naturgeschichtliche Encyklopädie in deutscher Sprache gehabt hat, bewei- sen die außerordentlich zahlreichen Handschriften derselben in süddeut- schen Bibliotheken. Auch wurde dieselbe noch vor 1500 allein sechsmal gedruckt. (s. Choulant a. a. D. S. 33).
Die Anordnung des Stoffes, wie sie Thomas im Allgemeinen ganz logisch vorgenommen hatte, ist bei Conrad vielleicht zum Theil in Folge äußerer Veranlassung eine etwas andere geworden. Er beginnt zwar auch mit dem Menschen, läßt aber dann die beiden Bücher von der Seele und den wunderbaren Menschen weg, um ersteres ganz zu unterdrücken, letzteres ans Ende der ganzen Schrift zu bringen, auf Zureden guter Freunde ("daz wil ich in freundschaft auch her zuo setzen") und gewissermaßen als Anhang. Statt aber nun, wie es Thomas that, die Thiere folgen zu lassen, bringt Conrad die Planeten, Elemente u. s.f. als zweites Hauptstück herein. Das dritte umfaßt dann die Thiere. Ferner versetzt Conrad das dreizehnte, von den Wassern und Brunnen handelnde Buch, welches bei Thomas die anorganische Natur gewisser- maßen einleitet, hinter die Edelsteine und Metalle. Ist hiernach die Ge- sammtform eine verschiedene geworden, so treten auch in den Einzelhei- ten mancherlei Unterschiede hervor. Vor Allem hat Conrad nicht Alles übersetzt, was sich im Original des Thomas findet. Um hier nur bei den Thieren stehn zu bleiben, so fehlen von den vierfüßigen Thieren 41, von den Vögeln 42, von den Meerungeheuern 33, von den Fischen 56, von den Schlangen 4, von den Würmern 17, also im Ganzen 193 von Thomas geschilderte Arten. Das Original war dem Conrad als von Albert dem Großen herrührend überliefert worden, was ihm nicht glaublich scheint. Bei einzelnen Erzählungen tritt der Unterschied der verschiedenen Jahrhunderte ziemlich auffallend hervor; natürlich ist das spätere das aufgeklärtere. Manche von Thomas seinen Gewährs- männern ohne Kritik nacherzählte Eigenthümlichkeit weist Conrad ein- fach als nicht zu glauben zurück. Doch ist er immer noch so weit vom Aberglauben befangen, daß er an wunderbare Heilwirkungen, Beschwö- rungen und Zauberei glaubt. Die Zahl der bei Conrad vorkommenden Quellenschriftsteller ist selbstverständlich ungleich geringer, als bei Tho- mas; doch sind es im Ganzen dieselben, auf welche sich auch Thomas
Die Zoologie des Mittelalters.
naturgeſchichtliche Encyklopädie in deutſcher Sprache gehabt hat, bewei- ſen die außerordentlich zahlreichen Handſchriften derſelben in ſüddeut- ſchen Bibliotheken. Auch wurde dieſelbe noch vor 1500 allein ſechsmal gedruckt. (ſ. Choulant a. a. D. S. 33).
Die Anordnung des Stoffes, wie ſie Thomas im Allgemeinen ganz logiſch vorgenommen hatte, iſt bei Conrad vielleicht zum Theil in Folge äußerer Veranlaſſung eine etwas andere geworden. Er beginnt zwar auch mit dem Menſchen, läßt aber dann die beiden Bücher von der Seele und den wunderbaren Menſchen weg, um erſteres ganz zu unterdrücken, letzteres ans Ende der ganzen Schrift zu bringen, auf Zureden guter Freunde („daz wil ich in freundſchaft auch her zuo ſetzen“) und gewiſſermaßen als Anhang. Statt aber nun, wie es Thomas that, die Thiere folgen zu laſſen, bringt Conrad die Planeten, Elemente u. ſ.f. als zweites Hauptſtück herein. Das dritte umfaßt dann die Thiere. Ferner verſetzt Conrad das dreizehnte, von den Waſſern und Brunnen handelnde Buch, welches bei Thomas die anorganiſche Natur gewiſſer- maßen einleitet, hinter die Edelſteine und Metalle. Iſt hiernach die Ge- ſammtform eine verſchiedene geworden, ſo treten auch in den Einzelhei- ten mancherlei Unterſchiede hervor. Vor Allem hat Conrad nicht Alles überſetzt, was ſich im Original des Thomas findet. Um hier nur bei den Thieren ſtehn zu bleiben, ſo fehlen von den vierfüßigen Thieren 41, von den Vögeln 42, von den Meerungeheuern 33, von den Fiſchen 56, von den Schlangen 4, von den Würmern 17, alſo im Ganzen 193 von Thomas geſchilderte Arten. Das Original war dem Conrad als von Albert dem Großen herrührend überliefert worden, was ihm nicht glaublich ſcheint. Bei einzelnen Erzählungen tritt der Unterſchied der verſchiedenen Jahrhunderte ziemlich auffallend hervor; natürlich iſt das ſpätere das aufgeklärtere. Manche von Thomas ſeinen Gewährs- männern ohne Kritik nacherzählte Eigenthümlichkeit weiſt Conrad ein- fach als nicht zu glauben zurück. Doch iſt er immer noch ſo weit vom Aberglauben befangen, daß er an wunderbare Heilwirkungen, Beſchwö- rungen und Zauberei glaubt. Die Zahl der bei Conrad vorkommenden Quellenſchriftſteller iſt ſelbſtverſtändlich ungleich geringer, als bei Tho- mas; doch ſind es im Ganzen dieſelben, auf welche ſich auch Thomas
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Die Zoologie des Mittelalters.
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ſchen Bibliotheken. Auch wurde dieſelbe noch vor 1500 allein ſechsmal
gedruckt. (ſ. Choulant a. a. D. S. 33).
Die Anordnung des Stoffes, wie ſie Thomas im Allgemeinen
ganz logiſch vorgenommen hatte, iſt bei Conrad vielleicht zum Theil in
Folge äußerer Veranlaſſung eine etwas andere geworden. Er beginnt
zwar auch mit dem Menſchen, läßt aber dann die beiden Bücher von
der Seele und den wunderbaren Menſchen weg, um erſteres ganz zu
unterdrücken, letzteres ans Ende der ganzen Schrift zu bringen, auf
Zureden guter Freunde („daz wil ich in freundſchaft auch her zuo ſetzen“)
und gewiſſermaßen als Anhang. Statt aber nun, wie es Thomas that,
die Thiere folgen zu laſſen, bringt Conrad die Planeten, Elemente u.
ſ.f. als zweites Hauptſtück herein. Das dritte umfaßt dann die Thiere.
Ferner verſetzt Conrad das dreizehnte, von den Waſſern und Brunnen
handelnde Buch, welches bei Thomas die anorganiſche Natur gewiſſer-
maßen einleitet, hinter die Edelſteine und Metalle. Iſt hiernach die Ge-
ſammtform eine verſchiedene geworden, ſo treten auch in den Einzelhei-
ten mancherlei Unterſchiede hervor. Vor Allem hat Conrad nicht Alles
überſetzt, was ſich im Original des Thomas findet. Um hier nur bei
den Thieren ſtehn zu bleiben, ſo fehlen von den vierfüßigen Thieren 41,
von den Vögeln 42, von den Meerungeheuern 33, von den Fiſchen
56, von den Schlangen 4, von den Würmern 17, alſo im Ganzen
193 von Thomas geſchilderte Arten. Das Original war dem Conrad
als von Albert dem Großen herrührend überliefert worden, was ihm
nicht glaublich ſcheint. Bei einzelnen Erzählungen tritt der Unterſchied
der verſchiedenen Jahrhunderte ziemlich auffallend hervor; natürlich iſt
das ſpätere das aufgeklärtere. Manche von Thomas ſeinen Gewährs-
männern ohne Kritik nacherzählte Eigenthümlichkeit weiſt Conrad ein-
fach als nicht zu glauben zurück. Doch iſt er immer noch ſo weit vom
Aberglauben befangen, daß er an wunderbare Heilwirkungen, Beſchwö-
rungen und Zauberei glaubt. Die Zahl der bei Conrad vorkommenden
Quellenſchriftſteller iſt ſelbſtverſtändlich ungleich geringer, als bei Tho-
mas; doch ſind es im Ganzen dieſelben, auf welche ſich auch Thomas
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/261>, abgerufen am 22.11.2024.
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