Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Erbe der alten Welt.
waltiger Unterschied; und weil er göttlich war, wandte sich Christus
nicht hinweg vom Leben, sondern zum Leben hin. Dies findet ein
beredtes Zeugnis in dem Eindruck, den Christus auf seine Umgebung
zurückliess; sie nennt ihn: den Baum des Lebens, das Brod des Lebens,
das Wasser des Lebens, das Licht des Lebens, das Licht der Welt,
ein Licht von oben, denen als Leuchte gesandt, die da sitzen in
Finsternis und Schatten des Todes, Christus ist für sie der Fels, der
Grund, auf welchem wir unser Leben aufbauen sollen u. s. w., u. s. w.
Alles positiv, alles konstruktiv, alles bejahend. Ob Christus die Todten
wirklich auferweckte, mag Jeder bezweifeln, der will; umso höher
muss er jedoch dann den lebenspendenden Eindruck anschlagen, der
von dieser Erscheinung ausstrahlte, denn wo Christus ging, glaubte
man die Toten auferstehen, die Kranken geheilt von ihren Lagern
sich erheben zu sehen. Überall suchte er die Leidenden, die Armen,
die Schmerzbeladenen auf, rief ihnen zu: "Weinet nicht!", und
schenkte ihnen Worte des Lebens. -- Aus Innerasien kommend, wo
es der Buddhismus zwar nicht erfunden, ihm aber den gewaltigsten
Vorschub geleistet hatte, war das Ideal des weltflüchtigen Kloster-
lebens (wie es später das Christentum mit genauer Befolgung ägyptischer
Muster nachahmte), bereits bis in die unmittelbare Nähe des Galiläers
vorgedrungen; wo sieht man aber, dass Christus monastische, welt-
feindliche Lehren gepredigt hätte? Viele Religionsstifter haben in der
Nahrung sich und ihren Jüngern Kasteiungen auferlegt; Christus
nicht; er betont sogar ausdrücklich, dass er nicht wie Johannes ge-
fastet, sondern so gelebt habe, dass ihn die Menschen "einen Fresser
und einen Säufer" nannten. Alle folgende uns aus der Bibel so ge-
läufigen Ausdrücke: die Gedanken der Menschen sind eitel, des
Menschen Leben ist Eitelkeit, es fährt dahin wie ein Schatten, des
Menschen Wirken ist eitel, es ist alles ganz eitel -- -- -- sie stammen
aus dem alten, nicht aus dem neuen Testament. Ja, solche Worte
wie z. B. die des Predigers Salomo: "Ein Geschlecht vergeht, das
andere kommt, die Erde aber bleibt ewiglich", entstammen einer
Weltanschauung, die derjenigen Christi direkt widerspricht; denn für
diese sind Himmel und Erde durchaus vergänglich, während die
Menschenbrust in ihrer Tiefe das einzige Ewige birgt. Zwar giebt
uns Jesus Christus das Beispiel einer absoluten Abwendung von Vielem,
was das Leben der Meisten ausfüllt; es geschieht aber um des Lebens
willen; diese Abwendung ist jene "Umkehr", von der gesagt wurde,
sie führe ins Himmelreich, und sie ist durchaus keine äussere, sondern

Das Erbe der alten Welt.
waltiger Unterschied; und weil er göttlich war, wandte sich Christus
nicht hinweg vom Leben, sondern zum Leben hin. Dies findet ein
beredtes Zeugnis in dem Eindruck, den Christus auf seine Umgebung
zurückliess; sie nennt ihn: den Baum des Lebens, das Brod des Lebens,
das Wasser des Lebens, das Licht des Lebens, das Licht der Welt,
ein Licht von oben, denen als Leuchte gesandt, die da sitzen in
Finsternis und Schatten des Todes, Christus ist für sie der Fels, der
Grund, auf welchem wir unser Leben aufbauen sollen u. s. w., u. s. w.
Alles positiv, alles konstruktiv, alles bejahend. Ob Christus die Todten
wirklich auferweckte, mag Jeder bezweifeln, der will; umso höher
muss er jedoch dann den lebenspendenden Eindruck anschlagen, der
von dieser Erscheinung ausstrahlte, denn wo Christus ging, glaubte
man die Toten auferstehen, die Kranken geheilt von ihren Lagern
sich erheben zu sehen. Überall suchte er die Leidenden, die Armen,
die Schmerzbeladenen auf, rief ihnen zu: »Weinet nicht!«, und
schenkte ihnen Worte des Lebens. — Aus Innerasien kommend, wo
es der Buddhismus zwar nicht erfunden, ihm aber den gewaltigsten
Vorschub geleistet hatte, war das Ideal des weltflüchtigen Kloster-
lebens (wie es später das Christentum mit genauer Befolgung ägyptischer
Muster nachahmte), bereits bis in die unmittelbare Nähe des Galiläers
vorgedrungen; wo sieht man aber, dass Christus monastische, welt-
feindliche Lehren gepredigt hätte? Viele Religionsstifter haben in der
Nahrung sich und ihren Jüngern Kasteiungen auferlegt; Christus
nicht; er betont sogar ausdrücklich, dass er nicht wie Johannes ge-
fastet, sondern so gelebt habe, dass ihn die Menschen »einen Fresser
und einen Säufer« nannten. Alle folgende uns aus der Bibel so ge-
läufigen Ausdrücke: die Gedanken der Menschen sind eitel, des
Menschen Leben ist Eitelkeit, es fährt dahin wie ein Schatten, des
Menschen Wirken ist eitel, es ist alles ganz eitel — — — sie stammen
aus dem alten, nicht aus dem neuen Testament. Ja, solche Worte
wie z. B. die des Predigers Salomo: »Ein Geschlecht vergeht, das
andere kommt, die Erde aber bleibt ewiglich«, entstammen einer
Weltanschauung, die derjenigen Christi direkt widerspricht; denn für
diese sind Himmel und Erde durchaus vergänglich, während die
Menschenbrust in ihrer Tiefe das einzige Ewige birgt. Zwar giebt
uns Jesus Christus das Beispiel einer absoluten Abwendung von Vielem,
was das Leben der Meisten ausfüllt; es geschieht aber um des Lebens
willen; diese Abwendung ist jene »Umkehr«, von der gesagt wurde,
sie führe ins Himmelreich, und sie ist durchaus keine äussere, sondern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0225" n="202"/><fw place="top" type="header">Das Erbe der alten Welt.</fw><lb/>
waltiger Unterschied; und weil er göttlich war, wandte sich Christus<lb/>
nicht hinweg vom Leben, sondern zum Leben hin. Dies findet ein<lb/>
beredtes Zeugnis in dem Eindruck, den Christus auf seine Umgebung<lb/>
zurückliess; sie nennt ihn: den Baum des Lebens, das Brod des Lebens,<lb/>
das Wasser des Lebens, das Licht des Lebens, das Licht der Welt,<lb/>
ein Licht von oben, denen als Leuchte gesandt, die da sitzen in<lb/>
Finsternis und Schatten des Todes, Christus ist für sie der Fels, der<lb/>
Grund, auf welchem wir unser Leben aufbauen sollen u. s. w., u. s. w.<lb/>
Alles positiv, alles konstruktiv, alles bejahend. Ob Christus die Todten<lb/>
wirklich auferweckte, mag Jeder bezweifeln, der will; umso höher<lb/>
muss er jedoch dann den lebenspendenden Eindruck anschlagen, der<lb/>
von dieser Erscheinung ausstrahlte, denn wo Christus ging, <hi rendition="#g">glaubte</hi><lb/>
man die Toten auferstehen, die Kranken geheilt von ihren Lagern<lb/>
sich erheben zu sehen. Überall suchte er die Leidenden, die Armen,<lb/>
die Schmerzbeladenen auf, rief ihnen zu: »Weinet nicht!«, und<lb/>
schenkte ihnen Worte des Lebens. &#x2014; Aus Innerasien kommend, wo<lb/>
es der Buddhismus zwar nicht erfunden, ihm aber den gewaltigsten<lb/>
Vorschub geleistet hatte, war das Ideal des weltflüchtigen Kloster-<lb/>
lebens (wie es später das Christentum mit genauer Befolgung ägyptischer<lb/>
Muster nachahmte), bereits bis in die unmittelbare Nähe des Galiläers<lb/>
vorgedrungen; wo sieht man aber, dass Christus monastische, welt-<lb/>
feindliche Lehren gepredigt hätte? Viele Religionsstifter haben in der<lb/>
Nahrung sich und ihren Jüngern Kasteiungen auferlegt; Christus<lb/>
nicht; er betont sogar ausdrücklich, dass er nicht wie Johannes ge-<lb/>
fastet, sondern so gelebt habe, dass ihn die Menschen »einen Fresser<lb/>
und einen Säufer« nannten. Alle folgende uns aus der Bibel so ge-<lb/>
läufigen Ausdrücke: die Gedanken der Menschen sind eitel, des<lb/>
Menschen Leben ist Eitelkeit, es fährt dahin wie ein Schatten, des<lb/>
Menschen Wirken ist eitel, es ist alles ganz eitel &#x2014; &#x2014; &#x2014; sie stammen<lb/>
aus dem alten, nicht aus dem neuen Testament. Ja, solche Worte<lb/>
wie z. B. die des Predigers Salomo: »Ein Geschlecht vergeht, das<lb/>
andere kommt, die Erde aber bleibt ewiglich«, entstammen einer<lb/>
Weltanschauung, die derjenigen Christi direkt widerspricht; denn für<lb/>
diese sind Himmel und Erde durchaus vergänglich, während die<lb/>
Menschenbrust in ihrer Tiefe das einzige Ewige birgt. Zwar giebt<lb/>
uns Jesus Christus das Beispiel einer absoluten Abwendung von Vielem,<lb/>
was das Leben der Meisten ausfüllt; es geschieht aber um des <hi rendition="#g">Lebens</hi><lb/>
willen; diese Abwendung ist jene »Umkehr«, von der gesagt wurde,<lb/>
sie führe ins Himmelreich, und sie ist durchaus keine äussere, sondern<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0225] Das Erbe der alten Welt. waltiger Unterschied; und weil er göttlich war, wandte sich Christus nicht hinweg vom Leben, sondern zum Leben hin. Dies findet ein beredtes Zeugnis in dem Eindruck, den Christus auf seine Umgebung zurückliess; sie nennt ihn: den Baum des Lebens, das Brod des Lebens, das Wasser des Lebens, das Licht des Lebens, das Licht der Welt, ein Licht von oben, denen als Leuchte gesandt, die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, Christus ist für sie der Fels, der Grund, auf welchem wir unser Leben aufbauen sollen u. s. w., u. s. w. Alles positiv, alles konstruktiv, alles bejahend. Ob Christus die Todten wirklich auferweckte, mag Jeder bezweifeln, der will; umso höher muss er jedoch dann den lebenspendenden Eindruck anschlagen, der von dieser Erscheinung ausstrahlte, denn wo Christus ging, glaubte man die Toten auferstehen, die Kranken geheilt von ihren Lagern sich erheben zu sehen. Überall suchte er die Leidenden, die Armen, die Schmerzbeladenen auf, rief ihnen zu: »Weinet nicht!«, und schenkte ihnen Worte des Lebens. — Aus Innerasien kommend, wo es der Buddhismus zwar nicht erfunden, ihm aber den gewaltigsten Vorschub geleistet hatte, war das Ideal des weltflüchtigen Kloster- lebens (wie es später das Christentum mit genauer Befolgung ägyptischer Muster nachahmte), bereits bis in die unmittelbare Nähe des Galiläers vorgedrungen; wo sieht man aber, dass Christus monastische, welt- feindliche Lehren gepredigt hätte? Viele Religionsstifter haben in der Nahrung sich und ihren Jüngern Kasteiungen auferlegt; Christus nicht; er betont sogar ausdrücklich, dass er nicht wie Johannes ge- fastet, sondern so gelebt habe, dass ihn die Menschen »einen Fresser und einen Säufer« nannten. Alle folgende uns aus der Bibel so ge- läufigen Ausdrücke: die Gedanken der Menschen sind eitel, des Menschen Leben ist Eitelkeit, es fährt dahin wie ein Schatten, des Menschen Wirken ist eitel, es ist alles ganz eitel — — — sie stammen aus dem alten, nicht aus dem neuen Testament. Ja, solche Worte wie z. B. die des Predigers Salomo: »Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt, die Erde aber bleibt ewiglich«, entstammen einer Weltanschauung, die derjenigen Christi direkt widerspricht; denn für diese sind Himmel und Erde durchaus vergänglich, während die Menschenbrust in ihrer Tiefe das einzige Ewige birgt. Zwar giebt uns Jesus Christus das Beispiel einer absoluten Abwendung von Vielem, was das Leben der Meisten ausfüllt; es geschieht aber um des Lebens willen; diese Abwendung ist jene »Umkehr«, von der gesagt wurde, sie führe ins Himmelreich, und sie ist durchaus keine äussere, sondern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/225
Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/225>, abgerufen am 21.11.2024.