rungen sind133). Doch verfällt Willis hier in denselben Fehler, wie zahlreiche Spätere, die vom Menschen und den höheren Wirbelthieren her bekannten Formenverhältnisse bei niedern Thieren wiederfinden zu wollen. Durch ähnliche, aber durchaus nicht Willis allein Schuld zu gebende Misgriffe ist der Grund der oft widersinnigen Namengebung gelegt worden, wie sie bis weit in die neuere Zeit herein in der Zoo- tomie herrschte.
Nun ist aber trotz aller Einseitigkeit, mit welcher hier zootomische Arbeiten ausgeführt wurden, nicht zu übersehen, daß dieselben auch einen ganz directen Einfluß auf die Entwickelung der Anatomie gewon- nen hatten. Wurden doch z. B. vom letztgenannten Willis Beweise für den Kreislauf des Blutes besonders aus der Thieranatomie beigebracht. Ein Fortschritt in der Erkenntniß des Baues der Thiere konnte aber ohne Sichtung der allgemeinen anatomischen Anschauungen nicht eintreten. Und so war die eben gerügte Einseitigkeit in gewissem Sinne auch wieder von großem Vortheil für die Anatomie der Thiere. Es sei hier nur an die Wirkung Harvey's von diesem Gesichtspunkte aus erinnert. Er sicherte durch seine Lehre vom Kreislauf nicht bloß zuerst die Deutung der einzelnen Abtheilungen des Gefäßsystems, sondern legte auch durch seine Untersuchungen über Entwickelungsgeschichte und den im Anschluß an diese gethanen berühmten Ausspruch "omne vivum ex ovo" den Grund, auf dem sich später allein die genetische Methode erheben konnte.
Nach alle dem muß allerdings zugegeben werden, daß von einer Gründung der Morphologie als Wissenschaft der thierischen Form in diesem Zeitraum noch nicht die Rede sein konnte, mag man nun dabei nur an die äußere Gestaltung des Thierkörpers oder auch an seine Zu- sammensetzung aus bestimmten, in den einzelnen Classen in gesetz- mäßiger Verbindung und Lage auftretenden Theilen denken. Es fehlte hierzu nicht bloß die Einsicht, sei es auch nur in einen einzigen der Hauptbaupläne, welche im Thierreich verwirklicht sind, sondern auch die formelle Verbindung der verschiedenen thierischen Formen zu einem
133)Cerebri anatome. Londini, 1664.
Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
rungen ſind133). Doch verfällt Willis hier in denſelben Fehler, wie zahlreiche Spätere, die vom Menſchen und den höheren Wirbelthieren her bekannten Formenverhältniſſe bei niedern Thieren wiederfinden zu wollen. Durch ähnliche, aber durchaus nicht Willis allein Schuld zu gebende Misgriffe iſt der Grund der oft widerſinnigen Namengebung gelegt worden, wie ſie bis weit in die neuere Zeit herein in der Zoo- tomie herrſchte.
Nun iſt aber trotz aller Einſeitigkeit, mit welcher hier zootomiſche Arbeiten ausgeführt wurden, nicht zu überſehen, daß dieſelben auch einen ganz directen Einfluß auf die Entwickelung der Anatomie gewon- nen hatten. Wurden doch z. B. vom letztgenannten Willis Beweiſe für den Kreislauf des Blutes beſonders aus der Thieranatomie beigebracht. Ein Fortſchritt in der Erkenntniß des Baues der Thiere konnte aber ohne Sichtung der allgemeinen anatomiſchen Anſchauungen nicht eintreten. Und ſo war die eben gerügte Einſeitigkeit in gewiſſem Sinne auch wieder von großem Vortheil für die Anatomie der Thiere. Es ſei hier nur an die Wirkung Harvey's von dieſem Geſichtspunkte aus erinnert. Er ſicherte durch ſeine Lehre vom Kreislauf nicht bloß zuerſt die Deutung der einzelnen Abtheilungen des Gefäßſyſtems, ſondern legte auch durch ſeine Unterſuchungen über Entwickelungsgeſchichte und den im Anſchluß an dieſe gethanen berühmten Ausſpruch »omne vivum ex ovo« den Grund, auf dem ſich ſpäter allein die genetiſche Methode erheben konnte.
Nach alle dem muß allerdings zugegeben werden, daß von einer Gründung der Morphologie als Wiſſenſchaft der thieriſchen Form in dieſem Zeitraum noch nicht die Rede ſein konnte, mag man nun dabei nur an die äußere Geſtaltung des Thierkörpers oder auch an ſeine Zu- ſammenſetzung aus beſtimmten, in den einzelnen Claſſen in geſetz- mäßiger Verbindung und Lage auftretenden Theilen denken. Es fehlte hierzu nicht bloß die Einſicht, ſei es auch nur in einen einzigen der Hauptbaupläne, welche im Thierreich verwirklicht ſind, ſondern auch die formelle Verbindung der verſchiedenen thieriſchen Formen zu einem
133)Cerebri anatome. Londini, 1664.
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Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
rungen ſind 133). Doch verfällt Willis hier in denſelben Fehler, wie
zahlreiche Spätere, die vom Menſchen und den höheren Wirbelthieren
her bekannten Formenverhältniſſe bei niedern Thieren wiederfinden zu
wollen. Durch ähnliche, aber durchaus nicht Willis allein Schuld zu
gebende Misgriffe iſt der Grund der oft widerſinnigen Namengebung
gelegt worden, wie ſie bis weit in die neuere Zeit herein in der Zoo-
tomie herrſchte.
Nun iſt aber trotz aller Einſeitigkeit, mit welcher hier zootomiſche
Arbeiten ausgeführt wurden, nicht zu überſehen, daß dieſelben auch
einen ganz directen Einfluß auf die Entwickelung der Anatomie gewon-
nen hatten. Wurden doch z. B. vom letztgenannten Willis Beweiſe für
den Kreislauf des Blutes beſonders aus der Thieranatomie beigebracht.
Ein Fortſchritt in der Erkenntniß des Baues der Thiere konnte aber ohne
Sichtung der allgemeinen anatomiſchen Anſchauungen nicht eintreten.
Und ſo war die eben gerügte Einſeitigkeit in gewiſſem Sinne auch wieder
von großem Vortheil für die Anatomie der Thiere. Es ſei hier nur an
die Wirkung Harvey's von dieſem Geſichtspunkte aus erinnert. Er
ſicherte durch ſeine Lehre vom Kreislauf nicht bloß zuerſt die Deutung
der einzelnen Abtheilungen des Gefäßſyſtems, ſondern legte auch durch
ſeine Unterſuchungen über Entwickelungsgeſchichte und den im Anſchluß
an dieſe gethanen berühmten Ausſpruch »omne vivum ex ovo« den
Grund, auf dem ſich ſpäter allein die genetiſche Methode erheben
konnte.
Nach alle dem muß allerdings zugegeben werden, daß von einer
Gründung der Morphologie als Wiſſenſchaft der thieriſchen Form in
dieſem Zeitraum noch nicht die Rede ſein konnte, mag man nun dabei
nur an die äußere Geſtaltung des Thierkörpers oder auch an ſeine Zu-
ſammenſetzung aus beſtimmten, in den einzelnen Claſſen in geſetz-
mäßiger Verbindung und Lage auftretenden Theilen denken. Es fehlte
hierzu nicht bloß die Einſicht, ſei es auch nur in einen einzigen der
Hauptbaupläne, welche im Thierreich verwirklicht ſind, ſondern auch
die formelle Verbindung der verſchiedenen thieriſchen Formen zu einem
133) Cerebri anatome. Londini, 1664.
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/395>, abgerufen am 22.11.2024.
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