Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Physiologus.
unter einem Namen gekommen sein mag, welcher kaum mit Sicherheit
auf eine bestimmte Art zu beziehen ist, ist trotz der großen Ueberein-
stimmung zweifelhaft. Dasselbe Thier wird auch in den Commentaren
zu dem Sechstagewerk der Schöpfung erwähnt (z. B. Eustathius);
auch wird hier gleichfalls angegeben, daß es mit erhobenen Schwingen
(oder Flossen) mit voll unter Segel gehenden Schiffen gewissermaßen
wettschwimme, bis es ermüdet umkehre. An die Echeneis kann wohl
ebenso wenig gedacht werden, als an die Argonauta.

Die Schilderung des Steinbockes (caprea, dorcas oder
dor-
con
gr.), welcher in der Bibel an mehreren Stellen erwähnt wird,
schließt sich am meisten an Hohes Lied 8, 14. Auf sein scharfes Gesicht
weisen schon ältere Etymologien seines griechischen Namens, von wel-
chem also auch wahrscheinlich die Deutung ausgieng. Plinius sagt
gar, daß er selbst des Nachts sähe (28, 11).

Die Sage von einem großen Walfisch findet sich mit den beiden
im Physiologus erwähnten Zügen bei Basilius und
Eustathius
gelegentlich des Schöpfungsberichtes51), die gleich zu erwähnende Ge-
schichte von der Inselbildung schon bei Nearchus, dem Zeitgenossen
Alexander's des Großen52). Sie wird von allen Bearbeitungen des
Physiologus wiedergegeben mit Ausnahme der späteren lateinischen und
der althochdeutschen, vielleicht weil am Entstehungsorte dieser eine Be-
kanntschaft mit dem Meere und seiner Bewohner kaum vorausgesetzt
werden konnte. Der Walfisch soll so groß werden, daß er mit dem
Rücken aus dem Wasser emporragend von den Schiffern für eine Insel

51) Basilius in der 7. Homilie zu 1. Mose 1, 20, 21 (Opera ed. Garnier,
Paris, 1721. Tom. I. p. 68
); Eustathius im Commentar zum Hexaemeron
(ed. Leo Allatius. Lugduni, 1729. p. 19). Der Name aspidokhelone kehrt über-
all wieder, zum Theil verstümmelt, aspidohelune, aspis, syrisch espes, angelsäch-
sisch fastitocalon, in einer Leipziger lateinischen Handschrift fastilon, isländisch
aspedo. Den im altfranzösischen prosaischen Physiologus des Pierre Picard vor-
kommenden Namen Lacovie betrachtet Cahier als Umwandlung von Maclovie
und bringt ihn mit der Legende in Verbindung, nach welcher S. Malo (Maclovius)
auf dem Rücken eines solchen Walfisches die Messe gelesen haben soll.
52) in der Ausgabe von C. Müller (Didot), Script. rer. Alex. p. 66.
25. Fragm.

Phyſiologus.
unter einem Namen gekommen ſein mag, welcher kaum mit Sicherheit
auf eine beſtimmte Art zu beziehen iſt, iſt trotz der großen Ueberein-
ſtimmung zweifelhaft. Daſſelbe Thier wird auch in den Commentaren
zu dem Sechstagewerk der Schöpfung erwähnt (z. B. Euſtathius);
auch wird hier gleichfalls angegeben, daß es mit erhobenen Schwingen
(oder Floſſen) mit voll unter Segel gehenden Schiffen gewiſſermaßen
wettſchwimme, bis es ermüdet umkehre. An die Echeneis kann wohl
ebenſo wenig gedacht werden, als an die Argonauta.

Die Schilderung des Steinbockes (caprea, dorcas oder
dor-
con
gr.), welcher in der Bibel an mehreren Stellen erwähnt wird,
ſchließt ſich am meiſten an Hohes Lied 8, 14. Auf ſein ſcharfes Geſicht
weiſen ſchon ältere Etymologien ſeines griechiſchen Namens, von wel-
chem alſo auch wahrſcheinlich die Deutung ausgieng. Plinius ſagt
gar, daß er ſelbſt des Nachts ſähe (28, 11).

Die Sage von einem großen Walfiſch findet ſich mit den beiden
im Phyſiologus erwähnten Zügen bei Baſilius und
Euſtathius
gelegentlich des Schöpfungsberichtes51), die gleich zu erwähnende Ge-
ſchichte von der Inſelbildung ſchon bei Nearchus, dem Zeitgenoſſen
Alexander's des Großen52). Sie wird von allen Bearbeitungen des
Phyſiologus wiedergegeben mit Ausnahme der ſpäteren lateiniſchen und
der althochdeutſchen, vielleicht weil am Entſtehungsorte dieſer eine Be-
kanntſchaft mit dem Meere und ſeiner Bewohner kaum vorausgeſetzt
werden konnte. Der Walfiſch ſoll ſo groß werden, daß er mit dem
Rücken aus dem Waſſer emporragend von den Schiffern für eine Inſel

51) Baſilius in der 7. Homilie zu 1. Moſe 1, 20, 21 (Opera ed. Garnier,
Paris, 1721. Tom. I. p. 68
); Euſtathius im Commentar zum Hexaemeron
(ed. Leo Allatius. Lugduni, 1729. p. 19). Der Name ἀσπιδοχελώνη kehrt über-
all wieder, zum Theil verſtümmelt, aspidohelune, aspis, ſyriſch espes, angelſäch-
ſiſch fastitocalon, in einer Leipziger lateiniſchen Handſchrift fastilon, isländiſch
aspedo. Den im altfranzöſiſchen proſaiſchen Phyſiologus des Pierre Picard vor-
kommenden Namen Lacovie betrachtet Cahier als Umwandlung von Maclovie
und bringt ihn mit der Legende in Verbindung, nach welcher S. Malo (Maclovius)
auf dem Rücken eines ſolchen Walfiſches die Meſſe geleſen haben ſoll.
52) in der Ausgabe von C. Müller (Didot), Script. rer. Alex. p. 66.
25. Fragm.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0138" n="127"/><fw place="top" type="header">Phy&#x017F;iologus.</fw><lb/>
unter einem Namen gekommen &#x017F;ein mag, welcher kaum mit Sicherheit<lb/>
auf eine be&#x017F;timmte Art zu beziehen i&#x017F;t, i&#x017F;t trotz der großen Ueberein-<lb/>
&#x017F;timmung zweifelhaft. Da&#x017F;&#x017F;elbe Thier wird auch in den Commentaren<lb/>
zu dem Sechstagewerk der Schöpfung erwähnt (z. B. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118682741">Eu&#x017F;tathius</persName>);<lb/>
auch wird hier gleichfalls angegeben, daß es mit erhobenen Schwingen<lb/>
(oder Flo&#x017F;&#x017F;en) mit voll unter Segel gehenden Schiffen gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen<lb/>
wett&#x017F;chwimme, bis es ermüdet umkehre. An die Echeneis kann wohl<lb/>
eben&#x017F;o wenig gedacht werden, als an die Argonauta.</p><lb/>
          <p>Die Schilderung des <hi rendition="#g">Steinbockes</hi> (<hi rendition="#aq">caprea, dorcas</hi> oder<lb/><hi rendition="#aq">dor-<lb/>
con</hi> gr.), welcher in der Bibel an mehreren Stellen erwähnt wird,<lb/>
&#x017F;chließt &#x017F;ich am mei&#x017F;ten an Hohes Lied 8, 14. Auf &#x017F;ein &#x017F;charfes Ge&#x017F;icht<lb/>
wei&#x017F;en &#x017F;chon ältere Etymologien &#x017F;eines griechi&#x017F;chen Namens, von wel-<lb/>
chem al&#x017F;o auch wahr&#x017F;cheinlich die Deutung ausgieng. <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118595083">Plinius</persName></hi> &#x017F;agt<lb/>
gar, daß er &#x017F;elb&#x017F;t des Nachts &#x017F;ähe (28, 11).</p><lb/>
          <p>Die Sage von einem großen <hi rendition="#g">Walfi&#x017F;ch</hi> findet &#x017F;ich mit den beiden<lb/>
im Phy&#x017F;iologus erwähnten Zügen bei <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118637797">Ba&#x017F;ilius</persName></hi> und<lb/><hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118682741">Eu&#x017F;tathius</persName></hi><lb/>
gelegentlich des Schöpfungsberichtes<note place="foot" n="51)"><hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118637797">Ba&#x017F;ilius</persName></hi> in der 7. Homilie zu 1. Mo&#x017F;e 1, 20, 21 (<hi rendition="#aq">Opera ed. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/124182674">Garnier</persName>,<lb/>
Paris, 1721. Tom. I. p. 68</hi>); <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118682741">Eu&#x017F;tathius</persName></hi> im Commentar zum Hexaemeron<lb/>
(<hi rendition="#aq">ed. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118846566">Leo Allatius</persName>. Lugduni, 1729. p. 19</hi>). Der Name &#x1F00;&#x03C3;&#x03C0;&#x03B9;&#x03B4;&#x03BF;&#x03C7;&#x03B5;&#x03BB;&#x1F7D;&#x03BD;&#x03B7; kehrt über-<lb/>
all wieder, zum Theil ver&#x017F;tümmelt, <hi rendition="#aq">aspidohelune, aspis,</hi> &#x017F;yri&#x017F;ch <hi rendition="#aq">espes,</hi> angel&#x017F;äch-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;ch <hi rendition="#aq">fastitocalon,</hi> in einer Leipziger lateini&#x017F;chen Hand&#x017F;chrift <hi rendition="#aq">fastilon,</hi> isländi&#x017F;ch<lb/><hi rendition="#aq">aspedo.</hi> Den im altfranzö&#x017F;i&#x017F;chen pro&#x017F;ai&#x017F;chen Phy&#x017F;iologus des Pierre Picard vor-<lb/>
kommenden Namen <hi rendition="#aq">Lacovie</hi> betrachtet <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/138701709">Cahier</persName></hi> als Umwandlung von <hi rendition="#aq">Maclovie</hi><lb/>
und bringt ihn mit der Legende in Verbindung, nach welcher S. Malo (Maclovius)<lb/>
auf dem Rücken eines &#x017F;olchen Walfi&#x017F;ches die Me&#x017F;&#x017F;e gele&#x017F;en haben &#x017F;oll.</note>, die gleich zu erwähnende Ge-<lb/>
&#x017F;chichte von der In&#x017F;elbildung &#x017F;chon bei <hi rendition="#g">Nearchus</hi>, dem Zeitgeno&#x017F;&#x017F;en<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118501828">Alexander</persName>'s des Großen<note place="foot" n="52)">in der Ausgabe von <persName ref="http://d-nb.info/gnd/11954153X">C. Müller</persName> (Didot), <hi rendition="#aq">Script. rer. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118501828">Alex</persName>. p. 66.</hi><lb/>
25. Fragm.</note>. Sie wird von allen Bearbeitungen des<lb/>
Phy&#x017F;iologus wiedergegeben mit Ausnahme der &#x017F;päteren lateini&#x017F;chen und<lb/>
der althochdeut&#x017F;chen, vielleicht weil am Ent&#x017F;tehungsorte die&#x017F;er eine Be-<lb/>
kannt&#x017F;chaft mit dem Meere und &#x017F;einer Bewohner kaum vorausge&#x017F;etzt<lb/>
werden konnte. Der Walfi&#x017F;ch &#x017F;oll &#x017F;o groß werden, daß er mit dem<lb/>
Rücken aus dem Wa&#x017F;&#x017F;er emporragend von den Schiffern für eine In&#x017F;el<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0138] Phyſiologus. unter einem Namen gekommen ſein mag, welcher kaum mit Sicherheit auf eine beſtimmte Art zu beziehen iſt, iſt trotz der großen Ueberein- ſtimmung zweifelhaft. Daſſelbe Thier wird auch in den Commentaren zu dem Sechstagewerk der Schöpfung erwähnt (z. B. Euſtathius); auch wird hier gleichfalls angegeben, daß es mit erhobenen Schwingen (oder Floſſen) mit voll unter Segel gehenden Schiffen gewiſſermaßen wettſchwimme, bis es ermüdet umkehre. An die Echeneis kann wohl ebenſo wenig gedacht werden, als an die Argonauta. Die Schilderung des Steinbockes (caprea, dorcas oder dor- con gr.), welcher in der Bibel an mehreren Stellen erwähnt wird, ſchließt ſich am meiſten an Hohes Lied 8, 14. Auf ſein ſcharfes Geſicht weiſen ſchon ältere Etymologien ſeines griechiſchen Namens, von wel- chem alſo auch wahrſcheinlich die Deutung ausgieng. Plinius ſagt gar, daß er ſelbſt des Nachts ſähe (28, 11). Die Sage von einem großen Walfiſch findet ſich mit den beiden im Phyſiologus erwähnten Zügen bei Baſilius und Euſtathius gelegentlich des Schöpfungsberichtes 51), die gleich zu erwähnende Ge- ſchichte von der Inſelbildung ſchon bei Nearchus, dem Zeitgenoſſen Alexander's des Großen 52). Sie wird von allen Bearbeitungen des Phyſiologus wiedergegeben mit Ausnahme der ſpäteren lateiniſchen und der althochdeutſchen, vielleicht weil am Entſtehungsorte dieſer eine Be- kanntſchaft mit dem Meere und ſeiner Bewohner kaum vorausgeſetzt werden konnte. Der Walfiſch ſoll ſo groß werden, daß er mit dem Rücken aus dem Waſſer emporragend von den Schiffern für eine Inſel 51) Baſilius in der 7. Homilie zu 1. Moſe 1, 20, 21 (Opera ed. Garnier, Paris, 1721. Tom. I. p. 68); Euſtathius im Commentar zum Hexaemeron (ed. Leo Allatius. Lugduni, 1729. p. 19). Der Name ἀσπιδοχελώνη kehrt über- all wieder, zum Theil verſtümmelt, aspidohelune, aspis, ſyriſch espes, angelſäch- ſiſch fastitocalon, in einer Leipziger lateiniſchen Handſchrift fastilon, isländiſch aspedo. Den im altfranzöſiſchen proſaiſchen Phyſiologus des Pierre Picard vor- kommenden Namen Lacovie betrachtet Cahier als Umwandlung von Maclovie und bringt ihn mit der Legende in Verbindung, nach welcher S. Malo (Maclovius) auf dem Rücken eines ſolchen Walfiſches die Meſſe geleſen haben ſoll. 52) in der Ausgabe von C. Müller (Didot), Script. rer. Alex. p. 66. 25. Fragm.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/138
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/138>, abgerufen am 24.11.2024.