Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Römisches Recht. geraten, zu plötzlich civilisiert worden? Hatten die fast ebenso feurigbegabten Kelten im wilden Norden sich selber so verwildert, dass sie darum nichts mehr bilden, nichts mehr organisieren, keinen Staat mehr begrenzte Geschlechtsgemeinschaft herrschte, alle Geschwister untereinander Gatten
waren, alle ihre Kinder untereinander Brüder und Schwestern u. s. w."; daraus soll sich dann im weiteren Verlauf der Zeiten das sogenannte Matriarchat, das Mutterrecht, als erster Fortschritt herausgebildet haben -- -- -- und so geht das Märchen seitenlang weiter; man glaubt dem ersten Stottern einer neuen Mythologie zu lauschen. Was das Mutterrecht anbelangt (d. h. Familiennamen und Erbrecht nach der Mutter, da die Vaterschaft stets eine gemeinschaftliche war), so hat Jhering überzeugend dargethan, dass es schon den ältesten Ariern, noch vor der Ablösung eines Germanenstammes, "gänzlich fremd" war (Vorgeschichte, S. 61 ff); und die urältesten Bestandteile der arischen Sprache deuten schon auf "die Herren- stellung des Gatten und Hausvaters" (Leist: Gräco-ital. Rechtsgeschichte, S. 58); jene Annahme entbehrt folglich jeder wissenschaftlichen Grundlage. Wichtiger noch ist es, festzustellen, dass die von Lamprecht angerufene "vergleichende Völkerkunde" nirgends auf der ganzen Welt Geschlechtsgemeinschaft unter Menschen gefunden hat. Im Jahre 1896 ist ein kleines Werk erschienen, welches in streng objektiver Weise alle hierher gehörigen Forschungen zusammenfasst, Ernst Grosse's: Die Formen der Familie und die Formen der Wirtschaft, und da sieht man, wie die angeblich empirischen Philosophen, Herbert Spencer an der Spitze, und die angeblich streng empirischen, als "Autoritäten" verehrten Anthropologen und Ethnologen (mit rühmlichen Ausnahmen, wie Lubbock) einfach von der a priori Voraussetzung ausgingen, es müsse bei einfacheren Völkern Geschlechtsgemeinschaft geben, da die Entwickelungslehre es erfordere, und wie sie dann überall Bestätigungen fanden. Jetzt aber ergeben genauere und unvoreingenommene Studien für einen Stamm nach dem anderen, dass die Ge- schlechtsgemeinschaft dort nicht existiert, und Grosse darf die apodiktische Be- hauptung aufstellen: "Es giebt schlechterdings kein einziges primitives Volk, dessen Geschlechtsverhältnisse sich einem Zustande von Promiscuität näherten oder auch nur auf ihn hindeuteten. Die festgefügte Einzelfamilie ist keineswegs erst eine späte Errungenschaft der Civilisation, sondern sie besteht schon auf der untersten Kulturstufe als Regel ohne Ausnahme" (S. 42). Die genauen Belege findet man bei Grosse; im übrigen bezeugen alle anthropologischen und ethnologischen Berichte der letzten Jahre, wie sehr wir die sogenanten Wilden unterschätzt, wie oberflächlich wir beobachtet, wie unbesonnen wir auf Urzustände geschlossen hatten, von denen wir nicht das Geringste sicher wissen. -- Da dieser Gegenstand prinzipiell ungemein wichtig ist und auch auf die wissenschaftliche Denkkraft und Denkmethode unsers Jahrhunderts ein eigentümliches, sehr be- merkenswertes Streiflicht wirft, so möchte ich noch ein lehrreiches Beispiel be- sonders anführen. Die Urbewohner von Zentralaustralien sollen bekanntlich zu den geistig zurückgebliebensten aller Menschen gehören; Lubbock nennt sie: "elende Wilde, die nicht ihre eigenen Finger, selbst nicht einmal die an einer Hand, zählen können". (Die vorgeschichtliche Zeit, deutsche Üb., II, 151). Man kann sich denken, mit welcher Geringschätzung der Reisende Eyre über die "höchst Römisches Recht. geraten, zu plötzlich civilisiert worden? Hatten die fast ebenso feurigbegabten Kelten im wilden Norden sich selber so verwildert, dass sie darum nichts mehr bilden, nichts mehr organisieren, keinen Staat mehr begrenzte Geschlechtsgemeinschaft herrschte, alle Geschwister untereinander Gatten
waren, alle ihre Kinder untereinander Brüder und Schwestern u. s. w.«; daraus soll sich dann im weiteren Verlauf der Zeiten das sogenannte Matriarchat, das Mutterrecht, als erster Fortschritt herausgebildet haben — — — und so geht das Märchen seitenlang weiter; man glaubt dem ersten Stottern einer neuen Mythologie zu lauschen. Was das Mutterrecht anbelangt (d. h. Familiennamen und Erbrecht nach der Mutter, da die Vaterschaft stets eine gemeinschaftliche war), so hat Jhering überzeugend dargethan, dass es schon den ältesten Ariern, noch vor der Ablösung eines Germanenstammes, »gänzlich fremd« war (Vorgeschichte, S. 61 ff); und die urältesten Bestandteile der arischen Sprache deuten schon auf »die Herren- stellung des Gatten und Hausvaters« (Leist: Gräco-ital. Rechtsgeschichte, S. 58); jene Annahme entbehrt folglich jeder wissenschaftlichen Grundlage. Wichtiger noch ist es, festzustellen, dass die von Lamprecht angerufene »vergleichende Völkerkunde« nirgends auf der ganzen Welt Geschlechtsgemeinschaft unter Menschen gefunden hat. Im Jahre 1896 ist ein kleines Werk erschienen, welches in streng objektiver Weise alle hierher gehörigen Forschungen zusammenfasst, Ernst Grosse’s: Die Formen der Familie und die Formen der Wirtschaft, und da sieht man, wie die angeblich empirischen Philosophen, Herbert Spencer an der Spitze, und die angeblich streng empirischen, als »Autoritäten« verehrten Anthropologen und Ethnologen (mit rühmlichen Ausnahmen, wie Lubbock) einfach von der a priori Voraussetzung ausgingen, es müsse bei einfacheren Völkern Geschlechtsgemeinschaft geben, da die Entwickelungslehre es erfordere, und wie sie dann überall Bestätigungen fanden. Jetzt aber ergeben genauere und unvoreingenommene Studien für einen Stamm nach dem anderen, dass die Ge- schlechtsgemeinschaft dort nicht existiert, und Grosse darf die apodiktische Be- hauptung aufstellen: »Es giebt schlechterdings kein einziges primitives Volk, dessen Geschlechtsverhältnisse sich einem Zustande von Promiscuität näherten oder auch nur auf ihn hindeuteten. Die festgefügte Einzelfamilie ist keineswegs erst eine späte Errungenschaft der Civilisation, sondern sie besteht schon auf der untersten Kulturstufe als Regel ohne Ausnahme« (S. 42). Die genauen Belege findet man bei Grosse; im übrigen bezeugen alle anthropologischen und ethnologischen Berichte der letzten Jahre, wie sehr wir die sogenanten Wilden unterschätzt, wie oberflächlich wir beobachtet, wie unbesonnen wir auf Urzustände geschlossen hatten, von denen wir nicht das Geringste sicher wissen. — Da dieser Gegenstand prinzipiell ungemein wichtig ist und auch auf die wissenschaftliche Denkkraft und Denkmethode unsers Jahrhunderts ein eigentümliches, sehr be- merkenswertes Streiflicht wirft, so möchte ich noch ein lehrreiches Beispiel be- sonders anführen. Die Urbewohner von Zentralaustralien sollen bekanntlich zu den geistig zurückgebliebensten aller Menschen gehören; Lubbock nennt sie: »elende Wilde, die nicht ihre eigenen Finger, selbst nicht einmal die an einer Hand, zählen können«. (Die vorgeschichtliche Zeit, deutsche Üb., II, 151). 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Römisches Recht.
geraten, zu plötzlich civilisiert worden? Hatten die fast ebenso feurig
begabten Kelten im wilden Norden sich selber so verwildert, dass sie
darum nichts mehr bilden, nichts mehr organisieren, keinen Staat mehr
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1) begrenzte Geschlechtsgemeinschaft herrschte, alle Geschwister untereinander Gatten
waren, alle ihre Kinder untereinander Brüder und Schwestern u. s. w.«; daraus
soll sich dann im weiteren Verlauf der Zeiten das sogenannte Matriarchat, das
Mutterrecht, als erster Fortschritt herausgebildet haben — — — und so geht das
Märchen seitenlang weiter; man glaubt dem ersten Stottern einer neuen Mythologie
zu lauschen. Was das Mutterrecht anbelangt (d. h. Familiennamen und Erbrecht
nach der Mutter, da die Vaterschaft stets eine gemeinschaftliche war), so hat
Jhering überzeugend dargethan, dass es schon den ältesten Ariern, noch vor der
Ablösung eines Germanenstammes, »gänzlich fremd« war (Vorgeschichte, S. 61 ff);
und die urältesten Bestandteile der arischen Sprache deuten schon auf »die Herren-
stellung des Gatten und Hausvaters« (Leist: Gräco-ital. Rechtsgeschichte, S. 58);
jene Annahme entbehrt folglich jeder wissenschaftlichen Grundlage. Wichtiger
noch ist es, festzustellen, dass die von Lamprecht angerufene »vergleichende
Völkerkunde« nirgends auf der ganzen Welt Geschlechtsgemeinschaft unter
Menschen gefunden hat. Im Jahre 1896 ist ein kleines Werk erschienen, welches
in streng objektiver Weise alle hierher gehörigen Forschungen zusammenfasst,
Ernst Grosse’s: Die Formen der Familie und die Formen der Wirtschaft, und
da sieht man, wie die angeblich empirischen Philosophen, Herbert Spencer
an der Spitze, und die angeblich streng empirischen, als »Autoritäten« verehrten
Anthropologen und Ethnologen (mit rühmlichen Ausnahmen, wie Lubbock)
einfach von der a priori Voraussetzung ausgingen, es müsse bei einfacheren
Völkern Geschlechtsgemeinschaft geben, da die Entwickelungslehre es erfordere,
und wie sie dann überall Bestätigungen fanden. Jetzt aber ergeben genauere und
unvoreingenommene Studien für einen Stamm nach dem anderen, dass die Ge-
schlechtsgemeinschaft dort nicht existiert, und Grosse darf die apodiktische Be-
hauptung aufstellen: »Es giebt schlechterdings kein einziges primitives Volk, dessen
Geschlechtsverhältnisse sich einem Zustande von Promiscuität näherten oder auch
nur auf ihn hindeuteten. Die festgefügte Einzelfamilie ist keineswegs erst eine
späte Errungenschaft der Civilisation, sondern sie besteht schon auf der
untersten Kulturstufe als Regel ohne Ausnahme« (S. 42). Die genauen
Belege findet man bei Grosse; im übrigen bezeugen alle anthropologischen und
ethnologischen Berichte der letzten Jahre, wie sehr wir die sogenanten Wilden
unterschätzt, wie oberflächlich wir beobachtet, wie unbesonnen wir auf Urzustände
geschlossen hatten, von denen wir nicht das Geringste sicher wissen. — Da dieser
Gegenstand prinzipiell ungemein wichtig ist und auch auf die wissenschaftliche
Denkkraft und Denkmethode unsers Jahrhunderts ein eigentümliches, sehr be-
merkenswertes Streiflicht wirft, so möchte ich noch ein lehrreiches Beispiel be-
sonders anführen. Die Urbewohner von Zentralaustralien sollen bekanntlich zu
den geistig zurückgebliebensten aller Menschen gehören; Lubbock nennt sie:
»elende Wilde, die nicht ihre eigenen Finger, selbst nicht einmal die an einer
Hand, zählen können«. (Die vorgeschichtliche Zeit, deutsche Üb., II, 151). Man
kann sich denken, mit welcher Geringschätzung der Reisende Eyre über die »höchst
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