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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Periode der Morphologie.
eintheilungsgrund benutzt werden. In seinen für die Zeit des Erschei-
nens sehr brauchbaren, von großer Belesenheit und richtigem Urtheile
zeugenden Buche, Naturgeschichte der skeletlosen ungegliederten Thiere
(1820), gibt er ein zoologisches System, wonach die Thiere zunächst
in zwei große Gruppen zerfallen, solche ohne Gefäße oder nur mit ein-
zelnen Gefäßen oder getrennten Gefäßsystemen und ohne Skelet, und
solche mit in sich geschlossenem über alle Organe vertheiltem Gefäß-
systeme und doppeltem Kreislauf. Beide Gruppen theilt er in zwei
weitere, je nachdem die Thiere Wasser oder Luft athmen. Wasserath-
mende skelet- und gefäßlose Thiere sind Zoophyten (Infusorien, Spon-
gien und Polypen), Eingeweidewürmer, Medusen und Strahlthiere
(Echinodermen und Actinien), luftathmende Skeletlose sind Insecten
und Arachniden. Zu den Thieren mit doppeltem Kreislauf und Wasser-
athmung rechnet Schweigger Crustaceen, Annulaten, Cirripeden, Mol-
lusken und Fische, zu den luftathmenden Skeletthieren die drei höheren
Wirbelthierclassen. Das Unnatürliche der Anordnung tritt hier auf
den ersten Blick entgegen und läßt die entschiedene Unzweckmäßigkeit
erkennen, einen Anpassungscharakter voranzustellen, wenn überhaupt
einzelne Merkmale als Haupteintheilungsgründe gewählt werden sollen.
Weniger tritt dies bei dem Systeme Wilbrand's auf, welches eine
einseitige Weiterentwickelung des Linne'schen ist. Er stellt (1814) die
Beschaffenheit der Blutflüssigkeit obenan und theilt die Thiere in solche
mit kalter Lymphe, mit kaltem rothen Blute und warmem rothen Blute.
Die Thiere mit kalter Lymphe haben entweder weiße Lymphe und kein
Herz (frei lebend: Zoophyten, in andern Thieren: Eingeweidewürmer),
oder rothe Lymphe und kein Herz (Anneliden) oder weiße Lymphe und
des Herzens erste Spur (Insecten und Mollusken). Die Thiere mit
Blut sind die Wirbelthiere55). -- Längeren Bestand und mehr Freunde
fanden die Systeme, welche von der Beschaffenheit und Anordnung des
Nervensystems ausgiengen. In demselben Jahre als Cuvier bei Cha-

55) Eine Eintheilung des Thierreichs nach
der Bildung des Herzens, je nach-
dem dasselbe vier, drei, zwei oder eine Abtheilung besitzt, welchen vier Gruppen
noch
eine zugefügt wird für die Thiere, deren Leibeshöhle gleichzeitig Magen und Herz
ist, stellte J. Hunter auf.

Periode der Morphologie.
eintheilungsgrund benutzt werden. In ſeinen für die Zeit des Erſchei-
nens ſehr brauchbaren, von großer Beleſenheit und richtigem Urtheile
zeugenden Buche, Naturgeſchichte der ſkeletloſen ungegliederten Thiere
(1820), gibt er ein zoologiſches Syſtem, wonach die Thiere zunächſt
in zwei große Gruppen zerfallen, ſolche ohne Gefäße oder nur mit ein-
zelnen Gefäßen oder getrennten Gefäßſyſtemen und ohne Skelet, und
ſolche mit in ſich geſchloſſenem über alle Organe vertheiltem Gefäß-
ſyſteme und doppeltem Kreislauf. Beide Gruppen theilt er in zwei
weitere, je nachdem die Thiere Waſſer oder Luft athmen. Waſſerath-
mende ſkelet- und gefäßloſe Thiere ſind Zoophyten (Infuſorien, Spon-
gien und Polypen), Eingeweidewürmer, Meduſen und Strahlthiere
(Echinodermen und Actinien), luftathmende Skeletloſe ſind Inſecten
und Arachniden. Zu den Thieren mit doppeltem Kreislauf und Waſſer-
athmung rechnet Schweigger Cruſtaceen, Annulaten, Cirripeden, Mol-
lusken und Fiſche, zu den luftathmenden Skeletthieren die drei höheren
Wirbelthierclaſſen. Das Unnatürliche der Anordnung tritt hier auf
den erſten Blick entgegen und läßt die entſchiedene Unzweckmäßigkeit
erkennen, einen Anpaſſungscharakter voranzuſtellen, wenn überhaupt
einzelne Merkmale als Haupteintheilungsgründe gewählt werden ſollen.
Weniger tritt dies bei dem Syſteme Wilbrand's auf, welches eine
einſeitige Weiterentwickelung des Linné'ſchen iſt. Er ſtellt (1814) die
Beſchaffenheit der Blutflüſſigkeit obenan und theilt die Thiere in ſolche
mit kalter Lymphe, mit kaltem rothen Blute und warmem rothen Blute.
Die Thiere mit kalter Lymphe haben entweder weiße Lymphe und kein
Herz (frei lebend: Zoophyten, in andern Thieren: Eingeweidewürmer),
oder rothe Lymphe und kein Herz (Anneliden) oder weiße Lymphe und
des Herzens erſte Spur (Inſecten und Mollusken). Die Thiere mit
Blut ſind die Wirbelthiere55). — Längeren Beſtand und mehr Freunde
fanden die Syſteme, welche von der Beſchaffenheit und Anordnung des
Nervenſyſtems ausgiengen. In demſelben Jahre als Cuvier bei Cha-

55) Eine Eintheilung des Thierreichs nach
der Bildung des Herzens, je nach-
dem daſſelbe vier, drei, zwei oder eine Abtheilung beſitzt, welchen vier Gruppen
noch
eine zugefügt wird für die Thiere, deren Leibeshöhle gleichzeitig Magen und Herz
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[670/0681] Periode der Morphologie. eintheilungsgrund benutzt werden. In ſeinen für die Zeit des Erſchei- nens ſehr brauchbaren, von großer Beleſenheit und richtigem Urtheile zeugenden Buche, Naturgeſchichte der ſkeletloſen ungegliederten Thiere (1820), gibt er ein zoologiſches Syſtem, wonach die Thiere zunächſt in zwei große Gruppen zerfallen, ſolche ohne Gefäße oder nur mit ein- zelnen Gefäßen oder getrennten Gefäßſyſtemen und ohne Skelet, und ſolche mit in ſich geſchloſſenem über alle Organe vertheiltem Gefäß- ſyſteme und doppeltem Kreislauf. Beide Gruppen theilt er in zwei weitere, je nachdem die Thiere Waſſer oder Luft athmen. Waſſerath- mende ſkelet- und gefäßloſe Thiere ſind Zoophyten (Infuſorien, Spon- gien und Polypen), Eingeweidewürmer, Meduſen und Strahlthiere (Echinodermen und Actinien), luftathmende Skeletloſe ſind Inſecten und Arachniden. Zu den Thieren mit doppeltem Kreislauf und Waſſer- athmung rechnet Schweigger Cruſtaceen, Annulaten, Cirripeden, Mol- lusken und Fiſche, zu den luftathmenden Skeletthieren die drei höheren Wirbelthierclaſſen. Das Unnatürliche der Anordnung tritt hier auf den erſten Blick entgegen und läßt die entſchiedene Unzweckmäßigkeit erkennen, einen Anpaſſungscharakter voranzuſtellen, wenn überhaupt einzelne Merkmale als Haupteintheilungsgründe gewählt werden ſollen. Weniger tritt dies bei dem Syſteme Wilbrand's auf, welches eine einſeitige Weiterentwickelung des Linné'ſchen iſt. Er ſtellt (1814) die Beſchaffenheit der Blutflüſſigkeit obenan und theilt die Thiere in ſolche mit kalter Lymphe, mit kaltem rothen Blute und warmem rothen Blute. Die Thiere mit kalter Lymphe haben entweder weiße Lymphe und kein Herz (frei lebend: Zoophyten, in andern Thieren: Eingeweidewürmer), oder rothe Lymphe und kein Herz (Anneliden) oder weiße Lymphe und des Herzens erſte Spur (Inſecten und Mollusken). Die Thiere mit Blut ſind die Wirbelthiere 55). — Längeren Beſtand und mehr Freunde fanden die Syſteme, welche von der Beſchaffenheit und Anordnung des Nervenſyſtems ausgiengen. In demſelben Jahre als Cuvier bei Cha- 55) Eine Eintheilung des Thierreichs nach der Bildung des Herzens, je nach- dem daſſelbe vier, drei, zwei oder eine Abtheilung beſitzt, welchen vier Gruppen noch eine zugefügt wird für die Thiere, deren Leibeshöhle gleichzeitig Magen und Herz iſt, ſtellte J. Hunter auf.

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 670. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/681>, abgerufen am 22.11.2024.