gemüter Christen im wahren Sinne des Wortes sein, nur "Herren". Und sagt Christus, "ich bin sanftmütig", so verstehen wir wohl, das ist die Sanftmut des siegessicheren Helden; und sagt er, "ich bin von Herzen demütig", so wissen wir, dass das nicht die Demut des Sklaven ist, sondern die Demut des Herrn, der aus der Fülle seiner Kraft sich hinabbeugt zu den Schwachen.
Als Jesus einmal nicht einfach als Herr oder Meister, sondern als "guter Meister" angerufen wurde, wies er die Bezeichnung zurück: "Was heissest du mich gut? Niemand ist gut." Das sollte wohl zu denken geben, und sollte uns überzeugen, dass jede Darstellung Christi eine verfehlte ist, wo die himmlische Güte und die Demut und die Langmut in den Vordergrund des Charakters gedrängt werden; sie bilden nicht dessen Grundlage, sondern sind wie duftende Blumen an einem starken Baume. Was begründete die Weltmacht Buddha's? Nicht seine Lehre, sondern sein Beispiel, seine heldenmütige That; diese war es, diese Kundgebung einer schier übermenschlichen Willenskraft, welche Millionen bannte und noch bis heute bannt. In Christus jedoch offenbarte sich ein noch höherer Wille: er brauchte nicht vor der Welt zu flüchten, das Schöne mied er nicht, den Gebrauch des Kost- baren -- das seine Jünger "Unrat" hiessen -- lobte er; nicht in die Wüste zog er sich zurück, sondern aus der Wüste heraus trat er in das Leben ein, ein Sieger, der eine frohe Botschaft zu verkünden hatte -- nicht Tod, sondern Erlösung! Ich sagte, Buddha bedeute den greisenhaften Ausgang einer ausgelebten, auf Irrwege geratenen Kultur; Christus dagegen bedeutet den Morgen eines neuen Tages; er gewann der alten Menschheit eine neue Jugend ab und so wurde er auch der Gott der jungen, lebensfrischen Indoeuropäer und unter dem Zeichen seines Kreuzes richtete sich auf den Trümmern der alten Welt eine neue Kultur langsam auf, an der wir noch lange zu arbeiten haben, soll sie einmal in einer fernen Zukunft den Namen "christlich" verdienen.
Dürfte ich dem eigenen Herzensdrang folgen, ich zöge hier denDie Galiläer. Schlusstrich zu diesem Kapitel. Doch ist es im Interesse vieler späterer Ausführungen geboten, die Erscheinung Christi nicht allein in ihrer aus aller Umgebung losgelösten Reine zu betrachten, sondern auch in ihrem Verhältnis zu dieser Umgebung. Viele wichtige Erscheinungen aus Vergangenheit und Gegenwart bleiben sonst unverständlich. Es
Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 14
Die Erscheinung Christi.
gemüter Christen im wahren Sinne des Wortes sein, nur »Herren«. Und sagt Christus, »ich bin sanftmütig«, so verstehen wir wohl, das ist die Sanftmut des siegessicheren Helden; und sagt er, »ich bin von Herzen demütig«, so wissen wir, dass das nicht die Demut des Sklaven ist, sondern die Demut des Herrn, der aus der Fülle seiner Kraft sich hinabbeugt zu den Schwachen.
Als Jesus einmal nicht einfach als Herr oder Meister, sondern als »guter Meister« angerufen wurde, wies er die Bezeichnung zurück: »Was heissest du mich gut? Niemand ist gut.« Das sollte wohl zu denken geben, und sollte uns überzeugen, dass jede Darstellung Christi eine verfehlte ist, wo die himmlische Güte und die Demut und die Langmut in den Vordergrund des Charakters gedrängt werden; sie bilden nicht dessen Grundlage, sondern sind wie duftende Blumen an einem starken Baume. Was begründete die Weltmacht Buddha’s? Nicht seine Lehre, sondern sein Beispiel, seine heldenmütige That; diese war es, diese Kundgebung einer schier übermenschlichen Willenskraft, welche Millionen bannte und noch bis heute bannt. In Christus jedoch offenbarte sich ein noch höherer Wille: er brauchte nicht vor der Welt zu flüchten, das Schöne mied er nicht, den Gebrauch des Kost- baren — das seine Jünger »Unrat« hiessen — lobte er; nicht in die Wüste zog er sich zurück, sondern aus der Wüste heraus trat er in das Leben ein, ein Sieger, der eine frohe Botschaft zu verkünden hatte — nicht Tod, sondern Erlösung! Ich sagte, Buddha bedeute den greisenhaften Ausgang einer ausgelebten, auf Irrwege geratenen Kultur; Christus dagegen bedeutet den Morgen eines neuen Tages; er gewann der alten Menschheit eine neue Jugend ab und so wurde er auch der Gott der jungen, lebensfrischen Indoeuropäer und unter dem Zeichen seines Kreuzes richtete sich auf den Trümmern der alten Welt eine neue Kultur langsam auf, an der wir noch lange zu arbeiten haben, soll sie einmal in einer fernen Zukunft den Namen »christlich« verdienen.
Dürfte ich dem eigenen Herzensdrang folgen, ich zöge hier denDie Galiläer. Schlusstrich zu diesem Kapitel. Doch ist es im Interesse vieler späterer Ausführungen geboten, die Erscheinung Christi nicht allein in ihrer aus aller Umgebung losgelösten Reine zu betrachten, sondern auch in ihrem Verhältnis zu dieser Umgebung. Viele wichtige Erscheinungen aus Vergangenheit und Gegenwart bleiben sonst unverständlich. Es
Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 14
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Die Erscheinung Christi.
gemüter Christen im wahren Sinne des Wortes sein, nur »Herren«.
Und sagt Christus, »ich bin sanftmütig«, so verstehen wir wohl, das
ist die Sanftmut des siegessicheren Helden; und sagt er, »ich bin von
Herzen demütig«, so wissen wir, dass das nicht die Demut des Sklaven
ist, sondern die Demut des Herrn, der aus der Fülle seiner Kraft sich
hinabbeugt zu den Schwachen.
Als Jesus einmal nicht einfach als Herr oder Meister, sondern
als »guter Meister« angerufen wurde, wies er die Bezeichnung zurück:
»Was heissest du mich gut? Niemand ist gut.« Das sollte wohl
zu denken geben, und sollte uns überzeugen, dass jede Darstellung
Christi eine verfehlte ist, wo die himmlische Güte und die Demut
und die Langmut in den Vordergrund des Charakters gedrängt werden;
sie bilden nicht dessen Grundlage, sondern sind wie duftende Blumen
an einem starken Baume. Was begründete die Weltmacht Buddha’s?
Nicht seine Lehre, sondern sein Beispiel, seine heldenmütige That; diese
war es, diese Kundgebung einer schier übermenschlichen Willenskraft,
welche Millionen bannte und noch bis heute bannt. In Christus jedoch
offenbarte sich ein noch höherer Wille: er brauchte nicht vor der
Welt zu flüchten, das Schöne mied er nicht, den Gebrauch des Kost-
baren — das seine Jünger »Unrat« hiessen — lobte er; nicht in die
Wüste zog er sich zurück, sondern aus der Wüste heraus trat er in
das Leben ein, ein Sieger, der eine frohe Botschaft zu verkünden
hatte — nicht Tod, sondern Erlösung! Ich sagte, Buddha bedeute
den greisenhaften Ausgang einer ausgelebten, auf Irrwege geratenen
Kultur; Christus dagegen bedeutet den Morgen eines neuen Tages;
er gewann der alten Menschheit eine neue Jugend ab und so wurde
er auch der Gott der jungen, lebensfrischen Indoeuropäer und unter
dem Zeichen seines Kreuzes richtete sich auf den Trümmern der alten
Welt eine neue Kultur langsam auf, an der wir noch lange zu arbeiten
haben, soll sie einmal in einer fernen Zukunft den Namen »christlich«
verdienen.
Dürfte ich dem eigenen Herzensdrang folgen, ich zöge hier den
Schlusstrich zu diesem Kapitel. Doch ist es im Interesse vieler späterer
Ausführungen geboten, die Erscheinung Christi nicht allein in ihrer
aus aller Umgebung losgelösten Reine zu betrachten, sondern auch in
ihrem Verhältnis zu dieser Umgebung. Viele wichtige Erscheinungen
aus Vergangenheit und Gegenwart bleiben sonst unverständlich. Es
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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/232>, abgerufen am 24.11.2024.
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