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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Erbe der alten Welt.
(jenes Himmelreich, welches wie ein Schatz im Lebensacker vergraben
liegt). Treten wir aber auf das innere Gebiet über, wird jene einzige
Fundamentalfrage der Willensrichtung aufgeworfen, da vernehmen wir
ganz andere Worte: "Meinet ihr, dass ich hergekommen bin, Frieden
zu bringen auf Erden? Ich sage: Nein, sondern Zwietracht! Denn
von nun an werden fünf in einem Hause uneins sein, drei wider
zwei, und zwei wider drei. -- -- Denn ich bin gekommen, den
Menschen zu erregen wider seinen Vater, und die Tochter wider ihre
Mutter, und die Schnur wider ihre Schwieger; und des Menschen
Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein." Nicht Frieden,
sondern das Schwert: das ist ein Ton, den man nicht überhören darf,
will man die Erscheinung Christi begreifen. Das Leben Jesu Christi
ist eine offene Kriegserklärung, nicht gegen die Formen der Civilisation,
der Kultur und der Religion, die er um sich her fand -- er beob-
achtet das jüdische Religionsgesetz und lehrt: gebet Caesar was
Caesar's -- wohl aber gegen den inneren Geist der Menschen, gegen
die Beweggründe, aus welchen ihre Handlungen hervorgehen, gegen
das Ziel (auch das jenseitige), welches sie sich stecken. Die Erscheinung
Jesu Christi bedeutet, vom welthistorischen Standpunkt aus, die Er-
scheinung einer neuen Menschenart.
Linnaeus unterschied
so viele Menschenarten als es Hautfärbungen giebt; eine neue Färbung
des Willens greift wahrlich tiefer in den Organismus ein, als ein
Unterschied im Pigment der Epidermis! Und der Herr dieser Menschen-
art, der "neue Adam", wie ihn die Schrift so treffend nennt, will
nichts von Paktieren wissen; er stellt die Wahl: Gott oder Mammon.
Wer die Umkehr erwählt, wer Christi Mahnung vernimmt: "folget
mir nach!", der muss auch, wenn es notthut, Vater und Mutter,
Weib und Kind verlassen; nicht aber wie Buddha's Jünger verlässt er
sie, um den Tod, sondern um das Leben zu finden. An diesem
Punkte hört das Mitleid gänzlich auf; wer verloren ist, ist verloren;
und mit der antiken Härte heldenhafter Gesinnung wird den Verlorenen
keine Thräne nachgeweint: "lasset die Toten ihre Toten begraben".
Nicht Jeder ist fähig, das Wort Christi zu verstehen, er sagt es ja:
"viele sind berufen, aber wenige sind auserwählet", und auch hier
wieder hat Paulus dieser Erkenntnis drastischen Ausdruck verliehen:
"Das Wort vom Kreuz ist eine Thorheit denen, die verloren werden;
uns aber, die wir selig werden, ist es eine Gottes-Kraft". Äusserlich
nimmt Christus mit jeder vorhandenen Form fürlieb, was aber die
Willensrichtung anbelangt, ob sie auf das Ewige oder auf das Zeit-

Das Erbe der alten Welt.
(jenes Himmelreich, welches wie ein Schatz im Lebensacker vergraben
liegt). Treten wir aber auf das innere Gebiet über, wird jene einzige
Fundamentalfrage der Willensrichtung aufgeworfen, da vernehmen wir
ganz andere Worte: »Meinet ihr, dass ich hergekommen bin, Frieden
zu bringen auf Erden? Ich sage: Nein, sondern Zwietracht! Denn
von nun an werden fünf in einem Hause uneins sein, drei wider
zwei, und zwei wider drei. — — Denn ich bin gekommen, den
Menschen zu erregen wider seinen Vater, und die Tochter wider ihre
Mutter, und die Schnur wider ihre Schwieger; und des Menschen
Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.« Nicht Frieden,
sondern das Schwert: das ist ein Ton, den man nicht überhören darf,
will man die Erscheinung Christi begreifen. Das Leben Jesu Christi
ist eine offene Kriegserklärung, nicht gegen die Formen der Civilisation,
der Kultur und der Religion, die er um sich her fand — er beob-
achtet das jüdische Religionsgesetz und lehrt: gebet Caesar was
Caesar’s — wohl aber gegen den inneren Geist der Menschen, gegen
die Beweggründe, aus welchen ihre Handlungen hervorgehen, gegen
das Ziel (auch das jenseitige), welches sie sich stecken. Die Erscheinung
Jesu Christi bedeutet, vom welthistorischen Standpunkt aus, die Er-
scheinung einer neuen Menschenart.
Linnaeus unterschied
so viele Menschenarten als es Hautfärbungen giebt; eine neue Färbung
des Willens greift wahrlich tiefer in den Organismus ein, als ein
Unterschied im Pigment der Epidermis! Und der Herr dieser Menschen-
art, der »neue Adam«, wie ihn die Schrift so treffend nennt, will
nichts von Paktieren wissen; er stellt die Wahl: Gott oder Mammon.
Wer die Umkehr erwählt, wer Christi Mahnung vernimmt: »folget
mir nach!«, der muss auch, wenn es notthut, Vater und Mutter,
Weib und Kind verlassen; nicht aber wie Buddha’s Jünger verlässt er
sie, um den Tod, sondern um das Leben zu finden. An diesem
Punkte hört das Mitleid gänzlich auf; wer verloren ist, ist verloren;
und mit der antiken Härte heldenhafter Gesinnung wird den Verlorenen
keine Thräne nachgeweint: »lasset die Toten ihre Toten begraben«.
Nicht Jeder ist fähig, das Wort Christi zu verstehen, er sagt es ja:
»viele sind berufen, aber wenige sind auserwählet«, und auch hier
wieder hat Paulus dieser Erkenntnis drastischen Ausdruck verliehen:
»Das Wort vom Kreuz ist eine Thorheit denen, die verloren werden;
uns aber, die wir selig werden, ist es eine Gottes-Kraft«. Äusserlich
nimmt Christus mit jeder vorhandenen Form fürlieb, was aber die
Willensrichtung anbelangt, ob sie auf das Ewige oder auf das Zeit-

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[204/0227] Das Erbe der alten Welt. (jenes Himmelreich, welches wie ein Schatz im Lebensacker vergraben liegt). Treten wir aber auf das innere Gebiet über, wird jene einzige Fundamentalfrage der Willensrichtung aufgeworfen, da vernehmen wir ganz andere Worte: »Meinet ihr, dass ich hergekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage: Nein, sondern Zwietracht! Denn von nun an werden fünf in einem Hause uneins sein, drei wider zwei, und zwei wider drei. — — Denn ich bin gekommen, den Menschen zu erregen wider seinen Vater, und die Tochter wider ihre Mutter, und die Schnur wider ihre Schwieger; und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.« Nicht Frieden, sondern das Schwert: das ist ein Ton, den man nicht überhören darf, will man die Erscheinung Christi begreifen. Das Leben Jesu Christi ist eine offene Kriegserklärung, nicht gegen die Formen der Civilisation, der Kultur und der Religion, die er um sich her fand — er beob- achtet das jüdische Religionsgesetz und lehrt: gebet Caesar was Caesar’s — wohl aber gegen den inneren Geist der Menschen, gegen die Beweggründe, aus welchen ihre Handlungen hervorgehen, gegen das Ziel (auch das jenseitige), welches sie sich stecken. Die Erscheinung Jesu Christi bedeutet, vom welthistorischen Standpunkt aus, die Er- scheinung einer neuen Menschenart. Linnaeus unterschied so viele Menschenarten als es Hautfärbungen giebt; eine neue Färbung des Willens greift wahrlich tiefer in den Organismus ein, als ein Unterschied im Pigment der Epidermis! Und der Herr dieser Menschen- art, der »neue Adam«, wie ihn die Schrift so treffend nennt, will nichts von Paktieren wissen; er stellt die Wahl: Gott oder Mammon. Wer die Umkehr erwählt, wer Christi Mahnung vernimmt: »folget mir nach!«, der muss auch, wenn es notthut, Vater und Mutter, Weib und Kind verlassen; nicht aber wie Buddha’s Jünger verlässt er sie, um den Tod, sondern um das Leben zu finden. An diesem Punkte hört das Mitleid gänzlich auf; wer verloren ist, ist verloren; und mit der antiken Härte heldenhafter Gesinnung wird den Verlorenen keine Thräne nachgeweint: »lasset die Toten ihre Toten begraben«. Nicht Jeder ist fähig, das Wort Christi zu verstehen, er sagt es ja: »viele sind berufen, aber wenige sind auserwählet«, und auch hier wieder hat Paulus dieser Erkenntnis drastischen Ausdruck verliehen: »Das Wort vom Kreuz ist eine Thorheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es eine Gottes-Kraft«. Äusserlich nimmt Christus mit jeder vorhandenen Form fürlieb, was aber die Willensrichtung anbelangt, ob sie auf das Ewige oder auf das Zeit-

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/227>, abgerufen am 21.11.2024.