Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.gedacht werden. Marie Henri Ducrotay, welcher sich Ducro- tay de Blainville nannte, war der Sohn eines gewissen Pierre du Crotay, welcher der Nachkomme eines schottischen Edelmanns zu sein behauptete. Er war 1777 in Arques in der Normandie geboren, kam zunächst auf eine Militairschule, dann 1796 auf eine Zeichenschule nach Rouen, da er in das Geniecorps einzutreten beabsichtigte, endlich nach Paris. Nachdem er hier nach dem Tode seiner Eltern sein Ver- mögen fast vergeudet hatte, fieng er an sich erst den Künsten, dann den Naturwissenschaften zu widmen. Von Cuvier sehr ermuntert und unter- stützt wurde er 1812 Professor der Zoologie und vergleichenden Ana- tomie an der Facultät und erhielt 1830 eine der beiden Professuren für niedere Thiere (Mollusken und Polypen) am Museum. Sein Stolz und seine Empfindlichkeit erhielten ihn in einer beständigen Opposition gegen seine Collegen, besonders gegen Cuvier, dessen Superiorität an- zuerkennen ihm schwer wurde. Nach Cuvier's Tode wurde er dessen Nachfolger am Museum, wußte aber die Sammlung nicht auf ihrer Höhe zu erhalten, deren vorübergehender äußerer Verfall besonders seine Schuld war. In seinen vergleichend anatomischen Arbeiten, welche hier zu erwähnen sind, vertritt er im Allgemeinen Buffon's Idee von einer im Thierreiche dargestellten Stufenreihe. Er sucht eine selbstän- dige Stellung zwischen Cuvier und Geoffroy einzunehmen, was ihm auch insofern gelingt, als er in einer nicht ganz zu verwerfenden Weise den physiologischen mit dem morphologischen Gesichtspunkt zu vermitteln sucht. Auch erkannte er die Nothwendigkeit einer Einsicht in die Ent- wickelung der Organe, ohne diese jedoch allgemein zu verwerthen. Ge- zwungen erscheint es allerdings, wenn er die Gesammtgestalt des Thiers, das was er Morphologie nennt, bei der Haut, als demjenigen Organe abhandelt, welches die Begrenzung des Thierleibes im Raume bewirkt. Auch zieht sich durch seine ganze Darstellung eine teleologische Auf- fassung, welche nicht wie in dem Cuvier'schen Correlationsgesetz eine gewissermaßen morphologische Verwendung findet. Es ist aber immer- hin zu bedauern, daß von seiner vergleichenden Anatomie nur der erste, Haut und Sinne umfassende Theil (1822) erschienen ist. Seine später erschienene Osteographie enthält musterhafte Knochen- und Skelet- 39*
gedacht werden. Marie Henri Ducrotay, welcher ſich Ducro- tay de Blainville nannte, war der Sohn eines gewiſſen Pierre du Crotay, welcher der Nachkomme eines ſchottiſchen Edelmanns zu ſein behauptete. Er war 1777 in Arques in der Normandie geboren, kam zunächſt auf eine Militairſchule, dann 1796 auf eine Zeichenſchule nach Rouen, da er in das Geniecorps einzutreten beabſichtigte, endlich nach Paris. Nachdem er hier nach dem Tode ſeiner Eltern ſein Ver- mögen faſt vergeudet hatte, fieng er an ſich erſt den Künſten, dann den Naturwiſſenſchaften zu widmen. Von Cuvier ſehr ermuntert und unter- ſtützt wurde er 1812 Profeſſor der Zoologie und vergleichenden Ana- tomie an der Facultät und erhielt 1830 eine der beiden Profeſſuren für niedere Thiere (Mollusken und Polypen) am Muſeum. Sein Stolz und ſeine Empfindlichkeit erhielten ihn in einer beſtändigen Oppoſition gegen ſeine Collegen, beſonders gegen Cuvier, deſſen Superiorität an- zuerkennen ihm ſchwer wurde. Nach Cuvier's Tode wurde er deſſen Nachfolger am Muſeum, wußte aber die Sammlung nicht auf ihrer Höhe zu erhalten, deren vorübergehender äußerer Verfall beſonders ſeine Schuld war. In ſeinen vergleichend anatomiſchen Arbeiten, welche hier zu erwähnen ſind, vertritt er im Allgemeinen Buffon's Idee von einer im Thierreiche dargeſtellten Stufenreihe. Er ſucht eine ſelbſtän- dige Stellung zwiſchen Cuvier und Geoffroy einzunehmen, was ihm auch inſofern gelingt, als er in einer nicht ganz zu verwerfenden Weiſe den phyſiologiſchen mit dem morphologiſchen Geſichtspunkt zu vermitteln ſucht. Auch erkannte er die Nothwendigkeit einer Einſicht in die Ent- wickelung der Organe, ohne dieſe jedoch allgemein zu verwerthen. Ge- zwungen erſcheint es allerdings, wenn er die Geſammtgeſtalt des Thiers, das was er Morphologie nennt, bei der Haut, als demjenigen Organe abhandelt, welches die Begrenzung des Thierleibes im Raume bewirkt. Auch zieht ſich durch ſeine ganze Darſtellung eine teleologiſche Auf- faſſung, welche nicht wie in dem Cuvier'ſchen Correlationsgeſetz eine gewiſſermaßen morphologiſche Verwendung findet. Es iſt aber immer- hin zu bedauern, daß von ſeiner vergleichenden Anatomie nur der erſte, Haut und Sinne umfaſſende Theil (1822) erſchienen iſt. Seine ſpäter erſchienene Oſteographie enthält muſterhafte Knochen- und Skelet- 39*
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Blainville.
gedacht werden. Marie Henri Ducrotay, welcher ſich Ducro-
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du Crotay, welcher der Nachkomme eines ſchottiſchen Edelmanns zu
ſein behauptete. Er war 1777 in Arques in der Normandie geboren,
kam zunächſt auf eine Militairſchule, dann 1796 auf eine Zeichenſchule
nach Rouen, da er in das Geniecorps einzutreten beabſichtigte, endlich
nach Paris. Nachdem er hier nach dem Tode ſeiner Eltern ſein Ver-
mögen faſt vergeudet hatte, fieng er an ſich erſt den Künſten, dann den
Naturwiſſenſchaften zu widmen. Von Cuvier ſehr ermuntert und unter-
ſtützt wurde er 1812 Profeſſor der Zoologie und vergleichenden Ana-
tomie an der Facultät und erhielt 1830 eine der beiden Profeſſuren für
niedere Thiere (Mollusken und Polypen) am Muſeum. Sein Stolz
und ſeine Empfindlichkeit erhielten ihn in einer beſtändigen Oppoſition
gegen ſeine Collegen, beſonders gegen Cuvier, deſſen Superiorität an-
zuerkennen ihm ſchwer wurde. Nach Cuvier's Tode wurde er deſſen
Nachfolger am Muſeum, wußte aber die Sammlung nicht auf ihrer
Höhe zu erhalten, deren vorübergehender äußerer Verfall beſonders
ſeine Schuld war. In ſeinen vergleichend anatomiſchen Arbeiten, welche
hier zu erwähnen ſind, vertritt er im Allgemeinen Buffon's Idee von
einer im Thierreiche dargeſtellten Stufenreihe. Er ſucht eine ſelbſtän-
dige Stellung zwiſchen Cuvier und Geoffroy einzunehmen, was ihm
auch inſofern gelingt, als er in einer nicht ganz zu verwerfenden Weiſe
den phyſiologiſchen mit dem morphologiſchen Geſichtspunkt zu vermitteln
ſucht. Auch erkannte er die Nothwendigkeit einer Einſicht in die Ent-
wickelung der Organe, ohne dieſe jedoch allgemein zu verwerthen. Ge-
zwungen erſcheint es allerdings, wenn er die Geſammtgeſtalt des Thiers,
das was er Morphologie nennt, bei der Haut, als demjenigen Organe
abhandelt, welches die Begrenzung des Thierleibes im Raume bewirkt.
Auch zieht ſich durch ſeine ganze Darſtellung eine teleologiſche Auf-
faſſung, welche nicht wie in dem Cuvier'ſchen Correlationsgeſetz eine
gewiſſermaßen morphologiſche Verwendung findet. Es iſt aber immer-
hin zu bedauern, daß von ſeiner vergleichenden Anatomie nur der erſte,
Haut und Sinne umfaſſende Theil (1822) erſchienen iſt. Seine ſpäter
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