Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Erbe der alten Welt.
echter, rechter Römer war, im angestammten Vaterlande fest einge-
wurzelt, somit seine individuelle Willkür (wie bei Lykurg) sicherlich
von der Richtschnur des seiner Nation Angemessenen nie allzuweit
abgeirrt wäre. Und doch ist es gerade dieser Mann, und kein anderer,
der den zähen Lebensbaum der römischen Verfassung knickte und
einem unausbleiblichen Siechtum und Niedergang weihte. Denn das
Erstaunliche im vorcaesarischen Rom ist nicht, dass die Stadt so viele
heftige Stürme im Innern zu durchleben hatte -- bei einem so un-
vergleichlich elastischen Gebilde ist das natürlich, der Zusammenstoss
der Interessen und der nie und nirgends rastende Ehrgeiz der Politiker
von Fach sorgte dort wie allerorten dafür -- nein, was uns mit Ver-
wunderung und mit Bewunderung erfüllt, ist vielmehr die Lebens-
kraft dieser Verfassung. Patrizier und Plebejer konnten periodisch
gegeneinander wüten: eine unsichtbare Macht hielt sie doch aneinander-
gekettet; sobald neuen Verhältnissen durch einen neuen Ausgleich
Rechnung getragen worden war, stand der römische Staat wieder da,
stärker als ehedem.1) Caesar wurde inmitten einer dieser schweren Krisen

1) Der Ausdruck "Aristokratie und Plebs", den Ranke für Patrizier und
Plebejer beliebt, ist, Laien gegenüber, so irreführend wie nur möglich. Schon
Niebuhr hat gegen die Verwechslung von Plebs und Pöbel Einspruch erhoben.
Patrizier und Plebejer sind vielmehr wie zwei Mächte in dem einen Staate, die
eine freilich vielfach politisch bevorzugt, die andere vielfach politisch zurückgesetzt
(wenigstens in früherer Zeit), beide aber doch aus freien, unabhängigen, durchaus
selbständigen Landsassen zusammengesetzt. Und darum kann Sallust selbst von
den alten Zeiten schreiben: "die höchste Autorität lag wohl bei den Patriziern,
die Kraft jedoch ganz gewiss bei den Plebejern" (Bf. an Caesar I, 5); auch sehen
wir von jeher die Plebejer eine grosse Rolle im Staate spielen und ihre Familien
sich vielfach mit den patrizischen verbinden. Der ungelehrte Mann unter uns wird
also durchaus irregeführt, wenn er die Vorstellung empfängt, es habe sich in Rom
um eine Aristokratie und einen Pöbel gehandelt. Die Eigentümlichkeit, das merk-
würdig Lebensvolle des römischen Staates hat seinen Grund darin, dass er von
Anfang an zwei unterschiedliche Teile enthielt (die manche Analogie in der
politischen Wirksamkeit mit Whigs und Tories zeigen, nur dass es sich um "ge-
borene Parteien" handelt), die aber beide durch genau dieselben Interessen des
Besitzes, des Rechtes und der Freiheit mit dem Staate gleichmässig verwachsen
waren: daher beständig frisches Leben im Innern, daher beständig eiserne Ein-
mütigkeit nach aussen. Von den plebejischen Bestandteilen des Heeres berichtet
Cato, sie seien: "viri fortissimi et milites strenuissimi"; es waren eben freie Männer,
die für eigenes Heim und eigenen Herd kämpften; im alten Rom durften über-
haupt nur Grundbesitzer den Heerdienst leisten, und Plebejer bekleideten Offiziers-
stellen ebenso gut wie Patrizier! (siehe Mommsen: Abriss des römischen Staats-
rechtes,
1893, S. 258 und Esmarch: Römische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., S. 28 ff.).

Das Erbe der alten Welt.
echter, rechter Römer war, im angestammten Vaterlande fest einge-
wurzelt, somit seine individuelle Willkür (wie bei Lykurg) sicherlich
von der Richtschnur des seiner Nation Angemessenen nie allzuweit
abgeirrt wäre. Und doch ist es gerade dieser Mann, und kein anderer,
der den zähen Lebensbaum der römischen Verfassung knickte und
einem unausbleiblichen Siechtum und Niedergang weihte. Denn das
Erstaunliche im vorcaesarischen Rom ist nicht, dass die Stadt so viele
heftige Stürme im Innern zu durchleben hatte — bei einem so un-
vergleichlich elastischen Gebilde ist das natürlich, der Zusammenstoss
der Interessen und der nie und nirgends rastende Ehrgeiz der Politiker
von Fach sorgte dort wie allerorten dafür — nein, was uns mit Ver-
wunderung und mit Bewunderung erfüllt, ist vielmehr die Lebens-
kraft dieser Verfassung. Patrizier und Plebejer konnten periodisch
gegeneinander wüten: eine unsichtbare Macht hielt sie doch aneinander-
gekettet; sobald neuen Verhältnissen durch einen neuen Ausgleich
Rechnung getragen worden war, stand der römische Staat wieder da,
stärker als ehedem.1) Caesar wurde inmitten einer dieser schweren Krisen

1) Der Ausdruck »Aristokratie und Plebs«, den Ranke für Patrizier und
Plebejer beliebt, ist, Laien gegenüber, so irreführend wie nur möglich. Schon
Niebuhr hat gegen die Verwechslung von Plebs und Pöbel Einspruch erhoben.
Patrizier und Plebejer sind vielmehr wie zwei Mächte in dem einen Staate, die
eine freilich vielfach politisch bevorzugt, die andere vielfach politisch zurückgesetzt
(wenigstens in früherer Zeit), beide aber doch aus freien, unabhängigen, durchaus
selbständigen Landsassen zusammengesetzt. Und darum kann Sallust selbst von
den alten Zeiten schreiben: »die höchste Autorität lag wohl bei den Patriziern,
die Kraft jedoch ganz gewiss bei den Plebejern« (Bf. an Caesar I, 5); auch sehen
wir von jeher die Plebejer eine grosse Rolle im Staate spielen und ihre Familien
sich vielfach mit den patrizischen verbinden. Der ungelehrte Mann unter uns wird
also durchaus irregeführt, wenn er die Vorstellung empfängt, es habe sich in Rom
um eine Aristokratie und einen Pöbel gehandelt. Die Eigentümlichkeit, das merk-
würdig Lebensvolle des römischen Staates hat seinen Grund darin, dass er von
Anfang an zwei unterschiedliche Teile enthielt (die manche Analogie in der
politischen Wirksamkeit mit Whigs und Tories zeigen, nur dass es sich um »ge-
borene Parteien« handelt), die aber beide durch genau dieselben Interessen des
Besitzes, des Rechtes und der Freiheit mit dem Staate gleichmässig verwachsen
waren: daher beständig frisches Leben im Innern, daher beständig eiserne Ein-
mütigkeit nach aussen. Von den plebejischen Bestandteilen des Heeres berichtet
Cato, sie seien: »viri fortissimi et milites strenuissimi«; es waren eben freie Männer,
die für eigenes Heim und eigenen Herd kämpften; im alten Rom durften über-
haupt nur Grundbesitzer den Heerdienst leisten, und Plebejer bekleideten Offiziers-
stellen ebenso gut wie Patrizier! (siehe Mommsen: Abriss des römischen Staats-
rechtes,
1893, S. 258 und Esmarch: Römische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., S. 28 ff.).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0149" n="126"/><fw place="top" type="header">Das Erbe der alten Welt.</fw><lb/>
echter, rechter Römer war, im angestammten Vaterlande fest einge-<lb/>
wurzelt, somit seine individuelle Willkür (wie bei Lykurg) sicherlich<lb/>
von der Richtschnur des seiner Nation Angemessenen nie allzuweit<lb/>
abgeirrt wäre. Und doch ist es gerade dieser Mann, und kein anderer,<lb/>
der den zähen Lebensbaum der römischen Verfassung knickte und<lb/>
einem unausbleiblichen Siechtum und Niedergang weihte. Denn das<lb/>
Erstaunliche im vorcaesarischen Rom ist nicht, dass die Stadt so viele<lb/>
heftige Stürme im Innern zu durchleben hatte &#x2014; bei einem so un-<lb/>
vergleichlich elastischen Gebilde ist das natürlich, der Zusammenstoss<lb/>
der Interessen und der nie und nirgends rastende Ehrgeiz der Politiker<lb/>
von Fach sorgte dort wie allerorten dafür &#x2014; nein, was uns mit Ver-<lb/>
wunderung und mit Bewunderung erfüllt, ist vielmehr die Lebens-<lb/>
kraft dieser Verfassung. Patrizier und Plebejer konnten periodisch<lb/>
gegeneinander wüten: eine unsichtbare Macht hielt sie doch aneinander-<lb/>
gekettet; sobald neuen Verhältnissen durch einen neuen Ausgleich<lb/>
Rechnung getragen worden war, stand der römische Staat wieder da,<lb/>
stärker als ehedem.<note place="foot" n="1)">Der Ausdruck »Aristokratie und Plebs«, den Ranke für Patrizier und<lb/>
Plebejer beliebt, ist, Laien gegenüber, so irreführend wie nur möglich. Schon<lb/>
Niebuhr hat gegen die Verwechslung von Plebs und Pöbel Einspruch erhoben.<lb/>
Patrizier und Plebejer sind vielmehr wie zwei Mächte in dem einen Staate, die<lb/>
eine freilich vielfach politisch bevorzugt, die andere vielfach politisch zurückgesetzt<lb/>
(wenigstens in früherer Zeit), beide aber doch aus freien, unabhängigen, durchaus<lb/>
selbständigen Landsassen zusammengesetzt. Und darum kann <hi rendition="#g">Sallust</hi> selbst von<lb/>
den alten Zeiten schreiben: »die höchste Autorität lag wohl bei den Patriziern,<lb/>
die Kraft jedoch ganz gewiss bei den Plebejern« (Bf. an Caesar I, 5); auch sehen<lb/>
wir von jeher die Plebejer eine grosse Rolle im Staate spielen und ihre Familien<lb/>
sich vielfach mit den patrizischen verbinden. Der ungelehrte Mann unter uns wird<lb/>
also durchaus irregeführt, wenn er die Vorstellung empfängt, es habe sich in Rom<lb/>
um eine Aristokratie und einen Pöbel gehandelt. Die Eigentümlichkeit, das merk-<lb/>
würdig Lebensvolle des römischen Staates hat seinen Grund darin, dass er von<lb/>
Anfang an zwei unterschiedliche Teile enthielt (die manche Analogie in der<lb/>
politischen Wirksamkeit mit Whigs und Tories zeigen, nur dass es sich um »ge-<lb/>
borene Parteien« handelt), die aber beide durch genau dieselben Interessen des<lb/>
Besitzes, des Rechtes und der Freiheit mit dem Staate gleichmässig verwachsen<lb/>
waren: daher beständig frisches Leben im Innern, daher beständig eiserne Ein-<lb/>
mütigkeit nach aussen. Von den plebejischen Bestandteilen des Heeres berichtet<lb/>
Cato, sie seien: »<hi rendition="#i">viri fortissimi et milites strenuissimi</hi>«; es waren eben freie Männer,<lb/>
die für eigenes Heim und eigenen Herd kämpften; im alten Rom durften über-<lb/>
haupt nur Grundbesitzer den Heerdienst leisten, und Plebejer bekleideten Offiziers-<lb/>
stellen ebenso gut wie Patrizier! (siehe Mommsen: <hi rendition="#i">Abriss des römischen Staats-<lb/>
rechtes,</hi> 1893, S. 258 und Esmarch: <hi rendition="#i">Römische Rechtsgeschichte,</hi> 3. Aufl., S. 28 ff.).</note> Caesar wurde inmitten einer dieser schweren Krisen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0149] Das Erbe der alten Welt. echter, rechter Römer war, im angestammten Vaterlande fest einge- wurzelt, somit seine individuelle Willkür (wie bei Lykurg) sicherlich von der Richtschnur des seiner Nation Angemessenen nie allzuweit abgeirrt wäre. Und doch ist es gerade dieser Mann, und kein anderer, der den zähen Lebensbaum der römischen Verfassung knickte und einem unausbleiblichen Siechtum und Niedergang weihte. Denn das Erstaunliche im vorcaesarischen Rom ist nicht, dass die Stadt so viele heftige Stürme im Innern zu durchleben hatte — bei einem so un- vergleichlich elastischen Gebilde ist das natürlich, der Zusammenstoss der Interessen und der nie und nirgends rastende Ehrgeiz der Politiker von Fach sorgte dort wie allerorten dafür — nein, was uns mit Ver- wunderung und mit Bewunderung erfüllt, ist vielmehr die Lebens- kraft dieser Verfassung. Patrizier und Plebejer konnten periodisch gegeneinander wüten: eine unsichtbare Macht hielt sie doch aneinander- gekettet; sobald neuen Verhältnissen durch einen neuen Ausgleich Rechnung getragen worden war, stand der römische Staat wieder da, stärker als ehedem. 1) Caesar wurde inmitten einer dieser schweren Krisen 1) Der Ausdruck »Aristokratie und Plebs«, den Ranke für Patrizier und Plebejer beliebt, ist, Laien gegenüber, so irreführend wie nur möglich. Schon Niebuhr hat gegen die Verwechslung von Plebs und Pöbel Einspruch erhoben. Patrizier und Plebejer sind vielmehr wie zwei Mächte in dem einen Staate, die eine freilich vielfach politisch bevorzugt, die andere vielfach politisch zurückgesetzt (wenigstens in früherer Zeit), beide aber doch aus freien, unabhängigen, durchaus selbständigen Landsassen zusammengesetzt. Und darum kann Sallust selbst von den alten Zeiten schreiben: »die höchste Autorität lag wohl bei den Patriziern, die Kraft jedoch ganz gewiss bei den Plebejern« (Bf. an Caesar I, 5); auch sehen wir von jeher die Plebejer eine grosse Rolle im Staate spielen und ihre Familien sich vielfach mit den patrizischen verbinden. Der ungelehrte Mann unter uns wird also durchaus irregeführt, wenn er die Vorstellung empfängt, es habe sich in Rom um eine Aristokratie und einen Pöbel gehandelt. Die Eigentümlichkeit, das merk- würdig Lebensvolle des römischen Staates hat seinen Grund darin, dass er von Anfang an zwei unterschiedliche Teile enthielt (die manche Analogie in der politischen Wirksamkeit mit Whigs und Tories zeigen, nur dass es sich um »ge- borene Parteien« handelt), die aber beide durch genau dieselben Interessen des Besitzes, des Rechtes und der Freiheit mit dem Staate gleichmässig verwachsen waren: daher beständig frisches Leben im Innern, daher beständig eiserne Ein- mütigkeit nach aussen. Von den plebejischen Bestandteilen des Heeres berichtet Cato, sie seien: »viri fortissimi et milites strenuissimi«; es waren eben freie Männer, die für eigenes Heim und eigenen Herd kämpften; im alten Rom durften über- haupt nur Grundbesitzer den Heerdienst leisten, und Plebejer bekleideten Offiziers- stellen ebenso gut wie Patrizier! (siehe Mommsen: Abriss des römischen Staats- rechtes, 1893, S. 258 und Esmarch: Römische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., S. 28 ff.).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/149
Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/149>, abgerufen am 21.11.2024.