Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Zoologische Kenntnisse des Alterthums.
erst allmählich zu einem besondern Stand erstehender Gelehrten, sei es
durch Gründung rein wissenschaftlicher Unterrichtsanstalten24).

Wie sich dies im Mittelalter bewahrheitet, wo nur die andern
Bestrebungen zugewendeten religiösen Körperschaften den Bestand des
Wissens zu bewahren die Fähigkeit und, wie man dann gern sagt, die
Aufgabe hatten, bis zunächst sie die Neubelebung auch der Naturwis-
senschaften fördern halfen, so gilt dies in gleich strenger Weise für das
frühe Alterthum. Enthalten auch ohne Zweifel die religiös-poetischen
Bücher sowohl der Inder als der Hebräer, ebenso die großen epischen
Dichtungen manchen Zug, welcher auf eine nähere Bekanntschaft mit
der Natur der Thiere schließen läßt, so sind doch naturwissenschaftliche
Betrachtungen ihnen fremd. Die hohe Achtung und religiöse Ehrfurcht,
mit welcher die Bibel angesehen wird, hat es häufig veranlaßt, von ihr
aus die Geschichte beginnen zu lassen. Sieht man aber von der Er-
währung einer Anzahl von Thieren ab, so kann man aus ihr höchstens
ein Urtheil über die Naturanschauung der alten Hebräer sich bilden.
In der mosaischen Schöpfungsgeschichte werden die Thiere zwar in
verschiedenen Gruppen aufgeführt, wie: kleine Wasserthiere, größere
Wasserthiere, Vögel, vierfüßige Thiere, Gewürm, ebenso bei der noachi-
schen Fluth. Indeß soll dies selbstverständlich kein Versuch zu einer
Eintheilung der Thiere sein im Sinne eines zoologischen Systems.
Der Theilung der Thiere in reine und unreine, bei welcher das Wie-
derkäuen und die gespaltenen Klauen erwähnt werden (3. Mos. 11. Cap.)
liegt theils alter Gebrauch, theils wahrscheinlich jene dem Alterthum
charakteristische Auffassung des Unterschieds zwischen Menschen und
Thier zu Grunde, welche in einer weiteren Entwickelung zu jener "wun-
derbaren Annahme der Seelenwanderung" führt. Fehlen auch in der
Bibel Anklänge an die Fabeln und Sagen, welche sich mehr oder we-
niger eng an Beobachtungen des Thierlebens anschließen, so ist sie doch
reich an Bildern und Gleichnissen, deren Ausgangspunkte Thiere sind;

24) Auf diese Abhängigkeit der Entwickelung wissenschaftlichen Lebens vom
Wohlstand haben bereits Tennemann (Geschichte der Philosophie, Bd. 1. S. 30),
neuerdings auch H. Th. Buckle (History of civilization in England. Vol. I.
Chapt. II.
Leipzig, 1865, S. 38) aufmerksam gemacht.

Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
erſt allmählich zu einem beſondern Stand erſtehender Gelehrten, ſei es
durch Gründung rein wiſſenſchaftlicher Unterrichtsanſtalten24).

Wie ſich dies im Mittelalter bewahrheitet, wo nur die andern
Beſtrebungen zugewendeten religiöſen Körperſchaften den Beſtand des
Wiſſens zu bewahren die Fähigkeit und, wie man dann gern ſagt, die
Aufgabe hatten, bis zunächſt ſie die Neubelebung auch der Naturwiſ-
ſenſchaften fördern halfen, ſo gilt dies in gleich ſtrenger Weiſe für das
frühe Alterthum. Enthalten auch ohne Zweifel die religiös-poetiſchen
Bücher ſowohl der Inder als der Hebräer, ebenſo die großen epiſchen
Dichtungen manchen Zug, welcher auf eine nähere Bekanntſchaft mit
der Natur der Thiere ſchließen läßt, ſo ſind doch naturwiſſenſchaftliche
Betrachtungen ihnen fremd. Die hohe Achtung und religiöſe Ehrfurcht,
mit welcher die Bibel angeſehen wird, hat es häufig veranlaßt, von ihr
aus die Geſchichte beginnen zu laſſen. Sieht man aber von der Er-
währung einer Anzahl von Thieren ab, ſo kann man aus ihr höchſtens
ein Urtheil über die Naturanſchauung der alten Hebräer ſich bilden.
In der moſaiſchen Schöpfungsgeſchichte werden die Thiere zwar in
verſchiedenen Gruppen aufgeführt, wie: kleine Waſſerthiere, größere
Waſſerthiere, Vögel, vierfüßige Thiere, Gewürm, ebenſo bei der noachi-
ſchen Fluth. Indeß ſoll dies ſelbſtverſtändlich kein Verſuch zu einer
Eintheilung der Thiere ſein im Sinne eines zoologiſchen Syſtems.
Der Theilung der Thiere in reine und unreine, bei welcher das Wie-
derkäuen und die geſpaltenen Klauen erwähnt werden (3. Moſ. 11. Cap.)
liegt theils alter Gebrauch, theils wahrſcheinlich jene dem Alterthum
charakteriſtiſche Auffaſſung des Unterſchieds zwiſchen Menſchen und
Thier zu Grunde, welche in einer weiteren Entwickelung zu jener „wun-
derbaren Annahme der Seelenwanderung“ führt. Fehlen auch in der
Bibel Anklänge an die Fabeln und Sagen, welche ſich mehr oder we-
niger eng an Beobachtungen des Thierlebens anſchließen, ſo iſt ſie doch
reich an Bildern und Gleichniſſen, deren Ausgangspunkte Thiere ſind;

24) Auf dieſe Abhängigkeit der Entwickelung wiſſenſchaftlichen Lebens vom
Wohlſtand haben bereits Tennemann (Geſchichte der Philoſophie, Bd. 1. S. 30),
neuerdings auch H. Th. Buckle (History of civilization in England. Vol. I.
Chapt. II.
Leipzig, 1865, S. 38) aufmerkſam gemacht.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0035" n="24"/><fw place="top" type="header">Zoologi&#x017F;che Kenntni&#x017F;&#x017F;e des Alterthums.</fw><lb/>
er&#x017F;t allmählich zu einem be&#x017F;ondern Stand er&#x017F;tehender Gelehrten, &#x017F;ei es<lb/>
durch Gründung rein wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlicher Unterrichtsan&#x017F;talten<note place="foot" n="24)">Auf die&#x017F;e Abhängigkeit der Entwickelung wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Lebens vom<lb/>
Wohl&#x017F;tand haben bereits <hi rendition="#g">Tennemann</hi> (Ge&#x017F;chichte der Philo&#x017F;ophie, Bd. 1. S. 30),<lb/>
neuerdings auch <hi rendition="#aq">H. Th. <hi rendition="#g">Buckle</hi> (History of civilization in England. Vol. I.<lb/>
Chapt. II.</hi> Leipzig, 1865, S. 38) aufmerk&#x017F;am gemacht.</note>.</p><lb/>
            <p>Wie &#x017F;ich dies im Mittelalter bewahrheitet, wo nur die andern<lb/>
Be&#x017F;trebungen zugewendeten religiö&#x017F;en Körper&#x017F;chaften den Be&#x017F;tand des<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;ens zu bewahren die Fähigkeit und, wie man dann gern &#x017F;agt, die<lb/>
Aufgabe hatten, bis zunäch&#x017F;t &#x017F;ie die Neubelebung auch der Naturwi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en&#x017F;chaften fördern halfen, &#x017F;o gilt dies in gleich &#x017F;trenger Wei&#x017F;e für das<lb/>
frühe Alterthum. Enthalten auch ohne Zweifel die religiös-poeti&#x017F;chen<lb/>
Bücher &#x017F;owohl der Inder als der Hebräer, eben&#x017F;o die großen epi&#x017F;chen<lb/>
Dichtungen manchen Zug, welcher auf eine nähere Bekannt&#x017F;chaft mit<lb/>
der Natur der Thiere &#x017F;chließen läßt, &#x017F;o &#x017F;ind doch naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche<lb/>
Betrachtungen ihnen fremd. Die hohe Achtung und religiö&#x017F;e Ehrfurcht,<lb/>
mit welcher die Bibel ange&#x017F;ehen wird, hat es häufig veranlaßt, von ihr<lb/>
aus die Ge&#x017F;chichte beginnen zu la&#x017F;&#x017F;en. Sieht man aber von der Er-<lb/>
währung einer Anzahl von Thieren ab, &#x017F;o kann man aus ihr höch&#x017F;tens<lb/>
ein Urtheil über die Naturan&#x017F;chauung der alten Hebräer &#x017F;ich bilden.<lb/>
In der mo&#x017F;ai&#x017F;chen Schöpfungsge&#x017F;chichte werden die Thiere zwar in<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Gruppen aufgeführt, wie: kleine Wa&#x017F;&#x017F;erthiere, größere<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;erthiere, Vögel, vierfüßige Thiere, Gewürm, eben&#x017F;o bei der noachi-<lb/>
&#x017F;chen Fluth. Indeß &#x017F;oll dies &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich kein Ver&#x017F;uch zu einer<lb/>
Eintheilung der Thiere &#x017F;ein im Sinne eines zoologi&#x017F;chen Sy&#x017F;tems.<lb/>
Der Theilung der Thiere in reine und unreine, bei welcher das Wie-<lb/>
derkäuen und die ge&#x017F;paltenen Klauen erwähnt werden (3. Mo&#x017F;. 11. Cap.)<lb/>
liegt theils alter Gebrauch, theils wahr&#x017F;cheinlich jene dem Alterthum<lb/>
charakteri&#x017F;ti&#x017F;che Auffa&#x017F;&#x017F;ung des Unter&#x017F;chieds zwi&#x017F;chen Men&#x017F;chen und<lb/>
Thier zu Grunde, welche in einer weiteren Entwickelung zu jener &#x201E;wun-<lb/>
derbaren Annahme der Seelenwanderung&#x201C; führt. Fehlen auch in der<lb/>
Bibel Anklänge an die Fabeln und Sagen, welche &#x017F;ich mehr oder we-<lb/>
niger eng an Beobachtungen des Thierlebens an&#x017F;chließen, &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie doch<lb/>
reich an Bildern und Gleichni&#x017F;&#x017F;en, deren Ausgangspunkte Thiere &#x017F;ind;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0035] Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums. erſt allmählich zu einem beſondern Stand erſtehender Gelehrten, ſei es durch Gründung rein wiſſenſchaftlicher Unterrichtsanſtalten 24). Wie ſich dies im Mittelalter bewahrheitet, wo nur die andern Beſtrebungen zugewendeten religiöſen Körperſchaften den Beſtand des Wiſſens zu bewahren die Fähigkeit und, wie man dann gern ſagt, die Aufgabe hatten, bis zunächſt ſie die Neubelebung auch der Naturwiſ- ſenſchaften fördern halfen, ſo gilt dies in gleich ſtrenger Weiſe für das frühe Alterthum. Enthalten auch ohne Zweifel die religiös-poetiſchen Bücher ſowohl der Inder als der Hebräer, ebenſo die großen epiſchen Dichtungen manchen Zug, welcher auf eine nähere Bekanntſchaft mit der Natur der Thiere ſchließen läßt, ſo ſind doch naturwiſſenſchaftliche Betrachtungen ihnen fremd. Die hohe Achtung und religiöſe Ehrfurcht, mit welcher die Bibel angeſehen wird, hat es häufig veranlaßt, von ihr aus die Geſchichte beginnen zu laſſen. Sieht man aber von der Er- währung einer Anzahl von Thieren ab, ſo kann man aus ihr höchſtens ein Urtheil über die Naturanſchauung der alten Hebräer ſich bilden. In der moſaiſchen Schöpfungsgeſchichte werden die Thiere zwar in verſchiedenen Gruppen aufgeführt, wie: kleine Waſſerthiere, größere Waſſerthiere, Vögel, vierfüßige Thiere, Gewürm, ebenſo bei der noachi- ſchen Fluth. Indeß ſoll dies ſelbſtverſtändlich kein Verſuch zu einer Eintheilung der Thiere ſein im Sinne eines zoologiſchen Syſtems. Der Theilung der Thiere in reine und unreine, bei welcher das Wie- derkäuen und die geſpaltenen Klauen erwähnt werden (3. Moſ. 11. Cap.) liegt theils alter Gebrauch, theils wahrſcheinlich jene dem Alterthum charakteriſtiſche Auffaſſung des Unterſchieds zwiſchen Menſchen und Thier zu Grunde, welche in einer weiteren Entwickelung zu jener „wun- derbaren Annahme der Seelenwanderung“ führt. Fehlen auch in der Bibel Anklänge an die Fabeln und Sagen, welche ſich mehr oder we- niger eng an Beobachtungen des Thierlebens anſchließen, ſo iſt ſie doch reich an Bildern und Gleichniſſen, deren Ausgangspunkte Thiere ſind; 24) Auf dieſe Abhängigkeit der Entwickelung wiſſenſchaftlichen Lebens vom Wohlſtand haben bereits Tennemann (Geſchichte der Philoſophie, Bd. 1. S. 30), neuerdings auch H. Th. Buckle (History of civilization in England. Vol. I. Chapt. II. Leipzig, 1865, S. 38) aufmerkſam gemacht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/35
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/35>, abgerufen am 21.11.2024.