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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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der Menschheit begriffenen einzelnen Ideen hindurchgeht,
es ist ein Gegensatz, in welchem sich der höchste Dualis¬
mus der Welt: Idee und Aether -- Purusha und Pra¬
kriti der Hinduphilosophie -- Form und Stoff -- wieder¬
holt, nämlich: der Gegensatz des Männlichen und
Weiblichen
. Fortwährend weicht deßhalb in ihrer stätigen
Wiedergeburt die Menschheit in zwei wesentlich gleich¬
zählige Hälften
des Männlichen und Weiblichen aus¬
einander, und fortwährend geht auch wieder diese Wieder¬
geburt selbst, aus der stets sich erneuenden Vereinigung
dieser getrennten Hälften, auf diejenige unbewußte Weise
hervor, welche eben weiter oben auseinandergesetzt worden
ist. Nur in dieser unerläßlichen Nothwendigkeit, ein höhe¬
res Ganzes zunächst symmetrisch in zwei große Gegensätze
innerhalb seiner Einheit zu scheiden, liegt eben der allein
zureichende Grund jener von Hufeland nur in seiner
theologischen Beziehung erkannten und zuerst nachgewiesenen
merkwürdigen Gleichzahl der Geschlechter, eine Gleichzahl
welche daher auch keinesweges allen übrigen Geschlechtern
der Lebendigen eigen ist, als in welchen das Uebergewicht
der Zahl bald auf die eine, bald auf die andere Seite
fallend gefunden wird.

Innerhalb dieses ersten, durch die gesammte Mensch¬
heit gehenden Gegensatzes treten fernerhin vielfältige andere
Gegensätze hervor, und auch diese theils unmittelbar in der
Ursprünglichkeit der Idee der Individuen selbst begründet,
theils durch die Verschiedenartigkeit und Beweglichkeit des
Lebens überall erhöht und erweckt. Es bilden sich so eine
Menge von Kreisen in Kreisen, immer aber stellt sich als
ein bestimmtes Gesetz hervor, daß je stärker das bewußte
Leben des Geistes sich entwickelt, um so entschiedener der
Gegensatz zwischen den Individuen, und um so deutlicher
die Mannichfaltigkeit menschlicher Naturen sich hervorhebt.
Für jenen ursprünglichsten der Gegensätze in der Mensch¬
heit, welcher ganz und gar durch das Unbewußte begründet

der Menſchheit begriffenen einzelnen Ideen hindurchgeht,
es iſt ein Gegenſatz, in welchem ſich der höchſte Dualis¬
mus der Welt: Idee und Aether — Purusha und Pra¬
kriti der Hinduphiloſophie — Form und Stoff — wieder¬
holt, nämlich: der Gegenſatz des Männlichen und
Weiblichen
. Fortwährend weicht deßhalb in ihrer ſtätigen
Wiedergeburt die Menſchheit in zwei weſentlich gleich¬
zählige Hälften
des Männlichen und Weiblichen aus¬
einander, und fortwährend geht auch wieder dieſe Wieder¬
geburt ſelbſt, aus der ſtets ſich erneuenden Vereinigung
dieſer getrennten Hälften, auf diejenige unbewußte Weiſe
hervor, welche eben weiter oben auseinandergeſetzt worden
iſt. Nur in dieſer unerläßlichen Nothwendigkeit, ein höhe¬
res Ganzes zunächſt ſymmetriſch in zwei große Gegenſätze
innerhalb ſeiner Einheit zu ſcheiden, liegt eben der allein
zureichende Grund jener von Hufeland nur in ſeiner
theologiſchen Beziehung erkannten und zuerſt nachgewieſenen
merkwürdigen Gleichzahl der Geſchlechter, eine Gleichzahl
welche daher auch keinesweges allen übrigen Geſchlechtern
der Lebendigen eigen iſt, als in welchen das Uebergewicht
der Zahl bald auf die eine, bald auf die andere Seite
fallend gefunden wird.

Innerhalb dieſes erſten, durch die geſammte Menſch¬
heit gehenden Gegenſatzes treten fernerhin vielfältige andere
Gegenſätze hervor, und auch dieſe theils unmittelbar in der
Urſprünglichkeit der Idee der Individuen ſelbſt begründet,
theils durch die Verſchiedenartigkeit und Beweglichkeit des
Lebens überall erhöht und erweckt. Es bilden ſich ſo eine
Menge von Kreiſen in Kreiſen, immer aber ſtellt ſich als
ein beſtimmtes Geſetz hervor, daß je ſtärker das bewußte
Leben des Geiſtes ſich entwickelt, um ſo entſchiedener der
Gegenſatz zwiſchen den Individuen, und um ſo deutlicher
die Mannichfaltigkeit menſchlicher Naturen ſich hervorhebt.
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[62/0078] der Menſchheit begriffenen einzelnen Ideen hindurchgeht, es iſt ein Gegenſatz, in welchem ſich der höchſte Dualis¬ mus der Welt: Idee und Aether — Purusha und Pra¬ kriti der Hinduphiloſophie — Form und Stoff — wieder¬ holt, nämlich: der Gegenſatz des Männlichen und Weiblichen. Fortwährend weicht deßhalb in ihrer ſtätigen Wiedergeburt die Menſchheit in zwei weſentlich gleich¬ zählige Hälften des Männlichen und Weiblichen aus¬ einander, und fortwährend geht auch wieder dieſe Wieder¬ geburt ſelbſt, aus der ſtets ſich erneuenden Vereinigung dieſer getrennten Hälften, auf diejenige unbewußte Weiſe hervor, welche eben weiter oben auseinandergeſetzt worden iſt. Nur in dieſer unerläßlichen Nothwendigkeit, ein höhe¬ res Ganzes zunächſt ſymmetriſch in zwei große Gegenſätze innerhalb ſeiner Einheit zu ſcheiden, liegt eben der allein zureichende Grund jener von Hufeland nur in ſeiner theologiſchen Beziehung erkannten und zuerſt nachgewieſenen merkwürdigen Gleichzahl der Geſchlechter, eine Gleichzahl welche daher auch keinesweges allen übrigen Geſchlechtern der Lebendigen eigen iſt, als in welchen das Uebergewicht der Zahl bald auf die eine, bald auf die andere Seite fallend gefunden wird. Innerhalb dieſes erſten, durch die geſammte Menſch¬ heit gehenden Gegenſatzes treten fernerhin vielfältige andere Gegenſätze hervor, und auch dieſe theils unmittelbar in der Urſprünglichkeit der Idee der Individuen ſelbſt begründet, theils durch die Verſchiedenartigkeit und Beweglichkeit des Lebens überall erhöht und erweckt. Es bilden ſich ſo eine Menge von Kreiſen in Kreiſen, immer aber ſtellt ſich als ein beſtimmtes Geſetz hervor, daß je ſtärker das bewußte Leben des Geiſtes ſich entwickelt, um ſo entſchiedener der Gegenſatz zwiſchen den Individuen, und um ſo deutlicher die Mannichfaltigkeit menſchlicher Naturen ſich hervorhebt. Für jenen urſprünglichſten der Gegenſätze in der Menſch¬ heit, welcher ganz und gar durch das Unbewußte begründet

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/78>, abgerufen am 23.11.2024.