wirklichkeit dieses sich Setzen
auch nur dadurch möglich wird, daß nicht aus einem In¬
dividuum hervorgehend, sondern allemal nur durch das
Zusammenwirken von zwei Individuen
, deren
Zweiheit nämlich jedesmal die Gattung reprä¬
sentirt
(daher die Sprache sehr feinsinnig das Wort

undenkbar. Merkwürdig iſt es indeß, daß eben wegen
dieſer niederen Bedeutung im Ganzen, die Leichtigkeit der
Production bloß durch Theilung und Abtrennung von Ur¬
zellen, mit der ungeheuern Vervielfältigung ſolcher Weſen
in ganz geraden Verhältniſſen ſteht. Hieher gehören näm¬
lich die Beiſpiele aus der Welt der Infuſorien, wo man
berechnen kann, daß ein Geſchöpf in der Reihe weniger
Stunden zu Millionen gleichartiger Geſchöpfe ſich ver¬
mehren kann, und Aehnliches mehr. Die Werdeluſt dieſer
Ideen, in Bezug auf Zahl der Einzelheiten, ſteht ſofort
durchaus in umgekehrtem Verhältniſſe zu der Macht und
Bedeutung der Individuen, die dadurch hervorgerufen werden.
Wenden wir uns dagegen zu den höhern Lebenkreiſen, zu
denen deren höchſter die Menſchheit ſelbſt iſt, ſo treffen wir
auf ein weſentlich anderes und ein ſehr merkwürdiges Ver¬
hältniß. Die höhere Energie der Idee des Individuums
iſt es dort, welche eine mächtige Verſchiedenheit ſetzt zwi¬
ſchen der Geſammtheit des Organismus und den Elemen¬
tartheilen deſſelben; eine Verſchiedenheit von welcher es die
Folge iſt, daß zwar wohl einzelne dieſer Elementartheile,
ſich vervielfältigend den eigenen Organismus fortzubilden
und zu ergänzen vermögen, ſchlechterdings aber nicht mehr
im Stande ſind allein und an und für ſich den ganzen
Organismus ſo zu wiederholen, wie es die Theilung der
Monaden-Infuſorie, oder das abgeſchnittene Stück der
Nais, oder die Sproſſe der Hydra vermochte. Um ſo
mächtiger beweist ſich dagegen hier die Idee der Gat¬
tung
, und ein neues Individuum kann immer nur ent¬
ſtehen indem die Idee der Gattung ſelbſt auf neue Weiſe
ſich ſetzt, weßhalb denn in der Wirklichkeit dieſes ſich Setzen
auch nur dadurch möglich wird, daß nicht aus einem In¬
dividuum hervorgehend, ſondern allemal nur durch das
Zuſammenwirken von zwei Individuen
, deren
Zweiheit nämlich jedesmal die Gattung reprä¬
ſentirt
(daher die Sprache ſehr feinſinnig das Wort

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0072" n="56"/>
undenkbar. Merkwürdig i&#x017F;t es indeß, daß eben wegen<lb/>
die&#x017F;er niederen Bedeutung im Ganzen, die Leichtigkeit der<lb/>
Production bloß durch Theilung und Abtrennung von Ur¬<lb/>
zellen, mit der ungeheuern Vervielfältigung &#x017F;olcher We&#x017F;en<lb/>
in ganz geraden Verhältni&#x017F;&#x017F;en &#x017F;teht. Hieher gehören näm¬<lb/>
lich die Bei&#x017F;piele aus der Welt der Infu&#x017F;orien, wo man<lb/>
berechnen kann, daß <hi rendition="#g">ein</hi> Ge&#x017F;chöpf in der Reihe weniger<lb/>
Stunden zu Millionen gleichartiger Ge&#x017F;chöpfe &#x017F;ich ver¬<lb/>
mehren kann, und Aehnliches mehr. Die Werdelu&#x017F;t die&#x017F;er<lb/>
Ideen, in Bezug auf <hi rendition="#g">Zahl</hi> der Einzelheiten, &#x017F;teht &#x017F;ofort<lb/>
durchaus in umgekehrtem Verhältni&#x017F;&#x017F;e zu der Macht und<lb/>
Bedeutung der Individuen, die dadurch hervorgerufen werden.<lb/>
Wenden wir uns dagegen zu den höhern Lebenkrei&#x017F;en, zu<lb/>
denen deren höch&#x017F;ter die Men&#x017F;chheit &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t, &#x017F;o treffen wir<lb/>
auf ein we&#x017F;entlich anderes und ein &#x017F;ehr merkwürdiges Ver¬<lb/>
hältniß. Die höhere Energie der Idee des Individuums<lb/>
i&#x017F;t es dort, welche eine mächtige Ver&#x017F;chiedenheit &#x017F;etzt zwi¬<lb/>
&#x017F;chen der Ge&#x017F;ammtheit des Organismus und den Elemen¬<lb/>
tartheilen de&#x017F;&#x017F;elben; eine Ver&#x017F;chiedenheit von welcher es die<lb/>
Folge i&#x017F;t, daß zwar wohl einzelne die&#x017F;er Elementartheile,<lb/>
&#x017F;ich vervielfältigend den eigenen Organismus fortzubilden<lb/>
und zu ergänzen vermögen, &#x017F;chlechterdings aber nicht mehr<lb/>
im Stande &#x017F;ind allein und an und für &#x017F;ich den ganzen<lb/>
Organismus &#x017F;o zu wiederholen, wie es die Theilung der<lb/>
Monaden-Infu&#x017F;orie, oder das abge&#x017F;chnittene Stück der<lb/>
Nais, oder die Spro&#x017F;&#x017F;e der Hydra vermochte. Um &#x017F;o<lb/>
mächtiger beweist &#x017F;ich dagegen hier <hi rendition="#g">die Idee der Gat¬<lb/>
tung</hi>, und ein neues Individuum kann immer nur ent¬<lb/>
&#x017F;tehen indem die Idee der Gattung <hi rendition="#g">&#x017F;elb&#x017F;t</hi> auf neue Wei&#x017F;e<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;etzt, weßhalb denn in der Wirklichkeit die&#x017F;es &#x017F;ich Setzen<lb/>
auch nur dadurch möglich wird, daß nicht aus <hi rendition="#g">einem</hi> In¬<lb/>
dividuum hervorgehend, &#x017F;ondern allemal nur <hi rendition="#g">durch das<lb/>
Zu&#x017F;ammenwirken von zwei Individuen</hi>, <hi rendition="#g">deren<lb/>
Zweiheit nämlich jedesmal die Gattung reprä¬<lb/>
&#x017F;entirt</hi> (daher die Sprache &#x017F;ehr fein&#x017F;innig das Wort<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0072] undenkbar. Merkwürdig iſt es indeß, daß eben wegen dieſer niederen Bedeutung im Ganzen, die Leichtigkeit der Production bloß durch Theilung und Abtrennung von Ur¬ zellen, mit der ungeheuern Vervielfältigung ſolcher Weſen in ganz geraden Verhältniſſen ſteht. Hieher gehören näm¬ lich die Beiſpiele aus der Welt der Infuſorien, wo man berechnen kann, daß ein Geſchöpf in der Reihe weniger Stunden zu Millionen gleichartiger Geſchöpfe ſich ver¬ mehren kann, und Aehnliches mehr. Die Werdeluſt dieſer Ideen, in Bezug auf Zahl der Einzelheiten, ſteht ſofort durchaus in umgekehrtem Verhältniſſe zu der Macht und Bedeutung der Individuen, die dadurch hervorgerufen werden. Wenden wir uns dagegen zu den höhern Lebenkreiſen, zu denen deren höchſter die Menſchheit ſelbſt iſt, ſo treffen wir auf ein weſentlich anderes und ein ſehr merkwürdiges Ver¬ hältniß. Die höhere Energie der Idee des Individuums iſt es dort, welche eine mächtige Verſchiedenheit ſetzt zwi¬ ſchen der Geſammtheit des Organismus und den Elemen¬ tartheilen deſſelben; eine Verſchiedenheit von welcher es die Folge iſt, daß zwar wohl einzelne dieſer Elementartheile, ſich vervielfältigend den eigenen Organismus fortzubilden und zu ergänzen vermögen, ſchlechterdings aber nicht mehr im Stande ſind allein und an und für ſich den ganzen Organismus ſo zu wiederholen, wie es die Theilung der Monaden-Infuſorie, oder das abgeſchnittene Stück der Nais, oder die Sproſſe der Hydra vermochte. Um ſo mächtiger beweist ſich dagegen hier die Idee der Gat¬ tung, und ein neues Individuum kann immer nur ent¬ ſtehen indem die Idee der Gattung ſelbſt auf neue Weiſe ſich ſetzt, weßhalb denn in der Wirklichkeit dieſes ſich Setzen auch nur dadurch möglich wird, daß nicht aus einem In¬ dividuum hervorgehend, ſondern allemal nur durch das Zuſammenwirken von zwei Individuen, deren Zweiheit nämlich jedesmal die Gattung reprä¬ ſentirt (daher die Sprache ſehr feinſinnig das Wort

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/72
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/72>, abgerufen am 23.11.2024.