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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Erbe der alten Welt.
ihm verkörpert, die Idee des Werkes, doch nirgends als Formel
herausschälbar und für künftige Handlungen eine Norm, und zwar
darum nicht, weil das Werk nicht ein vernünftiges, überlegtes, bewusstes,
sondern ein unbewusstes, aus Not vollbrachtes gewesen war.

Das kaiser-
liche Rom.

Nach dem Untergang des echten römischen Volkes, lebte nun
diese Idee -- die Idee des römischen Staates -- in den Hirnen ver-
schiedener einzelner zu Macht berufener Männer sehr verschieden
wieder auf. Augustus z. B. scheint wirklich der Meinung gewesen
zu sein, dass er die römische Republik wieder hergestellt habe, sonst
würde Horaz sich sicher nicht gestattet haben, ihn dafür zu loben.
Tiberius, der die schon früher bestrafte Beleidigung der Majestät des
römischen Volkes (das crimen majestatis) zu dem Begriff eines ganz
neuen Verbrechens, der Majestätsbeleidigung seiner caesarischen Person
umwandelte, machte hiermit einen gewaltigen Schritt weiter auf dem
Wege zur Verflüchtigung des thatsächlichen, durch das Volk Roms
erschaffenen freien Staates zu einer blossen Idee, -- (einen Schritt, von
dem wir im 19. Jahrhundert noch nicht zurückgekommen sind). So
fest sass aber dennoch in allen Herzen der römische Gedanke, dass
ein Nero sich selbst tötete, weil der Senat ihn als "Feind der Republik"
gebrandmarkt hatte. Bald jedoch fand sich die stolze Patrizierversammlung
Männern gegenüber, die vor dem magischen Worte senatus populusque
romanus
nicht erblassten: die Soldaten wählten den Träger des
römischen Imperiums; es währte nicht lange und die Römer, sowie
überhaupt die Italer, waren auf ewig von dieser Würde ausgeschlossen:
Spanier, Gallier, Afrikaner, Syrier, Goten, Araber, Illyrier folgten
einander; nicht Einer wahrscheinlich war auch nur entfernt mit jenen
Männern verwandt, die mit sicherem Instinkte den römischen Staat
geschaffen. Und doch, die Idee lebte weiter. In dem Spanier Trajan
erreichte sie sogar einen Höhepunkt des Glanzes und wirkte unter ihm
und seinen unmittelbaren Nachfolgern so nachdrücklich im Sinne einer
ordnenden, civilisierenden Macht, die nur dort erobernd sich ausdehnt,
wo die Konsolidierung des Friedens es unbedingt erheischt, dass man
wohl sagen kann, während des antoninischen Jahrhunderts sei der
römische Weltgedanke -- der im früheren Volke nur als Trieb, nicht
als Absicht gelebt hatte -- zum Bewusstsein seiner selbst gekommen,
und zwar in einer Art, wie das nur im Geiste edeldenkender Aus-
länder
möglich war, die sich einem Fremden gegenüber fanden,
welches sie nunmehr mit voller Objektivität auffassten, um es mit
Treue und Verstand ins Werk zu setzen. Für alle Zukunft hatte

Das Erbe der alten Welt.
ihm verkörpert, die Idee des Werkes, doch nirgends als Formel
herausschälbar und für künftige Handlungen eine Norm, und zwar
darum nicht, weil das Werk nicht ein vernünftiges, überlegtes, bewusstes,
sondern ein unbewusstes, aus Not vollbrachtes gewesen war.

Das kaiser-
liche Rom.

Nach dem Untergang des echten römischen Volkes, lebte nun
diese Idee — die Idee des römischen Staates — in den Hirnen ver-
schiedener einzelner zu Macht berufener Männer sehr verschieden
wieder auf. Augustus z. B. scheint wirklich der Meinung gewesen
zu sein, dass er die römische Republik wieder hergestellt habe, sonst
würde Horaz sich sicher nicht gestattet haben, ihn dafür zu loben.
Tiberius, der die schon früher bestrafte Beleidigung der Majestät des
römischen Volkes (das crimen majestatis) zu dem Begriff eines ganz
neuen Verbrechens, der Majestätsbeleidigung seiner caesarischen Person
umwandelte, machte hiermit einen gewaltigen Schritt weiter auf dem
Wege zur Verflüchtigung des thatsächlichen, durch das Volk Roms
erschaffenen freien Staates zu einer blossen Idee, — (einen Schritt, von
dem wir im 19. Jahrhundert noch nicht zurückgekommen sind). So
fest sass aber dennoch in allen Herzen der römische Gedanke, dass
ein Nero sich selbst tötete, weil der Senat ihn als »Feind der Republik«
gebrandmarkt hatte. Bald jedoch fand sich die stolze Patrizierversammlung
Männern gegenüber, die vor dem magischen Worte senatus populusque
romanus
nicht erblassten: die Soldaten wählten den Träger des
römischen Imperiums; es währte nicht lange und die Römer, sowie
überhaupt die Italer, waren auf ewig von dieser Würde ausgeschlossen:
Spanier, Gallier, Afrikaner, Syrier, Goten, Araber, Illyrier folgten
einander; nicht Einer wahrscheinlich war auch nur entfernt mit jenen
Männern verwandt, die mit sicherem Instinkte den römischen Staat
geschaffen. Und doch, die Idee lebte weiter. In dem Spanier Trajan
erreichte sie sogar einen Höhepunkt des Glanzes und wirkte unter ihm
und seinen unmittelbaren Nachfolgern so nachdrücklich im Sinne einer
ordnenden, civilisierenden Macht, die nur dort erobernd sich ausdehnt,
wo die Konsolidierung des Friedens es unbedingt erheischt, dass man
wohl sagen kann, während des antoninischen Jahrhunderts sei der
römische Weltgedanke — der im früheren Volke nur als Trieb, nicht
als Absicht gelebt hatte — zum Bewusstsein seiner selbst gekommen,
und zwar in einer Art, wie das nur im Geiste edeldenkender Aus-
länder
möglich war, die sich einem Fremden gegenüber fanden,
welches sie nunmehr mit voller Objektivität auffassten, um es mit
Treue und Verstand ins Werk zu setzen. Für alle Zukunft hatte

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[146/0169] Das Erbe der alten Welt. ihm verkörpert, die Idee des Werkes, doch nirgends als Formel herausschälbar und für künftige Handlungen eine Norm, und zwar darum nicht, weil das Werk nicht ein vernünftiges, überlegtes, bewusstes, sondern ein unbewusstes, aus Not vollbrachtes gewesen war. Nach dem Untergang des echten römischen Volkes, lebte nun diese Idee — die Idee des römischen Staates — in den Hirnen ver- schiedener einzelner zu Macht berufener Männer sehr verschieden wieder auf. Augustus z. B. scheint wirklich der Meinung gewesen zu sein, dass er die römische Republik wieder hergestellt habe, sonst würde Horaz sich sicher nicht gestattet haben, ihn dafür zu loben. Tiberius, der die schon früher bestrafte Beleidigung der Majestät des römischen Volkes (das crimen majestatis) zu dem Begriff eines ganz neuen Verbrechens, der Majestätsbeleidigung seiner caesarischen Person umwandelte, machte hiermit einen gewaltigen Schritt weiter auf dem Wege zur Verflüchtigung des thatsächlichen, durch das Volk Roms erschaffenen freien Staates zu einer blossen Idee, — (einen Schritt, von dem wir im 19. Jahrhundert noch nicht zurückgekommen sind). So fest sass aber dennoch in allen Herzen der römische Gedanke, dass ein Nero sich selbst tötete, weil der Senat ihn als »Feind der Republik« gebrandmarkt hatte. Bald jedoch fand sich die stolze Patrizierversammlung Männern gegenüber, die vor dem magischen Worte senatus populusque romanus nicht erblassten: die Soldaten wählten den Träger des römischen Imperiums; es währte nicht lange und die Römer, sowie überhaupt die Italer, waren auf ewig von dieser Würde ausgeschlossen: Spanier, Gallier, Afrikaner, Syrier, Goten, Araber, Illyrier folgten einander; nicht Einer wahrscheinlich war auch nur entfernt mit jenen Männern verwandt, die mit sicherem Instinkte den römischen Staat geschaffen. Und doch, die Idee lebte weiter. In dem Spanier Trajan erreichte sie sogar einen Höhepunkt des Glanzes und wirkte unter ihm und seinen unmittelbaren Nachfolgern so nachdrücklich im Sinne einer ordnenden, civilisierenden Macht, die nur dort erobernd sich ausdehnt, wo die Konsolidierung des Friedens es unbedingt erheischt, dass man wohl sagen kann, während des antoninischen Jahrhunderts sei der römische Weltgedanke — der im früheren Volke nur als Trieb, nicht als Absicht gelebt hatte — zum Bewusstsein seiner selbst gekommen, und zwar in einer Art, wie das nur im Geiste edeldenkender Aus- länder möglich war, die sich einem Fremden gegenüber fanden, welches sie nunmehr mit voller Objektivität auffassten, um es mit Treue und Verstand ins Werk zu setzen. Für alle Zukunft hatte

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/169>, abgerufen am 24.11.2024.