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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Zweifel darüber hat, daß Cuvier's Methode diejenige ist, welche der
Naturwissenschaft dauernde und reelle Früchte bringt, aber doch auch
zugibt, daß Cuvier in jenem Streite mehreremale zu weit gegangen ist.
"Es ist wirklich nicht zu läugnen, daß die Natur bei jeder großen Ab-
theilung des Thierreichs von einem gewissen Plane der Schöpfung und
Zusammensetzung aus theils verschiedenen theils analogen Theilen nicht
abweicht"33). Diesen Plan suchte Müller zunächst für die Wirbelthiere
darzulegen und ins Einzelne zu verfolgen in seiner classischen Arbeit
über die vergleichende Anatomie der Myxinoiden, deren Titel nicht ahnen
läßt, daß sie den Codex der Morphologie der Wirbelthiere enthält. Von
wirbellosen Typen war es ferner der der Echinodermen, welcher erst
durch Müller's Untersuchungen in seinen Einzelnheiten sowohl, als
nach seiner ganzen individuellen und classenweisen Entwickelung genauer
bekannt und in seiner Abgeschlossenheit festgestellt wurde. Während
Müller über diese beiden Thiergruppen zwei größere Reihen zusammen-
hängender Untersuchungen veröffentlicht hat, welche ihren Gegenstand
so erschöpfend wie jeweils möglich behandeln, ist kaum eine Classe der
Wirbelthiere zu nennen, zu deren genauerer anatomischen Kenntniß
Müller nicht wichtige Beiträge geliefert hat. An die Myxinoidenarbeit
schließen sich seine Untersuchungen über die Entwickelungsart gewisser
Haie, denen eine systematische Bearbeitung der Plagiostomen folgte,
über die Ganoiden und über den Amphioxus. Die Entdeckung der
Lymphherzen bei Amphibien und Reptilien war nicht bloß für die Kennt-
niß der Lebenserscheinungen dieser Thiere sondern auch für die Vor-
stellung, welche sich an die anatomische Bezeichnung eines Herzens zu
knüpfen habe, wichtig. Die Natur der Coecilien als Amphibien wurde
von Müller durch die Entdeckung der Kiemenöffnungen zweifellos er-
wiesen. Die Untersuchungen über die Stimmorgane der Passerinen
sowie die über die männlichen Begattungsorgane der straußartigen Vö-
gel haben in gleicher Weise zur Aufklärung des typischen Verhaltens der
besprochenen Theile bei Vögeln wie zur Verbesserung des Systems der
Vögel beigetragen. Wenn unter Müller's Arbeiten nur die Unter-

33) Müller's Archiv, 1834. S. 3.

Zweifel darüber hat, daß Cuvier's Methode diejenige iſt, welche der
Naturwiſſenſchaft dauernde und reelle Früchte bringt, aber doch auch
zugibt, daß Cuvier in jenem Streite mehreremale zu weit gegangen iſt.
„Es iſt wirklich nicht zu läugnen, daß die Natur bei jeder großen Ab-
theilung des Thierreichs von einem gewiſſen Plane der Schöpfung und
Zuſammenſetzung aus theils verſchiedenen theils analogen Theilen nicht
abweicht“33). Dieſen Plan ſuchte Müller zunächſt für die Wirbelthiere
darzulegen und ins Einzelne zu verfolgen in ſeiner claſſiſchen Arbeit
über die vergleichende Anatomie der Myxinoiden, deren Titel nicht ahnen
läßt, daß ſie den Codex der Morphologie der Wirbelthiere enthält. Von
wirbelloſen Typen war es ferner der der Echinodermen, welcher erſt
durch Müller's Unterſuchungen in ſeinen Einzelnheiten ſowohl, als
nach ſeiner ganzen individuellen und claſſenweiſen Entwickelung genauer
bekannt und in ſeiner Abgeſchloſſenheit feſtgeſtellt wurde. Während
Müller über dieſe beiden Thiergruppen zwei größere Reihen zuſammen-
hängender Unterſuchungen veröffentlicht hat, welche ihren Gegenſtand
ſo erſchöpfend wie jeweils möglich behandeln, iſt kaum eine Claſſe der
Wirbelthiere zu nennen, zu deren genauerer anatomiſchen Kenntniß
Müller nicht wichtige Beiträge geliefert hat. An die Myxinoidenarbeit
ſchließen ſich ſeine Unterſuchungen über die Entwickelungsart gewiſſer
Haie, denen eine ſyſtematiſche Bearbeitung der Plagioſtomen folgte,
über die Ganoiden und über den Amphioxus. Die Entdeckung der
Lymphherzen bei Amphibien und Reptilien war nicht bloß für die Kennt-
niß der Lebenserſcheinungen dieſer Thiere ſondern auch für die Vor-
ſtellung, welche ſich an die anatomiſche Bezeichnung eines Herzens zu
knüpfen habe, wichtig. Die Natur der Coecilien als Amphibien wurde
von Müller durch die Entdeckung der Kiemenöffnungen zweifellos er-
wieſen. Die Unterſuchungen über die Stimmorgane der Paſſerinen
ſowie die über die männlichen Begattungsorgane der ſtraußartigen Vö-
gel haben in gleicher Weiſe zur Aufklärung des typiſchen Verhaltens der
beſprochenen Theile bei Vögeln wie zur Verbeſſerung des Syſtems der
Vögel beigetragen. Wenn unter Müller's Arbeiten nur die Unter-

33) Müller's Archiv, 1834. S. 3.
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[637/0648] Johannes Müller. Zweifel darüber hat, daß Cuvier's Methode diejenige iſt, welche der Naturwiſſenſchaft dauernde und reelle Früchte bringt, aber doch auch zugibt, daß Cuvier in jenem Streite mehreremale zu weit gegangen iſt. „Es iſt wirklich nicht zu läugnen, daß die Natur bei jeder großen Ab- theilung des Thierreichs von einem gewiſſen Plane der Schöpfung und Zuſammenſetzung aus theils verſchiedenen theils analogen Theilen nicht abweicht“ 33). Dieſen Plan ſuchte Müller zunächſt für die Wirbelthiere darzulegen und ins Einzelne zu verfolgen in ſeiner claſſiſchen Arbeit über die vergleichende Anatomie der Myxinoiden, deren Titel nicht ahnen läßt, daß ſie den Codex der Morphologie der Wirbelthiere enthält. Von wirbelloſen Typen war es ferner der der Echinodermen, welcher erſt durch Müller's Unterſuchungen in ſeinen Einzelnheiten ſowohl, als nach ſeiner ganzen individuellen und claſſenweiſen Entwickelung genauer bekannt und in ſeiner Abgeſchloſſenheit feſtgeſtellt wurde. Während Müller über dieſe beiden Thiergruppen zwei größere Reihen zuſammen- hängender Unterſuchungen veröffentlicht hat, welche ihren Gegenſtand ſo erſchöpfend wie jeweils möglich behandeln, iſt kaum eine Claſſe der Wirbelthiere zu nennen, zu deren genauerer anatomiſchen Kenntniß Müller nicht wichtige Beiträge geliefert hat. An die Myxinoidenarbeit ſchließen ſich ſeine Unterſuchungen über die Entwickelungsart gewiſſer Haie, denen eine ſyſtematiſche Bearbeitung der Plagioſtomen folgte, über die Ganoiden und über den Amphioxus. Die Entdeckung der Lymphherzen bei Amphibien und Reptilien war nicht bloß für die Kennt- niß der Lebenserſcheinungen dieſer Thiere ſondern auch für die Vor- ſtellung, welche ſich an die anatomiſche Bezeichnung eines Herzens zu knüpfen habe, wichtig. Die Natur der Coecilien als Amphibien wurde von Müller durch die Entdeckung der Kiemenöffnungen zweifellos er- wieſen. Die Unterſuchungen über die Stimmorgane der Paſſerinen ſowie die über die männlichen Begattungsorgane der ſtraußartigen Vö- gel haben in gleicher Weiſe zur Aufklärung des typiſchen Verhaltens der beſprochenen Theile bei Vögeln wie zur Verbeſſerung des Syſtems der Vögel beigetragen. Wenn unter Müller's Arbeiten nur die Unter- 33) Müller's Archiv, 1834. S. 3.

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 637. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/648>, abgerufen am 22.11.2024.