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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Systeme: Mac Leay, Kaup.
Analogie und wirklicher Verwandtschaft Mac Leay oft als Verdienst an-
gerechnet. Indeß bezieht er sich selbst auf Fries, welcher in seiner Pilz-
lehre Analogien neben Verwandtschaften bezeichnet hatte, und auch Linne
verglich schon in dieser Weise, wenn er die Papageyen für den Affen
analoge Formen, die Raubvögel für den Raubthieren analog hält, ebenso
wie F. S. Voigt die Hühner den Wiederkäuern vergleicht u. s. f.
Auch Oken gefiel sich ja in derartigen Deutungen. Das System, wel-
ches in Will. Swainson und Rich. Aylward Vigors eifrige An-
hänger, in Hugh Edw. Strickland einen treffenden Kritiker fand, ist
formal wie real eins der allerunnatürlichsten und erscheint bei genauerer
Prüfung nur als geistreiche Spielerei. Das Thierreich hat danach
keinen Anfang und kein Ende. Die Wirbelthiere führen durch die
Cephalopoden zu den Mollusken, diese durch die Tunikaten zu den
"Acrita" (Polypen, Helminthen, Infusorien), diese durch die
Zoanthiden
zu den Echinodermen, diese durch die Cirripeden zu den Gliederthieren,
diese endlich durch die Anneliden zu den Wirbelthieren zurück. Das
strenge Durchführen der Fünfzahl hat ferner zum Aufstellen völlig
ungleichwerthiger Gruppen und bei ihrer Verwendung bis in die kleinen
Abtheilungen zum Trennen verwandter und Vereinigen fremder Formen
geführt. Dem Ausspruche Mac Leay's gegenüber, daß Cuvier geradezu
mit den ersten Grundsätzen des natürlichen Systems völlig unbekannt
gewesen sei, erhält Kaup's Bemerkung allerdings volle Begründung,
daß das System kabbalistisch sei. Die Sätze, auf welche Kaup sein
eigenes System gründet, sind nicht weniger unklar, unrichtig und ge-
zwungen. "Der Thierkörper besteht aus folgenden fünf anatomischen
Systemen: 1. Nerven, 2. Athmungsorgane, 3. Knochen, 4. Muskel-
oder Ernährungsorgane, 5. Haut oder Generationsorgane."
"Der
Thierkörper(!) zerfällt in fünf Regionen: Kopf, Brust mit Hals und
Vordergliedmaßen, Rumpf mit Wirbeln, Bauch mit Schwanz und
Magen, Becken und hintere Extremitäten"; sie entsprechen den anato-
mischen Systemen in der angegebenen Reihe, ebenso die fünf Sinne,
nämlich "Auge den Nerven, Ohr den Athmungsorganen, Nase den
Knochen, Zunge den Muskel- oder Ernährungsorganen, die Genera-
tionsorgane (als fünfter Sinn!) dem Haut- oder
Geschlechtssysteme."

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Syſteme: Mac Leay, Kaup.
Analogie und wirklicher Verwandtſchaft Mac Leay oft als Verdienſt an-
gerechnet. Indeß bezieht er ſich ſelbſt auf Fries, welcher in ſeiner Pilz-
lehre Analogien neben Verwandtſchaften bezeichnet hatte, und auch Linné
verglich ſchon in dieſer Weiſe, wenn er die Papageyen für den Affen
analoge Formen, die Raubvögel für den Raubthieren analog hält, ebenſo
wie F. S. Voigt die Hühner den Wiederkäuern vergleicht u. ſ. f.
Auch Oken gefiel ſich ja in derartigen Deutungen. Das Syſtem, wel-
ches in Will. Swainſon und Rich. Aylward Vigors eifrige An-
hänger, in Hugh Edw. Strickland einen treffenden Kritiker fand, iſt
formal wie real eins der allerunnatürlichſten und erſcheint bei genauerer
Prüfung nur als geiſtreiche Spielerei. Das Thierreich hat danach
keinen Anfang und kein Ende. Die Wirbelthiere führen durch die
Cephalopoden zu den Mollusken, dieſe durch die Tunikaten zu den
„Acrita“ (Polypen, Helminthen, Infuſorien), dieſe durch die
Zoanthiden
zu den Echinodermen, dieſe durch die Cirripeden zu den Gliederthieren,
dieſe endlich durch die Anneliden zu den Wirbelthieren zurück. Das
ſtrenge Durchführen der Fünfzahl hat ferner zum Aufſtellen völlig
ungleichwerthiger Gruppen und bei ihrer Verwendung bis in die kleinen
Abtheilungen zum Trennen verwandter und Vereinigen fremder Formen
geführt. Dem Ausſpruche Mac Leay's gegenüber, daß Cuvier geradezu
mit den erſten Grundſätzen des natürlichen Syſtems völlig unbekannt
geweſen ſei, erhält Kaup's Bemerkung allerdings volle Begründung,
daß das Syſtem kabbaliſtiſch ſei. Die Sätze, auf welche Kaup ſein
eigenes Syſtem gründet, ſind nicht weniger unklar, unrichtig und ge-
zwungen. „Der Thierkörper beſteht aus folgenden fünf anatomiſchen
Syſtemen: 1. Nerven, 2. Athmungsorgane, 3. Knochen, 4. Muskel-
oder Ernährungsorgane, 5. Haut oder Generationsorgane.“
„Der
Thierkörper(!) zerfällt in fünf Regionen: Kopf, Bruſt mit Hals und
Vordergliedmaßen, Rumpf mit Wirbeln, Bauch mit Schwanz und
Magen, Becken und hintere Extremitäten“; ſie entſprechen den anato-
miſchen Syſtemen in der angegebenen Reihe, ebenſo die fünf Sinne,
nämlich „Auge den Nerven, Ohr den Athmungsorganen, Naſe den
Knochen, Zunge den Muskel- oder Ernährungsorganen, die Genera-
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Geſchlechtsſyſteme.“

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[675/0686] Syſteme: Mac Leay, Kaup. Analogie und wirklicher Verwandtſchaft Mac Leay oft als Verdienſt an- gerechnet. Indeß bezieht er ſich ſelbſt auf Fries, welcher in ſeiner Pilz- lehre Analogien neben Verwandtſchaften bezeichnet hatte, und auch Linné verglich ſchon in dieſer Weiſe, wenn er die Papageyen für den Affen analoge Formen, die Raubvögel für den Raubthieren analog hält, ebenſo wie F. S. Voigt die Hühner den Wiederkäuern vergleicht u. ſ. f. Auch Oken gefiel ſich ja in derartigen Deutungen. Das Syſtem, wel- ches in Will. Swainſon und Rich. Aylward Vigors eifrige An- hänger, in Hugh Edw. Strickland einen treffenden Kritiker fand, iſt formal wie real eins der allerunnatürlichſten und erſcheint bei genauerer Prüfung nur als geiſtreiche Spielerei. Das Thierreich hat danach keinen Anfang und kein Ende. Die Wirbelthiere führen durch die Cephalopoden zu den Mollusken, dieſe durch die Tunikaten zu den „Acrita“ (Polypen, Helminthen, Infuſorien), dieſe durch die Zoanthiden zu den Echinodermen, dieſe durch die Cirripeden zu den Gliederthieren, dieſe endlich durch die Anneliden zu den Wirbelthieren zurück. Das ſtrenge Durchführen der Fünfzahl hat ferner zum Aufſtellen völlig ungleichwerthiger Gruppen und bei ihrer Verwendung bis in die kleinen Abtheilungen zum Trennen verwandter und Vereinigen fremder Formen geführt. Dem Ausſpruche Mac Leay's gegenüber, daß Cuvier geradezu mit den erſten Grundſätzen des natürlichen Syſtems völlig unbekannt geweſen ſei, erhält Kaup's Bemerkung allerdings volle Begründung, daß das Syſtem kabbaliſtiſch ſei. Die Sätze, auf welche Kaup ſein eigenes Syſtem gründet, ſind nicht weniger unklar, unrichtig und ge- zwungen. „Der Thierkörper beſteht aus folgenden fünf anatomiſchen Syſtemen: 1. Nerven, 2. Athmungsorgane, 3. Knochen, 4. Muskel- oder Ernährungsorgane, 5. Haut oder Generationsorgane.“ „Der Thierkörper(!) zerfällt in fünf Regionen: Kopf, Bruſt mit Hals und Vordergliedmaßen, Rumpf mit Wirbeln, Bauch mit Schwanz und Magen, Becken und hintere Extremitäten“; ſie entſprechen den anato- miſchen Syſtemen in der angegebenen Reihe, ebenſo die fünf Sinne, nämlich „Auge den Nerven, Ohr den Athmungsorganen, Naſe den Knochen, Zunge den Muskel- oder Ernährungsorganen, die Genera- tionsorgane (als fünfter Sinn!) dem Haut- oder Geſchlechtsſyſteme.“ 43*

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 675. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/686>, abgerufen am 22.11.2024.