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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Erbe der alten Welt.
Das Ohr geht auf, es öffnet sich mein Auge,
Das Licht in meinem Herzen wird lebendig!
Der Geist in weite Fernen suchend ziehet:
Was soll ich sagen? und was soll ich dichten?

und vergleiche ihn mit den ersten Versen irgend eines Psalmes, z. B.
des sechsundsiebzigsten:

Gott ist in Juda bekannt,
In Israel ist sein Name herrlich;
Zu Salem1) ist sein Gezelt
Und seine Wohnung zu Zion.

Man sieht, welch' wichtiges Element des Glaubens der Wille ist.
Während der erkenntnisreiche Arier "in weite Fernen suchend ziehet",
lässt der willensstarke Jude Gott sein Gezelt ein für alle Mal in seiner
Nähe aufschlagen. Die Wucht seines Willens zum Leben hat dem
Juden nicht allein einen Glaubensanker geschmiedet, der ihn festkettet
an den Boden der historischen Überlieferung, sondern sie hat ihm
auch das unerschütterliche Vertrauen eingeflösst zu einem persönlichen,
unmittelbar gegenwärtigen Gott, der allmächtig ist zu geben und zu
verderben, und sie hat ihn, den Menschen, in ein moralisches Verhältnis
zu diesem Gott gebracht, indem der Gott in seiner Allmacht Gebote
erliess, die der Mensch frei ist zu befolgen oder nicht zu befolgen.2)

1) Abkürzung für Jerusalem.
2) Wäre hier der Ort dazu, ich würde gern noch näher nachweisen, wie
diese jüdische Vorstellung des allmächtigen, als freie Vorsehung waltenden Gottes die
historische Auffassung dieses Gottes unabweislich bedingt, und wie so gerade
hiergegen immer wieder und immer wieder jede echt arische Erkenntnis sich sträubt.
So ist z. B. das ganze tragische Gedankenleben Peter Abälard's dadurch bedingt,
dass er, trotz der heissesten Sehnsucht nach Rechtgläubigkeit, seinen Geist dem
jüdischen Religionsmaterialismus nicht anbequemen kann. Immer wieder z. B. kommt
er zum Schluss, Gott thue, was er thue, mit Notwendigkeit (wobei er sich auf
die früheren Schriften des Augustinus berufen konnte, namentlich auf sein De libero
arbitrio
): das ist geistiger Antisemitismus in seiner höchsten Potenz! Er leugnet auch
jede Handlung, jede Bewegung bei Gott; das Wirken Gottes ist für ihn das Ein-
treffen einer ewigen Willensbestimmung; "bei Gott giebt es keine Zeitfolge"!
(siehe A. Hausrath: Peter Abälard, S. 201 fg.) Damit verschwindet die Vor-
sehung. -- Übrigens, wozu gelehrte Belege erst suchen; der edle Don Quixote
setzt mit rührender Naivetät seinem treuen Sancho auseinander: "für Gott giebt
es keine Vergangenheit und keine Zukunft, sondern alles ist Gegenwart" (Buch IX,
Kap. 8): damit bezeichnet der ewig grosse Cervantes kurz und bündig den un-
historischen Standpunkt aller Nichtsemiten.
Das Erbe der alten Welt.
Das Ohr geht auf, es öffnet sich mein Auge,
Das Licht in meinem Herzen wird lebendig!
Der Geist in weite Fernen suchend ziehet:
Was soll ich sagen? und was soll ich dichten?

und vergleiche ihn mit den ersten Versen irgend eines Psalmes, z. B.
des sechsundsiebzigsten:

Gott ist in Juda bekannt,
In Israel ist sein Name herrlich;
Zu Salem1) ist sein Gezelt
Und seine Wohnung zu Zion.

Man sieht, welch’ wichtiges Element des Glaubens der Wille ist.
Während der erkenntnisreiche Arier »in weite Fernen suchend ziehet«,
lässt der willensstarke Jude Gott sein Gezelt ein für alle Mal in seiner
Nähe aufschlagen. Die Wucht seines Willens zum Leben hat dem
Juden nicht allein einen Glaubensanker geschmiedet, der ihn festkettet
an den Boden der historischen Überlieferung, sondern sie hat ihm
auch das unerschütterliche Vertrauen eingeflösst zu einem persönlichen,
unmittelbar gegenwärtigen Gott, der allmächtig ist zu geben und zu
verderben, und sie hat ihn, den Menschen, in ein moralisches Verhältnis
zu diesem Gott gebracht, indem der Gott in seiner Allmacht Gebote
erliess, die der Mensch frei ist zu befolgen oder nicht zu befolgen.2)

1) Abkürzung für Jerusalem.
2) Wäre hier der Ort dazu, ich würde gern noch näher nachweisen, wie
diese jüdische Vorstellung des allmächtigen, als freie Vorsehung waltenden Gottes die
historische Auffassung dieses Gottes unabweislich bedingt, und wie so gerade
hiergegen immer wieder und immer wieder jede echt arische Erkenntnis sich sträubt.
So ist z. B. das ganze tragische Gedankenleben Peter Abälard’s dadurch bedingt,
dass er, trotz der heissesten Sehnsucht nach Rechtgläubigkeit, seinen Geist dem
jüdischen Religionsmaterialismus nicht anbequemen kann. Immer wieder z. B. kommt
er zum Schluss, Gott thue, was er thue, mit Notwendigkeit (wobei er sich auf
die früheren Schriften des Augustinus berufen konnte, namentlich auf sein De libero
arbitrio
): das ist geistiger Antisemitismus in seiner höchsten Potenz! Er leugnet auch
jede Handlung, jede Bewegung bei Gott; das Wirken Gottes ist für ihn das Ein-
treffen einer ewigen Willensbestimmung; »bei Gott giebt es keine Zeitfolge«!
(siehe A. Hausrath: Peter Abälard, S. 201 fg.) Damit verschwindet die Vor-
sehung. — Übrigens, wozu gelehrte Belege erst suchen; der edle Don Quixote
setzt mit rührender Naivetät seinem treuen Sancho auseinander: »für Gott giebt
es keine Vergangenheit und keine Zukunft, sondern alles ist Gegenwart« (Buch IX,
Kap. 8): damit bezeichnet der ewig grosse Cervantes kurz und bündig den un-
historischen Standpunkt aller Nichtsemiten.
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[246/0269] Das Erbe der alten Welt. Das Ohr geht auf, es öffnet sich mein Auge, Das Licht in meinem Herzen wird lebendig! Der Geist in weite Fernen suchend ziehet: Was soll ich sagen? und was soll ich dichten? und vergleiche ihn mit den ersten Versen irgend eines Psalmes, z. B. des sechsundsiebzigsten: Gott ist in Juda bekannt, In Israel ist sein Name herrlich; Zu Salem 1) ist sein Gezelt Und seine Wohnung zu Zion. Man sieht, welch’ wichtiges Element des Glaubens der Wille ist. Während der erkenntnisreiche Arier »in weite Fernen suchend ziehet«, lässt der willensstarke Jude Gott sein Gezelt ein für alle Mal in seiner Nähe aufschlagen. Die Wucht seines Willens zum Leben hat dem Juden nicht allein einen Glaubensanker geschmiedet, der ihn festkettet an den Boden der historischen Überlieferung, sondern sie hat ihm auch das unerschütterliche Vertrauen eingeflösst zu einem persönlichen, unmittelbar gegenwärtigen Gott, der allmächtig ist zu geben und zu verderben, und sie hat ihn, den Menschen, in ein moralisches Verhältnis zu diesem Gott gebracht, indem der Gott in seiner Allmacht Gebote erliess, die der Mensch frei ist zu befolgen oder nicht zu befolgen. 2) 1) Abkürzung für Jerusalem. 2) Wäre hier der Ort dazu, ich würde gern noch näher nachweisen, wie diese jüdische Vorstellung des allmächtigen, als freie Vorsehung waltenden Gottes die historische Auffassung dieses Gottes unabweislich bedingt, und wie so gerade hiergegen immer wieder und immer wieder jede echt arische Erkenntnis sich sträubt. So ist z. B. das ganze tragische Gedankenleben Peter Abälard’s dadurch bedingt, dass er, trotz der heissesten Sehnsucht nach Rechtgläubigkeit, seinen Geist dem jüdischen Religionsmaterialismus nicht anbequemen kann. Immer wieder z. B. kommt er zum Schluss, Gott thue, was er thue, mit Notwendigkeit (wobei er sich auf die früheren Schriften des Augustinus berufen konnte, namentlich auf sein De libero arbitrio): das ist geistiger Antisemitismus in seiner höchsten Potenz! Er leugnet auch jede Handlung, jede Bewegung bei Gott; das Wirken Gottes ist für ihn das Ein- treffen einer ewigen Willensbestimmung; »bei Gott giebt es keine Zeitfolge«! (siehe A. Hausrath: Peter Abälard, S. 201 fg.) Damit verschwindet die Vor- sehung. — Übrigens, wozu gelehrte Belege erst suchen; der edle Don Quixote setzt mit rührender Naivetät seinem treuen Sancho auseinander: »für Gott giebt es keine Vergangenheit und keine Zukunft, sondern alles ist Gegenwart« (Buch IX, Kap. 8): damit bezeichnet der ewig grosse Cervantes kurz und bündig den un- historischen Standpunkt aller Nichtsemiten.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/269>, abgerufen am 29.05.2024.