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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Zoologische Kenntnisse des Alterthums.
ausgezogen, wie viel Thatsachen er mitgetheilt habe. Das hat er nun
wohl gethan, aber ohne jedes Urtheil. Für Zoologie ist sein Werk nichts
als eine kritiklose, unzuverlässige Compilation. Er beruft sich häufig auf
Aristoteles104), versteht ihn aber oft falsch und schenkt ihm nicht mehr
Glauben als andern Erzählern. Angaben über fabelhafte Thiere, welche
Aristoteles zurückgewiesen hatte, nimmt er ruhig ohne Zweifel zu äußern
wieder auf. Aus seiner Naturgeschichte geht allerdings hervor, daß
man zu seiner Zeit wohl einige Thiere mehr kannte, als Aristoteles
(vierhundert Jahre liegen zwischen beiden), seine Beschreibungen sind
aber zu unvollständig und ungenau, als daß man sie brauchen könnte.
Faßt man die Eigenthümlichkeiten seiner Naturgeschichte so (wie Ajasson)
zusammen, daß er häufig nicht glücklich in der Wahl seiner Gewährs-
männer war, daß er meist Sachen beschrieb, die er nicht selbst gesehen
hatte, es ihm dabei auf richtige Angaben über Namen und Größenver-
hältnisse nicht ankam, daß er sich häufig wiederholte und dabei wider-
sprach, so wird man hieraus auf die wissenschaftliche Bedeutsamkeit
seiner Arbeit schließen können.

Da man dem Plinius häufig noch ein ihm eigenthümliches Sy-
stem zuschreibt, mögen hierüber noch einige Bemerkungen Platz finden.
Fast scheint es, als sei die Meinung, Plinius habe sein eignes System
gehabt, nur eine Folge der traditionell gewordenen Ansicht, daß sein
Auftreten eine Epoche in der Geschichte der Thierkunde bezeichne. Ein
unbefangenes Lesen seiner Naturgeschichte rechtfertigt diese Ansicht nicht.
Nachdem er im siebenten Buche den Menschen besprochen, seine Geburt,

104) I. G. Schneider behauptet (Aristot. Hist. anim. I. Praef. p. XVIII),
daß Plinius selten oder nie die Aristotelischen Schriften angesehen oder benutzt
habe, sondern daß Alles, was er den Aristoteles bezeugen ließ, aus Fabianus Papi-
rius
und Pompejus Trogus übernommen sei. Dieser Angabe folgt auch Stahr
(Aristotelia 2. Bd. S. 98). A. von Gutschmid weist aber nach, daß Plinius,
dessen Kenntniß des Griechischen übrigens eine sehr mäßige war, neben dem Trogus
auch den Aristoteles selbst eingesehen habe. Besonders geht dies z. B. aus der Pa-
rallelstelle (Hist. nat. XI, 39, 94 und Aristot., de gener. anim. IV, 5, 774a) her-
vor, wo neben dasypus, dem aristotelischen Wort für den Hasen noch lepus ge-
nannt wird. s. A. von Gutschmid, Ueber die Fragmente des Trogus Pompeius.
Leipzig, 1857 (besonderer Abdruck aus dem 2. Suppltbd. der Jahrbücher für clas-
sische Philologie).

Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
ausgezogen, wie viel Thatſachen er mitgetheilt habe. Das hat er nun
wohl gethan, aber ohne jedes Urtheil. Für Zoologie iſt ſein Werk nichts
als eine kritikloſe, unzuverläſſige Compilation. Er beruft ſich häufig auf
Ariſtoteles104), verſteht ihn aber oft falſch und ſchenkt ihm nicht mehr
Glauben als andern Erzählern. Angaben über fabelhafte Thiere, welche
Ariſtoteles zurückgewieſen hatte, nimmt er ruhig ohne Zweifel zu äußern
wieder auf. Aus ſeiner Naturgeſchichte geht allerdings hervor, daß
man zu ſeiner Zeit wohl einige Thiere mehr kannte, als Ariſtoteles
(vierhundert Jahre liegen zwiſchen beiden), ſeine Beſchreibungen ſind
aber zu unvollſtändig und ungenau, als daß man ſie brauchen könnte.
Faßt man die Eigenthümlichkeiten ſeiner Naturgeſchichte ſo (wie Ajaſſon)
zuſammen, daß er häufig nicht glücklich in der Wahl ſeiner Gewährs-
männer war, daß er meiſt Sachen beſchrieb, die er nicht ſelbſt geſehen
hatte, es ihm dabei auf richtige Angaben über Namen und Größenver-
hältniſſe nicht ankam, daß er ſich häufig wiederholte und dabei wider-
ſprach, ſo wird man hieraus auf die wiſſenſchaftliche Bedeutſamkeit
ſeiner Arbeit ſchließen können.

Da man dem Plinius häufig noch ein ihm eigenthümliches Sy-
ſtem zuſchreibt, mögen hierüber noch einige Bemerkungen Platz finden.
Faſt ſcheint es, als ſei die Meinung, Plinius habe ſein eignes Syſtem
gehabt, nur eine Folge der traditionell gewordenen Anſicht, daß ſein
Auftreten eine Epoche in der Geſchichte der Thierkunde bezeichne. Ein
unbefangenes Leſen ſeiner Naturgeſchichte rechtfertigt dieſe Anſicht nicht.
Nachdem er im ſiebenten Buche den Menſchen beſprochen, ſeine Geburt,

104) I. G. Schneider behauptet (Aristot. Hist. anim. I. Praef. p. XVIII),
daß Plinius ſelten oder nie die Ariſtoteliſchen Schriften angeſehen oder benutzt
habe, ſondern daß Alles, was er den Ariſtoteles bezeugen ließ, aus Fabianus Papi-
rius
und Pompejus Trogus übernommen ſei. Dieſer Angabe folgt auch Stahr
(Ariſtotelia 2. Bd. S. 98). A. von Gutſchmid weiſt aber nach, daß Plinius,
deſſen Kenntniß des Griechiſchen übrigens eine ſehr mäßige war, neben dem Trogus
auch den Ariſtoteles ſelbſt eingeſehen habe. Beſonders geht dies z. B. aus der Pa-
rallelſtelle (Hist. nát. XI, 39, 94 und Aristot., de gener. anim. IV, 5, 774a) her-
vor, wo neben dasypus, dem ariſtoteliſchen Wort für den Haſen noch lepus ge-
nannt wird. ſ. A. von Gutſchmid, Ueber die Fragmente des Trogus Pompeius.
Leipzig, 1857 (beſonderer Abdruck aus dem 2. Suppltbd. der Jahrbücher für claſ-
ſiſche Philologie).
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[86/0097] Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums. ausgezogen, wie viel Thatſachen er mitgetheilt habe. Das hat er nun wohl gethan, aber ohne jedes Urtheil. Für Zoologie iſt ſein Werk nichts als eine kritikloſe, unzuverläſſige Compilation. Er beruft ſich häufig auf Ariſtoteles 104), verſteht ihn aber oft falſch und ſchenkt ihm nicht mehr Glauben als andern Erzählern. Angaben über fabelhafte Thiere, welche Ariſtoteles zurückgewieſen hatte, nimmt er ruhig ohne Zweifel zu äußern wieder auf. Aus ſeiner Naturgeſchichte geht allerdings hervor, daß man zu ſeiner Zeit wohl einige Thiere mehr kannte, als Ariſtoteles (vierhundert Jahre liegen zwiſchen beiden), ſeine Beſchreibungen ſind aber zu unvollſtändig und ungenau, als daß man ſie brauchen könnte. Faßt man die Eigenthümlichkeiten ſeiner Naturgeſchichte ſo (wie Ajaſſon) zuſammen, daß er häufig nicht glücklich in der Wahl ſeiner Gewährs- männer war, daß er meiſt Sachen beſchrieb, die er nicht ſelbſt geſehen hatte, es ihm dabei auf richtige Angaben über Namen und Größenver- hältniſſe nicht ankam, daß er ſich häufig wiederholte und dabei wider- ſprach, ſo wird man hieraus auf die wiſſenſchaftliche Bedeutſamkeit ſeiner Arbeit ſchließen können. Da man dem Plinius häufig noch ein ihm eigenthümliches Sy- ſtem zuſchreibt, mögen hierüber noch einige Bemerkungen Platz finden. Faſt ſcheint es, als ſei die Meinung, Plinius habe ſein eignes Syſtem gehabt, nur eine Folge der traditionell gewordenen Anſicht, daß ſein Auftreten eine Epoche in der Geſchichte der Thierkunde bezeichne. Ein unbefangenes Leſen ſeiner Naturgeſchichte rechtfertigt dieſe Anſicht nicht. Nachdem er im ſiebenten Buche den Menſchen beſprochen, ſeine Geburt, 104) I. G. Schneider behauptet (Aristot. Hist. anim. I. Praef. p. XVIII), daß Plinius ſelten oder nie die Ariſtoteliſchen Schriften angeſehen oder benutzt habe, ſondern daß Alles, was er den Ariſtoteles bezeugen ließ, aus Fabianus Papi- rius und Pompejus Trogus übernommen ſei. Dieſer Angabe folgt auch Stahr (Ariſtotelia 2. Bd. S. 98). A. von Gutſchmid weiſt aber nach, daß Plinius, deſſen Kenntniß des Griechiſchen übrigens eine ſehr mäßige war, neben dem Trogus auch den Ariſtoteles ſelbſt eingeſehen habe. Beſonders geht dies z. B. aus der Pa- rallelſtelle (Hist. nát. XI, 39, 94 und Aristot., de gener. anim. IV, 5, 774a) her- vor, wo neben dasypus, dem ariſtoteliſchen Wort für den Haſen noch lepus ge- nannt wird. ſ. A. von Gutſchmid, Ueber die Fragmente des Trogus Pompeius. Leipzig, 1857 (beſonderer Abdruck aus dem 2. Suppltbd. der Jahrbücher für claſ- ſiſche Philologie).

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/97>, abgerufen am 17.05.2024.