Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.letzteren liegt aber der hauptsächliche Grund, weshalb seine Arbeiten eine fehlerhafte Richtung einschlugen und falsche Resultate ergaben. Seine Grundsätze sind: die Theorie der Analogen, wonach sich dieselben Theile, wenn auch in mannichfach verschiedener Form und Ausbildung bei allen Thieren finden sollen; die Theorie der Verbindungen oder Zusammenhänge (connexions), wonach dieselben Theile immer in gleicher gegenseitiger Lage und Verbindung auftreten, und das Gesetz des Gleichgewichts der Organe, wonach die Masse des Thierkörpers sich gewissermaßen gleich bleibt, so daß ein Organ sich nur vergrößern oder verkleinern kann, wenn ein anderes sich verkleinert oder vergrößert. Diese Sätze wären nun als leitende Grundgedanken sehr brauchbar ge- wesen, wie sie es auch in andern Händen geworden sind, besonders da durch sie die Vergleichung der Organe als Formbestandtheile des Kör- pers unabhängig von ihrer Function angebahnt wurde. Sie durften aber nur angewendet werden unter Berücksichtigung der Entwickelungs- geschichte und bei Beschränkung der Idee der Gleichheit des Baues auf die durch die Erfahrung gegebenen Baupläne. Was den ersten Punkt betrifft, so hat Geoffroy allerdings an jungen Vögeln die Zusammen- setzung der Gehirnkapsel aus einzelnen Stücken nachgewiesen, welche den Schädelknochen der Säugethiere entsprechen; er verfolgte aber den Entwickelungsproceß nicht eingehend genug und nur mit vorgefaßter Meinung, wenn er z. B. den ursprünglichen Wirbel für ein Rohr oder für einen Ring erklärt und auf diese Auffassung gestützt auch bei Glie- derthieren Wirbel zu finden wähnt. Weil ihm der wichtigste Schlüssel zu der Erklärung mancher Skelettheile somit fehlte, schwankte er auch in seinen Deutungen. So erklärte er den Kiemendeckel früher13) für losgelöste, nicht mehr zur Bildung der Gehirnkapsel verwendete Schei- telbeine, später14) dagegen für die den Gehörknöchelchen analogen Stücke. Am auffallendsten wird der Fehler seiner Verallgemeinerungen, wenn er die Idee der Einheit des Plans nicht bloß auf die anfangs von 13) Annales du Museum. Tom. X. 1807. p. 345. 14) Philosophie anatomique. Tom. I. 1818. p. 15. Der richtigen Deu- tung des Kiemendeckelapparats war schon Blainville näher. Bullet. Soc. philom. 1817. p. 104. 38*
letzteren liegt aber der hauptſächliche Grund, weshalb ſeine Arbeiten eine fehlerhafte Richtung einſchlugen und falſche Reſultate ergaben. Seine Grundſätze ſind: die Theorie der Analogen, wonach ſich dieſelben Theile, wenn auch in mannichfach verſchiedener Form und Ausbildung bei allen Thieren finden ſollen; die Theorie der Verbindungen oder Zuſammenhänge (connexions), wonach dieſelben Theile immer in gleicher gegenſeitiger Lage und Verbindung auftreten, und das Geſetz des Gleichgewichts der Organe, wonach die Maſſe des Thierkörpers ſich gewiſſermaßen gleich bleibt, ſo daß ein Organ ſich nur vergrößern oder verkleinern kann, wenn ein anderes ſich verkleinert oder vergrößert. Dieſe Sätze wären nun als leitende Grundgedanken ſehr brauchbar ge- weſen, wie ſie es auch in andern Händen geworden ſind, beſonders da durch ſie die Vergleichung der Organe als Formbeſtandtheile des Kör- pers unabhängig von ihrer Function angebahnt wurde. Sie durften aber nur angewendet werden unter Berückſichtigung der Entwickelungs- geſchichte und bei Beſchränkung der Idee der Gleichheit des Baues auf die durch die Erfahrung gegebenen Baupläne. Was den erſten Punkt betrifft, ſo hat Geoffroy allerdings an jungen Vögeln die Zuſammen- ſetzung der Gehirnkapſel aus einzelnen Stücken nachgewieſen, welche den Schädelknochen der Säugethiere entſprechen; er verfolgte aber den Entwickelungsproceß nicht eingehend genug und nur mit vorgefaßter Meinung, wenn er z. B. den urſprünglichen Wirbel für ein Rohr oder für einen Ring erklärt und auf dieſe Auffaſſung geſtützt auch bei Glie- derthieren Wirbel zu finden wähnt. Weil ihm der wichtigſte Schlüſſel zu der Erklärung mancher Skelettheile ſomit fehlte, ſchwankte er auch in ſeinen Deutungen. So erklärte er den Kiemendeckel früher13) für losgelöſte, nicht mehr zur Bildung der Gehirnkapſel verwendete Schei- telbeine, ſpäter14) dagegen für die den Gehörknöchelchen analogen Stücke. Am auffallendſten wird der Fehler ſeiner Verallgemeinerungen, wenn er die Idee der Einheit des Plans nicht bloß auf die anfangs von 13) Annales du Muséum. Tom. X. 1807. p. 345. 14) Philosophie anatomique. Tom. I. 1818. p. 15. Der richtigen Deu- tung des Kiemendeckelapparats war ſchon Blainville näher. Bullet. Soc. philom. 1817. p. 104. 38*
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Et. Geoffroy-Saint-Hilaire.
letzteren liegt aber der hauptſächliche Grund, weshalb ſeine Arbeiten
eine fehlerhafte Richtung einſchlugen und falſche Reſultate ergaben.
Seine Grundſätze ſind: die Theorie der Analogen, wonach ſich dieſelben
Theile, wenn auch in mannichfach verſchiedener Form und Ausbildung
bei allen Thieren finden ſollen; die Theorie der Verbindungen oder
Zuſammenhänge (connexions), wonach dieſelben Theile immer in
gleicher gegenſeitiger Lage und Verbindung auftreten, und das Geſetz
des Gleichgewichts der Organe, wonach die Maſſe des Thierkörpers
ſich gewiſſermaßen gleich bleibt, ſo daß ein Organ ſich nur vergrößern
oder verkleinern kann, wenn ein anderes ſich verkleinert oder vergrößert.
Dieſe Sätze wären nun als leitende Grundgedanken ſehr brauchbar ge-
weſen, wie ſie es auch in andern Händen geworden ſind, beſonders da
durch ſie die Vergleichung der Organe als Formbeſtandtheile des Kör-
pers unabhängig von ihrer Function angebahnt wurde. Sie durften
aber nur angewendet werden unter Berückſichtigung der Entwickelungs-
geſchichte und bei Beſchränkung der Idee der Gleichheit des Baues auf
die durch die Erfahrung gegebenen Baupläne. Was den erſten Punkt
betrifft, ſo hat Geoffroy allerdings an jungen Vögeln die Zuſammen-
ſetzung der Gehirnkapſel aus einzelnen Stücken nachgewieſen, welche
den Schädelknochen der Säugethiere entſprechen; er verfolgte aber den
Entwickelungsproceß nicht eingehend genug und nur mit vorgefaßter
Meinung, wenn er z. B. den urſprünglichen Wirbel für ein Rohr oder
für einen Ring erklärt und auf dieſe Auffaſſung geſtützt auch bei Glie-
derthieren Wirbel zu finden wähnt. Weil ihm der wichtigſte Schlüſſel
zu der Erklärung mancher Skelettheile ſomit fehlte, ſchwankte er auch
in ſeinen Deutungen. So erklärte er den Kiemendeckel früher 13) für
losgelöſte, nicht mehr zur Bildung der Gehirnkapſel verwendete Schei-
telbeine, ſpäter 14) dagegen für die den Gehörknöchelchen analogen
Stücke. Am auffallendſten wird der Fehler ſeiner Verallgemeinerungen,
wenn er die Idee der Einheit des Plans nicht bloß auf die anfangs von
13) Annales du Muséum. Tom. X. 1807. p. 345.
14) Philosophie anatomique. Tom. I. 1818. p. 15.
Der richtigen Deu-
tung des Kiemendeckelapparats war ſchon Blainville näher. Bullet. Soc.
philom.
1817. p. 104.
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