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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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zuweilen die Aeußerung, daß der Ausdruck Morphologie nur ein neuer
Name für eine alte Sache sei. Die Form aber, welche die vergleichend
anatomischen Darstellungen besonders unter J. Müller's und R.
Owen
's Händen gewannen, beweisen deutlich, daß von nun an zu den
Vergleichungen etwas Neues und Selbständiges hinzugetreten ist. Denn
wenn es an und für sich schon Erwähnung verdient hat, daß die früher
vorzüglich von physiologischem Standpunkte aus vorgenommenen Ver-
gleichungen nun zur Aufklärung der verglichenen Objecte selbst verwer-
thet wurden, so fehlte doch den bisherigen vergleichenden Darstellungen
noch die Beziehung auf Bildungsgesetze. Die Erfassung solcher war
nun allerdings erst mit dem Nachweise der thierischen Typen überhaupt
möglich geworden. Das Eintreten derartiger allgemeiner Ideen machte
aber wiederum gewisse allgemein formale Grundlegungen nothwendig.
Zu diesen that Owen die ersten wichtigen Schritte. Richard Owen
ist 1803 in Lancaster geboren, wurde Arzt in London, trat aber schon
in den ersten Veröffentlichungen der Londoner zoologischen Gesellschaft
als praktischer Zergliederer auf. Als solcher dürfte er jetzt weitaus die
größte Erfahrung besitzen, indem sich seine Untersuchungen nicht bloß
eine Reihe von Jahren hindurch auf die im Thiergarten der genannten
Gesellschaft gestorbenen Thiere, natürlich nur höhere Wirbelthiere, son-
dern auch über zahlreiche wichtige Formen sowohl niederer Wirbelthiere
als Wirbelloser erstreckten. Erst als Conservator, dann als Professor
der vergleichenden Physiologie am Hunter'schen Museum des Collegiums
der Wundärzte angestellt (welche Stelle er später mit der eines Vor-
standes der naturhistorischen Abtheilungen des British Museum ver-
tauschte) machte er sich durch die musterhafte Anatomie des Nautilus,
durch die anatomische Schilderung der damals ihrem Baue nach nur
wenig gekannten Brachiopoden, u. A. sehr verdient. Vor Allem waren
es aber seine systematischen Arbeiten über fossile Thiere, durch welche
er nicht bloß den Werth strenger Vergleichung mit Bezug auf die Wie-
dererkennung und Reconstruction selbst nur bruchstückweise erhaltener
ausgestorbener Thiere in glänzender Weise darlegte, sondern aus wel-
chen er auch umgekehrt wichtige Beiträge zur Erläuterung des gesetz-
mäßigen Baues der Thiere überhaupt ableitete. Was ihm nun beson-

zuweilen die Aeußerung, daß der Ausdruck Morphologie nur ein neuer
Name für eine alte Sache ſei. Die Form aber, welche die vergleichend
anatomiſchen Darſtellungen beſonders unter J. Müller's und R.
Owen
's Händen gewannen, beweiſen deutlich, daß von nun an zu den
Vergleichungen etwas Neues und Selbſtändiges hinzugetreten iſt. Denn
wenn es an und für ſich ſchon Erwähnung verdient hat, daß die früher
vorzüglich von phyſiologiſchem Standpunkte aus vorgenommenen Ver-
gleichungen nun zur Aufklärung der verglichenen Objecte ſelbſt verwer-
thet wurden, ſo fehlte doch den bisherigen vergleichenden Darſtellungen
noch die Beziehung auf Bildungsgeſetze. Die Erfaſſung ſolcher war
nun allerdings erſt mit dem Nachweiſe der thieriſchen Typen überhaupt
möglich geworden. Das Eintreten derartiger allgemeiner Ideen machte
aber wiederum gewiſſe allgemein formale Grundlegungen nothwendig.
Zu dieſen that Owen die erſten wichtigen Schritte. Richard Owen
iſt 1803 in Lancaſter geboren, wurde Arzt in London, trat aber ſchon
in den erſten Veröffentlichungen der Londoner zoologiſchen Geſellſchaft
als praktiſcher Zergliederer auf. Als ſolcher dürfte er jetzt weitaus die
größte Erfahrung beſitzen, indem ſich ſeine Unterſuchungen nicht bloß
eine Reihe von Jahren hindurch auf die im Thiergarten der genannten
Geſellſchaft geſtorbenen Thiere, natürlich nur höhere Wirbelthiere, ſon-
dern auch über zahlreiche wichtige Formen ſowohl niederer Wirbelthiere
als Wirbelloſer erſtreckten. Erſt als Conſervator, dann als Profeſſor
der vergleichenden Phyſiologie am Hunter'ſchen Muſeum des Collegiums
der Wundärzte angeſtellt (welche Stelle er ſpäter mit der eines Vor-
ſtandes der naturhiſtoriſchen Abtheilungen des Britiſh Muſeum ver-
tauſchte) machte er ſich durch die muſterhafte Anatomie des Nautilus,
durch die anatomiſche Schilderung der damals ihrem Baue nach nur
wenig gekannten Brachiopoden, u. A. ſehr verdient. Vor Allem waren
es aber ſeine ſyſtematiſchen Arbeiten über foſſile Thiere, durch welche
er nicht bloß den Werth ſtrenger Vergleichung mit Bezug auf die Wie-
dererkennung und Reconſtruction ſelbſt nur bruchſtückweiſe erhaltener
ausgeſtorbener Thiere in glänzender Weiſe darlegte, ſondern aus wel-
chen er auch umgekehrt wichtige Beiträge zur Erläuterung des geſetz-
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[639/0650] Richard Owen. zuweilen die Aeußerung, daß der Ausdruck Morphologie nur ein neuer Name für eine alte Sache ſei. Die Form aber, welche die vergleichend anatomiſchen Darſtellungen beſonders unter J. Müller's und R. Owen's Händen gewannen, beweiſen deutlich, daß von nun an zu den Vergleichungen etwas Neues und Selbſtändiges hinzugetreten iſt. Denn wenn es an und für ſich ſchon Erwähnung verdient hat, daß die früher vorzüglich von phyſiologiſchem Standpunkte aus vorgenommenen Ver- gleichungen nun zur Aufklärung der verglichenen Objecte ſelbſt verwer- thet wurden, ſo fehlte doch den bisherigen vergleichenden Darſtellungen noch die Beziehung auf Bildungsgeſetze. Die Erfaſſung ſolcher war nun allerdings erſt mit dem Nachweiſe der thieriſchen Typen überhaupt möglich geworden. Das Eintreten derartiger allgemeiner Ideen machte aber wiederum gewiſſe allgemein formale Grundlegungen nothwendig. Zu dieſen that Owen die erſten wichtigen Schritte. Richard Owen iſt 1803 in Lancaſter geboren, wurde Arzt in London, trat aber ſchon in den erſten Veröffentlichungen der Londoner zoologiſchen Geſellſchaft als praktiſcher Zergliederer auf. Als ſolcher dürfte er jetzt weitaus die größte Erfahrung beſitzen, indem ſich ſeine Unterſuchungen nicht bloß eine Reihe von Jahren hindurch auf die im Thiergarten der genannten Geſellſchaft geſtorbenen Thiere, natürlich nur höhere Wirbelthiere, ſon- dern auch über zahlreiche wichtige Formen ſowohl niederer Wirbelthiere als Wirbelloſer erſtreckten. Erſt als Conſervator, dann als Profeſſor der vergleichenden Phyſiologie am Hunter'ſchen Muſeum des Collegiums der Wundärzte angeſtellt (welche Stelle er ſpäter mit der eines Vor- ſtandes der naturhiſtoriſchen Abtheilungen des Britiſh Muſeum ver- tauſchte) machte er ſich durch die muſterhafte Anatomie des Nautilus, durch die anatomiſche Schilderung der damals ihrem Baue nach nur wenig gekannten Brachiopoden, u. A. ſehr verdient. Vor Allem waren es aber ſeine ſyſtematiſchen Arbeiten über foſſile Thiere, durch welche er nicht bloß den Werth ſtrenger Vergleichung mit Bezug auf die Wie- dererkennung und Reconſtruction ſelbſt nur bruchſtückweiſe erhaltener ausgeſtorbener Thiere in glänzender Weiſe darlegte, ſondern aus wel- chen er auch umgekehrt wichtige Beiträge zur Erläuterung des geſetz- mäßigen Baues der Thiere überhaupt ableitete. Was ihm nun beſon-

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 639. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/650>, abgerufen am 22.11.2024.