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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Zoologische Kenntnisse des Alterthums.
lichte. Was seine Darstellung der betreffenden Fächer betrifft, so sind
wie bekannt nur einzelne Schriften auf die Neuzeit gekommen. Der
Verlust der übrigen Schriften zur Thierkunde90) ist um so mehr zu be-
dauern, als sie nähere Beschreibungen (die Zoica) und anatomische
Schilderungen (die Anatomae und Eclogae anatomon) der Thiere
enthalten haben und man außerdem nicht mehr im Stande ist, sich über
die Art, wie er seine Schriften an geeigneter Stelle durch Zeichnungen
zu erläutern versuchte, ein gehöriges Bild zu machen. Doch steht so
viel fest, daß er auch in dieser Hinsicht den Spätern vorangieng und
ein Hülfsmittel der Verdeutlichung einführte, welches in der neuesten
Zeit häufig über alle Gebühr ausgedehnt benutzt der ohnehin schon
durch unzusammenhängendes Stückwerk schwerfälligen Litteratur einen
weiteren Ballast anhängt.

Nicht ohne Absicht ist die Bedeutung des Aristoteles für die Zoo-
logie des Alterthums gerade hier hervorgehoben worden, wo es sich um
Erwähnung dessen handelte, was den Alten vom Bau der Thiere bekannt
war. Die Kenntniß des Baues der lebenden Wesen war und ist der
Mittelpunkt, um welchen sich die andern Seiten der Betrachtung theils
zu selbständigen Wissenszweigen entwickelt, theils in festerem Anschluß
ordnen. Was von der Lebensweise, den Sitten der Thiere erzählt und
in Schulschriften anekdotenhaft zusammengestellt wurde, fand seine Prü-
fung und scheinbare Begründung in dem als bekannt vorausgesetzten,
häufig erdichteten anatomischen Verhalten der Thiere. Und wie sehr die
Organisation der Thiere als Grundlage des aristotelischen Thiersystems
anzusehen ist, wird bald zu erörtern sein.

Zunächst ist noch ein Blick auf die weitere Entwickelung der Thier-
anatomie im Alterthum zu werfen. Gern würde man an Aristoteles
selbst anknüpfen, um von ihm aus eine Kette von Naturforschern we-
nigstens bis dahin zu verfolgen, wo die Wissenschaften sämmtlich zum
Stillstande kamen unter den mit dem Zerfall des in seinem Sturze
gleichzeitig die antike Culturwelt begrabenden Römerreichs und mit dem

90) Außer den in der reichen Litteratur über Aristoteles zerstreuten Angaben
über nicht auf spätere Zeiten gekommene Schriften desselben s. E. Heitz, Die
verlornen Schriften des Aristoteles. Leipzig, 1865. S. 70 und 220 flgde.

Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
lichte. Was ſeine Darſtellung der betreffenden Fächer betrifft, ſo ſind
wie bekannt nur einzelne Schriften auf die Neuzeit gekommen. Der
Verluſt der übrigen Schriften zur Thierkunde90) iſt um ſo mehr zu be-
dauern, als ſie nähere Beſchreibungen (die Zoica) und anatomiſche
Schilderungen (die Anatomae und Eclogae anatomon) der Thiere
enthalten haben und man außerdem nicht mehr im Stande iſt, ſich über
die Art, wie er ſeine Schriften an geeigneter Stelle durch Zeichnungen
zu erläutern verſuchte, ein gehöriges Bild zu machen. Doch ſteht ſo
viel feſt, daß er auch in dieſer Hinſicht den Spätern vorangieng und
ein Hülfsmittel der Verdeutlichung einführte, welches in der neueſten
Zeit häufig über alle Gebühr ausgedehnt benutzt der ohnehin ſchon
durch unzuſammenhängendes Stückwerk ſchwerfälligen Litteratur einen
weiteren Ballaſt anhängt.

Nicht ohne Abſicht iſt die Bedeutung des Ariſtoteles für die Zoo-
logie des Alterthums gerade hier hervorgehoben worden, wo es ſich um
Erwähnung deſſen handelte, was den Alten vom Bau der Thiere bekannt
war. Die Kenntniß des Baues der lebenden Weſen war und iſt der
Mittelpunkt, um welchen ſich die andern Seiten der Betrachtung theils
zu ſelbſtändigen Wiſſenszweigen entwickelt, theils in feſterem Anſchluß
ordnen. Was von der Lebensweiſe, den Sitten der Thiere erzählt und
in Schulſchriften anekdotenhaft zuſammengeſtellt wurde, fand ſeine Prü-
fung und ſcheinbare Begründung in dem als bekannt vorausgeſetzten,
häufig erdichteten anatomiſchen Verhalten der Thiere. Und wie ſehr die
Organiſation der Thiere als Grundlage des ariſtoteliſchen Thierſyſtems
anzuſehen iſt, wird bald zu erörtern ſein.

Zunächſt iſt noch ein Blick auf die weitere Entwickelung der Thier-
anatomie im Alterthum zu werfen. Gern würde man an Ariſtoteles
ſelbſt anknüpfen, um von ihm aus eine Kette von Naturforſchern we-
nigſtens bis dahin zu verfolgen, wo die Wiſſenſchaften ſämmtlich zum
Stillſtande kamen unter den mit dem Zerfall des in ſeinem Sturze
gleichzeitig die antike Culturwelt begrabenden Römerreichs und mit dem

90) Außer den in der reichen Litteratur über Ariſtoteles zerſtreuten Angaben
über nicht auf ſpätere Zeiten gekommene Schriften deſſelben ſ. E. Heitz, Die
verlornen Schriften des Ariſtoteles. Leipzig, 1865. S. 70 und 220 flgde.
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[72/0083] Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums. lichte. Was ſeine Darſtellung der betreffenden Fächer betrifft, ſo ſind wie bekannt nur einzelne Schriften auf die Neuzeit gekommen. Der Verluſt der übrigen Schriften zur Thierkunde 90) iſt um ſo mehr zu be- dauern, als ſie nähere Beſchreibungen (die Zoica) und anatomiſche Schilderungen (die Anatomae und Eclogae anatomon) der Thiere enthalten haben und man außerdem nicht mehr im Stande iſt, ſich über die Art, wie er ſeine Schriften an geeigneter Stelle durch Zeichnungen zu erläutern verſuchte, ein gehöriges Bild zu machen. Doch ſteht ſo viel feſt, daß er auch in dieſer Hinſicht den Spätern vorangieng und ein Hülfsmittel der Verdeutlichung einführte, welches in der neueſten Zeit häufig über alle Gebühr ausgedehnt benutzt der ohnehin ſchon durch unzuſammenhängendes Stückwerk ſchwerfälligen Litteratur einen weiteren Ballaſt anhängt. Nicht ohne Abſicht iſt die Bedeutung des Ariſtoteles für die Zoo- logie des Alterthums gerade hier hervorgehoben worden, wo es ſich um Erwähnung deſſen handelte, was den Alten vom Bau der Thiere bekannt war. Die Kenntniß des Baues der lebenden Weſen war und iſt der Mittelpunkt, um welchen ſich die andern Seiten der Betrachtung theils zu ſelbſtändigen Wiſſenszweigen entwickelt, theils in feſterem Anſchluß ordnen. Was von der Lebensweiſe, den Sitten der Thiere erzählt und in Schulſchriften anekdotenhaft zuſammengeſtellt wurde, fand ſeine Prü- fung und ſcheinbare Begründung in dem als bekannt vorausgeſetzten, häufig erdichteten anatomiſchen Verhalten der Thiere. Und wie ſehr die Organiſation der Thiere als Grundlage des ariſtoteliſchen Thierſyſtems anzuſehen iſt, wird bald zu erörtern ſein. Zunächſt iſt noch ein Blick auf die weitere Entwickelung der Thier- anatomie im Alterthum zu werfen. Gern würde man an Ariſtoteles ſelbſt anknüpfen, um von ihm aus eine Kette von Naturforſchern we- nigſtens bis dahin zu verfolgen, wo die Wiſſenſchaften ſämmtlich zum Stillſtande kamen unter den mit dem Zerfall des in ſeinem Sturze gleichzeitig die antike Culturwelt begrabenden Römerreichs und mit dem 90) Außer den in der reichen Litteratur über Ariſtoteles zerſtreuten Angaben über nicht auf ſpätere Zeiten gekommene Schriften deſſelben ſ. E. Heitz, Die verlornen Schriften des Ariſtoteles. Leipzig, 1865. S. 70 und 220 flgde.

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/83>, abgerufen am 21.05.2024.