Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Die Erben. diese Länder waren damals wie Rom selbst nicht mehr von irgendeinem bestimmten Volke bewohnt, sondern von einem unentwirrbaren Durcheinander der verschiedensten Rassen und Völker. Es ist ein Chaos. Und dieses Chaos ist nicht etwa später vernichtet worden. An vielen Orten durch vordringende reine Rassen zurückgedrängt, an anderen durch seine eigene Charakterlosigkeit und Untüchtigkeit aus den Reihen der Mitzurechnenden herausgefallen, hat sich zweifels- ohne dieses chaotische Element doch im Süden und Osten erhalten; durch neue Mischungen wurde es ausserdem häufig wieder gestärkt. Das ist ein erster Punkt von weittragender Wichtigkeit. Man bedenke zum Beispiel, dass alle Grundlagen zur historischen Gestaltung des Christentums von dieser Mestizenbevölkerung gelegt und ausgebaut wurden! Mit Ausnahme einiger Griechen (die aber auch alle, Origenes an der Spitze, höchst unorthodoxe, direkt anti-jüdische Lehren ver- breiteten, mit denen sie nicht durchdrangen),1) könnte man von kaum einem Kirchenvater auch nur vermuten, welchem Volksstamme er der Hauptsache nach angehörte. Dasselbe gilt für das corpus juris; auch hier war es das Chaos (nach hellenischer Vorstellung die Mutter des Erebos und der Nyx, der Finsternis und der Nacht), welchem die Aufgabe zufiel, das lebendige Werk eines lebendigen Volkes zu einem internationalen Dogma aus- und umzuarbeiten. Unter dem nämlichen Einfluss wurde die Kunst immer mehr des persönlichen freischöpferischen Momentes beraubt und zu einer hieratisch-formel- haften Übung umgewandelt, und an die Stelle der hohen, philo- sophischen Spekulation der Hellenen schob man deren Nachäffung, 1) Origenes zum Beispiel war ausgesprochener Pessimist (im metaphysischen
Sinne des Wortes), wodurch allein schon er seine indoeuropäische Rasse dokumentiert; er sah in der Welt überall Leiden, und zog daraus den Schluss, ihr Hauptzweck sei nicht der Genuss eines gottgeschenkten Glückes, sondern die Abwendung eines Übels (man denke an die Hauptlehre Christi von der "Umwendung des Willens", vergl. S. 200). Augustinus, der afrikanische Mestize, hatte leichtes Spiel, ihn zu widerlegen; er berief sich auf das erste Kapitel des ersten Buches der jüdischen Thora, um unwiderlegbar darzuthun, alles sei gut und "die Welt bestehe aus keinem anderen Grunde, als weil es einem guten Gotte gefallen habe, das absolut Gute zu schaffen". (Man sehe die höchst lehrreiche Auseinandersetzung im De civitate Dei, Buch XI, Kap. 23.) Augustinus führt hier triumphierend noch ein zweites Argument an: wenn Origenes Recht hätte, so müssten die sündhaftesten Wesen die schwersten Körper besitzen und die Teufel müssten sichtbar sein, nun haben aber die Teufel luftartige, unsichtbare Körper, folglich u. s. w. So siegten Gedanken des Chaos über metaphysische Religion! (Ganz buchstäblich dieselben Argumente findet man in dem Führer der Irrenden des Juden Maimuni.) Die Erben. diese Länder waren damals wie Rom selbst nicht mehr von irgendeinem bestimmten Volke bewohnt, sondern von einem unentwirrbaren Durcheinander der verschiedensten Rassen und Völker. Es ist ein Chaos. Und dieses Chaos ist nicht etwa später vernichtet worden. An vielen Orten durch vordringende reine Rassen zurückgedrängt, an anderen durch seine eigene Charakterlosigkeit und Untüchtigkeit aus den Reihen der Mitzurechnenden herausgefallen, hat sich zweifels- ohne dieses chaotische Element doch im Süden und Osten erhalten; durch neue Mischungen wurde es ausserdem häufig wieder gestärkt. Das ist ein erster Punkt von weittragender Wichtigkeit. Man bedenke zum Beispiel, dass alle Grundlagen zur historischen Gestaltung des Christentums von dieser Mestizenbevölkerung gelegt und ausgebaut wurden! Mit Ausnahme einiger Griechen (die aber auch alle, Origenes an der Spitze, höchst unorthodoxe, direkt anti-jüdische Lehren ver- breiteten, mit denen sie nicht durchdrangen),1) könnte man von kaum einem Kirchenvater auch nur vermuten, welchem Volksstamme er der Hauptsache nach angehörte. Dasselbe gilt für das corpus juris; auch hier war es das Chaos (nach hellenischer Vorstellung die Mutter des Erebos und der Nyx, der Finsternis und der Nacht), welchem die Aufgabe zufiel, das lebendige Werk eines lebendigen Volkes zu einem internationalen Dogma aus- und umzuarbeiten. Unter dem nämlichen Einfluss wurde die Kunst immer mehr des persönlichen freischöpferischen Momentes beraubt und zu einer hieratisch-formel- haften Übung umgewandelt, und an die Stelle der hohen, philo- sophischen Spekulation der Hellenen schob man deren Nachäffung, 1) Origenes zum Beispiel war ausgesprochener Pessimist (im metaphysischen
Sinne des Wortes), wodurch allein schon er seine indoeuropäische Rasse dokumentiert; er sah in der Welt überall Leiden, und zog daraus den Schluss, ihr Hauptzweck sei nicht der Genuss eines gottgeschenkten Glückes, sondern die Abwendung eines Übels (man denke an die Hauptlehre Christi von der »Umwendung des Willens«, vergl. S. 200). Augustinus, der afrikanische Mestize, hatte leichtes Spiel, ihn zu widerlegen; er berief sich auf das erste Kapitel des ersten Buches der jüdischen Thora, um unwiderlegbar darzuthun, alles sei gut und »die Welt bestehe aus keinem anderen Grunde, als weil es einem guten Gotte gefallen habe, das absolut Gute zu schaffen«. (Man sehe die höchst lehrreiche Auseinandersetzung im De civitate Dei, Buch XI, Kap. 23.) Augustinus führt hier triumphierend noch ein zweites Argument an: wenn Origenes Recht hätte, so müssten die sündhaftesten Wesen die schwersten Körper besitzen und die Teufel müssten sichtbar sein, nun haben aber die Teufel luftartige, unsichtbare Körper, folglich u. s. w. So siegten Gedanken des Chaos über metaphysische Religion! (Ganz buchstäblich dieselben Argumente findet man in dem Führer der Irrenden des Juden Maimuni.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0279" n="256"/><fw place="top" type="header">Die Erben.</fw><lb/> diese Länder waren damals wie Rom selbst nicht mehr von irgend<lb/> einem bestimmten Volke bewohnt, sondern von einem unentwirrbaren<lb/> Durcheinander der verschiedensten Rassen und Völker. Es ist ein<lb/> Chaos. Und dieses Chaos ist nicht etwa später vernichtet worden.<lb/> An vielen Orten durch vordringende reine Rassen zurückgedrängt,<lb/> an anderen durch seine eigene Charakterlosigkeit und Untüchtigkeit<lb/> aus den Reihen der Mitzurechnenden herausgefallen, hat sich zweifels-<lb/> ohne dieses chaotische Element doch im Süden und Osten erhalten;<lb/> durch neue Mischungen wurde es ausserdem häufig wieder gestärkt.<lb/> Das ist ein erster Punkt von weittragender Wichtigkeit. Man bedenke<lb/> zum Beispiel, dass alle Grundlagen zur historischen Gestaltung des<lb/> Christentums von dieser Mestizenbevölkerung gelegt und ausgebaut<lb/> wurden! Mit Ausnahme einiger Griechen (die aber auch alle, Origenes<lb/> an der Spitze, höchst unorthodoxe, direkt anti-jüdische Lehren ver-<lb/> breiteten, mit denen sie nicht durchdrangen),<note place="foot" n="1)">Origenes zum Beispiel war ausgesprochener Pessimist (im metaphysischen<lb/> Sinne des Wortes), wodurch allein schon er seine indoeuropäische Rasse dokumentiert;<lb/> er sah in der Welt überall Leiden, und zog daraus den Schluss, ihr Hauptzweck<lb/> sei nicht der Genuss eines gottgeschenkten Glückes, sondern die Abwendung eines<lb/> Übels (man denke an die Hauptlehre Christi von der »Umwendung des Willens«,<lb/> vergl. S. 200). Augustinus, der afrikanische Mestize, hatte leichtes Spiel, ihn zu<lb/> widerlegen; er berief sich auf das erste Kapitel des ersten Buches der jüdischen<lb/> Thora, um unwiderlegbar darzuthun, alles sei gut und »die Welt bestehe aus<lb/> keinem anderen Grunde, als weil es einem guten Gotte gefallen habe, das absolut<lb/> Gute zu schaffen«. (Man sehe die höchst lehrreiche Auseinandersetzung im <hi rendition="#i">De<lb/> civitate Dei,</hi> Buch XI, Kap. 23.) Augustinus führt hier triumphierend noch ein<lb/> zweites Argument an: wenn Origenes Recht hätte, so müssten die sündhaftesten<lb/> Wesen die schwersten Körper besitzen und die Teufel müssten sichtbar sein, nun<lb/> haben aber die Teufel luftartige, unsichtbare Körper, folglich u. s. w. So siegten<lb/> Gedanken des Chaos über metaphysische Religion! (Ganz buchstäblich dieselben<lb/> Argumente findet man in dem <hi rendition="#i">Führer der Irrenden</hi> des Juden Maimuni.)</note> könnte man von<lb/> kaum einem Kirchenvater auch nur vermuten, welchem Volksstamme<lb/> er der Hauptsache nach angehörte. Dasselbe gilt für das <hi rendition="#i">corpus juris;</hi><lb/> auch hier war es das Chaos (nach hellenischer Vorstellung die Mutter<lb/> des Erebos und der Nyx, der Finsternis und der Nacht), welchem<lb/> die Aufgabe zufiel, das lebendige Werk eines lebendigen Volkes zu<lb/> einem internationalen Dogma aus- und umzuarbeiten. Unter dem<lb/> nämlichen Einfluss wurde die Kunst immer mehr des persönlichen<lb/> freischöpferischen Momentes beraubt und zu einer hieratisch-formel-<lb/> haften Übung umgewandelt, und an die Stelle der hohen, philo-<lb/> sophischen Spekulation der Hellenen schob man deren Nachäffung,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [256/0279]
Die Erben.
diese Länder waren damals wie Rom selbst nicht mehr von irgend
einem bestimmten Volke bewohnt, sondern von einem unentwirrbaren
Durcheinander der verschiedensten Rassen und Völker. Es ist ein
Chaos. Und dieses Chaos ist nicht etwa später vernichtet worden.
An vielen Orten durch vordringende reine Rassen zurückgedrängt,
an anderen durch seine eigene Charakterlosigkeit und Untüchtigkeit
aus den Reihen der Mitzurechnenden herausgefallen, hat sich zweifels-
ohne dieses chaotische Element doch im Süden und Osten erhalten;
durch neue Mischungen wurde es ausserdem häufig wieder gestärkt.
Das ist ein erster Punkt von weittragender Wichtigkeit. Man bedenke
zum Beispiel, dass alle Grundlagen zur historischen Gestaltung des
Christentums von dieser Mestizenbevölkerung gelegt und ausgebaut
wurden! Mit Ausnahme einiger Griechen (die aber auch alle, Origenes
an der Spitze, höchst unorthodoxe, direkt anti-jüdische Lehren ver-
breiteten, mit denen sie nicht durchdrangen), 1) könnte man von
kaum einem Kirchenvater auch nur vermuten, welchem Volksstamme
er der Hauptsache nach angehörte. Dasselbe gilt für das corpus juris;
auch hier war es das Chaos (nach hellenischer Vorstellung die Mutter
des Erebos und der Nyx, der Finsternis und der Nacht), welchem
die Aufgabe zufiel, das lebendige Werk eines lebendigen Volkes zu
einem internationalen Dogma aus- und umzuarbeiten. Unter dem
nämlichen Einfluss wurde die Kunst immer mehr des persönlichen
freischöpferischen Momentes beraubt und zu einer hieratisch-formel-
haften Übung umgewandelt, und an die Stelle der hohen, philo-
sophischen Spekulation der Hellenen schob man deren Nachäffung,
1) Origenes zum Beispiel war ausgesprochener Pessimist (im metaphysischen
Sinne des Wortes), wodurch allein schon er seine indoeuropäische Rasse dokumentiert;
er sah in der Welt überall Leiden, und zog daraus den Schluss, ihr Hauptzweck
sei nicht der Genuss eines gottgeschenkten Glückes, sondern die Abwendung eines
Übels (man denke an die Hauptlehre Christi von der »Umwendung des Willens«,
vergl. S. 200). Augustinus, der afrikanische Mestize, hatte leichtes Spiel, ihn zu
widerlegen; er berief sich auf das erste Kapitel des ersten Buches der jüdischen
Thora, um unwiderlegbar darzuthun, alles sei gut und »die Welt bestehe aus
keinem anderen Grunde, als weil es einem guten Gotte gefallen habe, das absolut
Gute zu schaffen«. (Man sehe die höchst lehrreiche Auseinandersetzung im De
civitate Dei, Buch XI, Kap. 23.) Augustinus führt hier triumphierend noch ein
zweites Argument an: wenn Origenes Recht hätte, so müssten die sündhaftesten
Wesen die schwersten Körper besitzen und die Teufel müssten sichtbar sein, nun
haben aber die Teufel luftartige, unsichtbare Körper, folglich u. s. w. So siegten
Gedanken des Chaos über metaphysische Religion! (Ganz buchstäblich dieselben
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