matorischen Ideen auf den Umschwung des Zeitgeistes nicht unterschätzt werden. Und der vierte, gleich geachtet als Arzt wie als Theolog, be- tont zum ersten male wieder seit Albert dem Großen, daß die Erkennt- niß mit der Natur, diesem "unverfälschbaren Buche Gottes" zu begin- nen habe.
Auch hier ist es aber nicht zu erwarten, daß sich die Forschung sofort, mit Beiseitelassung alles Dessen, was nicht bloß dem Studium den herkömmlichen Charakter einer gelehrten Beschäftigung verlieh, son- dern auch den historischen Zusammenhang mit Früherem bedingte, allein und ausschließlich an die Natur direct gewendet haben sollte. Man knüpfte an die Alten an, aber in einer gereinigten, unverfälschteren Form. Das leichtlebigere, durch eine größere Zahl kleiner selbständiger Höfe dem Erblühn wissenschaftlichen Lebens günstigere, auch niemals so vollkommen von den Netzen des Scholasticismus umstrickt gewesene Italien ließ zuerst eine neue Richtung zum Durchbruch gelangen. Hier, wo freilich antike Bildung, aber nicht die an eine solche sich anlehnende Tradition untergegangen war, hatte bereits Dante die Begeiste- rung für das klassische Alterthum geweckt. Nahrung fand dieselbe aber erst dann, als besonders durch Petrarca und Bocaccio die Schätze der alten Litteratur nach und nach an's Licht gezogen wurden. Ein glücklicher Zufall war es, daß in dieser Zeit die Bedrängnisse des byzantinischen Kaiserthums Veranlassung boten, gebildete Griechen als Gesandte nach Italien und Avignon zu senden, um entweder für eine Vereinigung der beiden Kirchen oder wenigstens für eine Hülfeleistung der Lateiner gegen die immer drohender heranrückenden Türken thätig zu sein. Dem unbedeutenderen Barlaam folgte der als Lehrer wirksamere Chrysoloras. Später erschienen Georg von Trapezunt, Bessarion und der für die Geschichte der Zoologie als erster griechisch und lateinisch gebildeter Uebersetzer der aristotelischen Thierbücher epochemachende Theodor Gaza, welcher 1430 nach Italien kam. Groß ist die Zahl der Männer, welche die in Italien erwachenden Studien nach Deutschland verpflanzten. Von allen diesen mögen hier nur Conrad Celtes, Eras- mus von Rotterdam, Johann Reuchlin, Ulrich von Hutten, und Phi- lipp Melanchthon genannt werden. Die Geschichte ihrer Thätigkeit
Die Zoologie des Mittelalters.
matoriſchen Ideen auf den Umſchwung des Zeitgeiſtes nicht unterſchätzt werden. Und der vierte, gleich geachtet als Arzt wie als Theolog, be- tont zum erſten male wieder ſeit Albert dem Großen, daß die Erkennt- niß mit der Natur, dieſem „unverfälſchbaren Buche Gottes“ zu begin- nen habe.
Auch hier iſt es aber nicht zu erwarten, daß ſich die Forſchung ſofort, mit Beiſeitelaſſung alles Deſſen, was nicht bloß dem Studium den herkömmlichen Charakter einer gelehrten Beſchäftigung verlieh, ſon- dern auch den hiſtoriſchen Zuſammenhang mit Früherem bedingte, allein und ausſchließlich an die Natur direct gewendet haben ſollte. Man knüpfte an die Alten an, aber in einer gereinigten, unverfälſchteren Form. Das leichtlebigere, durch eine größere Zahl kleiner ſelbſtändiger Höfe dem Erblühn wiſſenſchaftlichen Lebens günſtigere, auch niemals ſo vollkommen von den Netzen des Scholaſticismus umſtrickt geweſene Italien ließ zuerſt eine neue Richtung zum Durchbruch gelangen. Hier, wo freilich antike Bildung, aber nicht die an eine ſolche ſich anlehnende Tradition untergegangen war, hatte bereits Dante die Begeiſte- rung für das klaſſiſche Alterthum geweckt. Nahrung fand dieſelbe aber erſt dann, als beſonders durch Petrarca und Bocaccio die Schätze der alten Litteratur nach und nach an's Licht gezogen wurden. Ein glücklicher Zufall war es, daß in dieſer Zeit die Bedrängniſſe des byzantiniſchen Kaiſerthums Veranlaſſung boten, gebildete Griechen als Geſandte nach Italien und Avignon zu ſenden, um entweder für eine Vereinigung der beiden Kirchen oder wenigſtens für eine Hülfeleiſtung der Lateiner gegen die immer drohender heranrückenden Türken thätig zu ſein. Dem unbedeutenderen Barlaam folgte der als Lehrer wirkſamere Chryſoloras. Später erſchienen Georg von Trapezunt, Beſſarion und der für die Geſchichte der Zoologie als erſter griechiſch und lateiniſch gebildeter Ueberſetzer der ariſtoteliſchen Thierbücher epochemachende Theodor Gaza, welcher 1430 nach Italien kam. Groß iſt die Zahl der Männer, welche die in Italien erwachenden Studien nach Deutſchland verpflanzten. Von allen dieſen mögen hier nur Conrad Celtes, Eras- mus von Rotterdam, Johann Reuchlin, Ulrich von Hutten, und Phi- lipp Melanchthon genannt werden. Die Geſchichte ihrer Thätigkeit
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Die Zoologie des Mittelalters.
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werden. Und der vierte, gleich geachtet als Arzt wie als Theolog, be-
tont zum erſten male wieder ſeit Albert dem Großen, daß die Erkennt-
niß mit der Natur, dieſem „unverfälſchbaren Buche Gottes“ zu begin-
nen habe.
Auch hier iſt es aber nicht zu erwarten, daß ſich die Forſchung
ſofort, mit Beiſeitelaſſung alles Deſſen, was nicht bloß dem Studium
den herkömmlichen Charakter einer gelehrten Beſchäftigung verlieh, ſon-
dern auch den hiſtoriſchen Zuſammenhang mit Früherem bedingte, allein
und ausſchließlich an die Natur direct gewendet haben ſollte. Man
knüpfte an die Alten an, aber in einer gereinigten, unverfälſchteren
Form. Das leichtlebigere, durch eine größere Zahl kleiner ſelbſtändiger
Höfe dem Erblühn wiſſenſchaftlichen Lebens günſtigere, auch niemals
ſo vollkommen von den Netzen des Scholaſticismus umſtrickt geweſene
Italien ließ zuerſt eine neue Richtung zum Durchbruch gelangen. Hier,
wo freilich antike Bildung, aber nicht die an eine ſolche ſich anlehnende
Tradition untergegangen war, hatte bereits Dante die Begeiſte-
rung für das klaſſiſche Alterthum geweckt. Nahrung fand dieſelbe
aber erſt dann, als beſonders durch Petrarca und Bocaccio die
Schätze der alten Litteratur nach und nach an's Licht gezogen wurden.
Ein glücklicher Zufall war es, daß in dieſer Zeit die Bedrängniſſe des
byzantiniſchen Kaiſerthums Veranlaſſung boten, gebildete Griechen als
Geſandte nach Italien und Avignon zu ſenden, um entweder für eine
Vereinigung der beiden Kirchen oder wenigſtens für eine Hülfeleiſtung
der Lateiner gegen die immer drohender heranrückenden Türken thätig zu
ſein. Dem unbedeutenderen Barlaam folgte der als Lehrer wirkſamere
Chryſoloras. Später erſchienen Georg von Trapezunt, Beſſarion und
der für die Geſchichte der Zoologie als erſter griechiſch und lateiniſch
gebildeter Ueberſetzer der ariſtoteliſchen Thierbücher epochemachende
Theodor Gaza, welcher 1430 nach Italien kam. Groß iſt die Zahl der
Männer, welche die in Italien erwachenden Studien nach Deutſchland
verpflanzten. Von allen dieſen mögen hier nur Conrad Celtes, Eras-
mus von Rotterdam, Johann Reuchlin, Ulrich von Hutten, und Phi-
lipp Melanchthon genannt werden. Die Geſchichte ihrer Thätigkeit
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/267>, abgerufen am 22.11.2024.
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