Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Das Erbe der alten Welt. Volkes, sowie in der ebenso edeln Kunst der Erfindung neuer Kriegs-strategeme und ihrer taktischen Verwertung durch möglichst massenhaftes Menschenvieh viel Anerkennungswertes leisten. Etwas Wahres liegt auch unstreitig in dieser Auffassung. Es kam in Rom eine Zeit, wo die sich vornehm dünkenden Leute mit Kriegswesen und Politik sich nicht bloss, wo es not that, abgaben, sondern sie als Lebensbeschäftigung erwählten. Wie bei uns, bis vor Kurzem, ein "hochgeborner Mensch" nur Offizier, Diplomat oder Verwaltungsbeamter werden durfte, so gab es auch für die "oberen Zehntausend" im späteren Rom nur drei Be- rufe, durch die sie ihrer Stellung nichts vergaben: die res militaris, die juris scientia und die eloquentia.1) Und da die Welt noch jung und die Wissenschaften übersehbar waren, konnte ein tüchtiger Mann leicht alle drei beherrschen; hatte er dazu noch recht viel Geld, dann war er ein fertiger Politiker. Man lese nur immer wieder die Briefe Cicero's, wenn man durch die naiven Geständnisse eines in den Ideen seiner Zeit befangenen, nicht viel weiter als seine Nase hinausschauenden Mannes lernen will, wie das grosse Rom und seine Geschicke der Spielball eitler Müssiggänger wurden, und mit wie grossem Recht man behaupten kann, dass seine Politiker Rom nicht gemacht, sondern viel- mehr es zu Grunde gerichtet haben. Es hat überhaupt mit der Politik -- auch ausserhalb Roms -- sein eigenes Bewenden. Von Alexander an bis Napoleon: schwer wäre es, die Macht der frevelhaften Willkür in den rein politischen Helden zu hoch zu schätzen! Eine kurze Ver- ständigung hierüber ist umsomehr in diesem Kapitel am Platze, als gerade Rom mit Recht für einen spezifisch politischen Staat gilt, und wir folglich von ihm zu erfahren hoffen dürfen, wie und von wem grosse, erfolgreiche Politik gemacht wird. Was Gibbon von den Königen im Allgemeinen sagt: "ihre 1) Vergl. Savigny: Geschichte des römischen Rechtes im Mittelalter, Kap. I.
Das Erbe der alten Welt. Volkes, sowie in der ebenso edeln Kunst der Erfindung neuer Kriegs-strategeme und ihrer taktischen Verwertung durch möglichst massenhaftes Menschenvieh viel Anerkennungswertes leisten. Etwas Wahres liegt auch unstreitig in dieser Auffassung. Es kam in Rom eine Zeit, wo die sich vornehm dünkenden Leute mit Kriegswesen und Politik sich nicht bloss, wo es not that, abgaben, sondern sie als Lebensbeschäftigung erwählten. Wie bei uns, bis vor Kurzem, ein »hochgeborner Mensch« nur Offizier, Diplomat oder Verwaltungsbeamter werden durfte, so gab es auch für die »oberen Zehntausend« im späteren Rom nur drei Be- rufe, durch die sie ihrer Stellung nichts vergaben: die res militaris, die juris scientia und die eloquentia.1) Und da die Welt noch jung und die Wissenschaften übersehbar waren, konnte ein tüchtiger Mann leicht alle drei beherrschen; hatte er dazu noch recht viel Geld, dann war er ein fertiger Politiker. Man lese nur immer wieder die Briefe Cicero’s, wenn man durch die naiven Geständnisse eines in den Ideen seiner Zeit befangenen, nicht viel weiter als seine Nase hinausschauenden Mannes lernen will, wie das grosse Rom und seine Geschicke der Spielball eitler Müssiggänger wurden, und mit wie grossem Recht man behaupten kann, dass seine Politiker Rom nicht gemacht, sondern viel- mehr es zu Grunde gerichtet haben. Es hat überhaupt mit der Politik — auch ausserhalb Roms — sein eigenes Bewenden. Von Alexander an bis Napoleon: schwer wäre es, die Macht der frevelhaften Willkür in den rein politischen Helden zu hoch zu schätzen! Eine kurze Ver- ständigung hierüber ist umsomehr in diesem Kapitel am Platze, als gerade Rom mit Recht für einen spezifisch politischen Staat gilt, und wir folglich von ihm zu erfahren hoffen dürfen, wie und von wem grosse, erfolgreiche Politik gemacht wird. Was Gibbon von den Königen im Allgemeinen sagt: »ihre 1) Vergl. Savigny: Geschichte des römischen Rechtes im Mittelalter, Kap. I.
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Das Erbe der alten Welt.
Volkes, sowie in der ebenso edeln Kunst der Erfindung neuer Kriegs-
strategeme und ihrer taktischen Verwertung durch möglichst massenhaftes
Menschenvieh viel Anerkennungswertes leisten. Etwas Wahres liegt
auch unstreitig in dieser Auffassung. Es kam in Rom eine Zeit, wo
die sich vornehm dünkenden Leute mit Kriegswesen und Politik sich
nicht bloss, wo es not that, abgaben, sondern sie als Lebensbeschäftigung
erwählten. Wie bei uns, bis vor Kurzem, ein »hochgeborner Mensch«
nur Offizier, Diplomat oder Verwaltungsbeamter werden durfte, so gab
es auch für die »oberen Zehntausend« im späteren Rom nur drei Be-
rufe, durch die sie ihrer Stellung nichts vergaben: die res militaris, die
juris scientia und die eloquentia. 1) Und da die Welt noch jung und
die Wissenschaften übersehbar waren, konnte ein tüchtiger Mann leicht
alle drei beherrschen; hatte er dazu noch recht viel Geld, dann war
er ein fertiger Politiker. Man lese nur immer wieder die Briefe
Cicero’s, wenn man durch die naiven Geständnisse eines in den Ideen
seiner Zeit befangenen, nicht viel weiter als seine Nase hinausschauenden
Mannes lernen will, wie das grosse Rom und seine Geschicke der
Spielball eitler Müssiggänger wurden, und mit wie grossem Recht man
behaupten kann, dass seine Politiker Rom nicht gemacht, sondern viel-
mehr es zu Grunde gerichtet haben. Es hat überhaupt mit der Politik —
auch ausserhalb Roms — sein eigenes Bewenden. Von Alexander
an bis Napoleon: schwer wäre es, die Macht der frevelhaften Willkür
in den rein politischen Helden zu hoch zu schätzen! Eine kurze Ver-
ständigung hierüber ist umsomehr in diesem Kapitel am Platze, als
gerade Rom mit Recht für einen spezifisch politischen Staat gilt, und
wir folglich von ihm zu erfahren hoffen dürfen, wie und von wem
grosse, erfolgreiche Politik gemacht wird.
Was Gibbon von den Königen im Allgemeinen sagt: »ihre
Macht ist am wirksamsten in der Zerstörung«, das gilt von fast allen
Politikern — sobald sie hinreichende Macht besitzen. Ich weiss nicht,
ob es nicht der weise Solon war, der eine gedeihliche Entwickelung
des atheniensischen Staates für alle Zeiten unmöglich machte, indem
er den historisch gegebenen Bestand der Bevölkerung aus verschiedenen
Stämmen aufhob und eine künstliche Einteilung in Klassen nach dem
Vermögensstand einführte. Diese sogenannte Timokratie (Ehre dem,
der Geld hat) stellt sich zwar von selbst überall mehr oder weniger
ein, und Solon hat wenigstens dafür gesorgt, dass die Pflichten mit
1) Vergl. Savigny: Geschichte des römischen Rechtes im Mittelalter, Kap. I.
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