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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erben.
schlagen an einem Tage die sämtlichen übrigen Bewohner, 240 000
an der Zahl; und damit dieser Inselstaat nicht ohne einen sichern
Rückhalt auf dem Festland bleibe, erschlagen sie zugleich die 220 000
nicht-jüdischen Bewohner der Stadt Cyrene.1) In Spanien verfolgen
sie denselben Zweck mit grösserer Vorsicht und erstaunlicher Beharr-
lichkeit. Gerade unter der Regierung desjenigen Westgotenkönigs,
der sie mit Wohlthaten überhäuft hatte, rufen sie die stammverwandten
Araber aus Afrika herüber; ohne Hass, nur weil sie dabei zu profi-
tieren hoffen, verraten sie ihren edlen Beschützer; unter den Kalifen
bekommen sie dann nach und nach einen immer grösseren Anteil
an der Regierung; "sie konzentrierten", schreibt der durchaus juden-
freundliche Geschichtsschreiber Heman, "sowohl die geistigen als die
materiellen Kräfte vollständig in ihrer Hand"; dabei ging allerdings
der blühende maurische Staat geistig und materiell zu Grunde, was
aber den Juden gleichgültig war, da sie inzwischen im christlichen
Staat der Spanier, berufen den maurischen zu ersetzen, eben so festen
Fuss gefasst hatten. "Der bewegliche Reichtum des Landes lag hier
ganz in ihren Händen; der Grundbesitz kam immer mehr in dieselben
Hände durch Wucher und Aufkauf der verschuldeten Adelsgüter.
Vom Staatssekretär und Finanzminister ab waren alle Beamtungen,
die mit Steuer- und Geldsachen zu thun hatten, in jüdischen Händen.
Durch Wucher war ihnen fast ganz Aragonien verpfändet. In den
Städten bildeten sie die Majorität der begüterten Bevölkerung."2)
Ganz schlau waren sie aber, wie immer, auch dort nicht; ihre Macht
hatten sie benutzt, um sich allerhand Privilegien zu erwirken, so z. B.
genügte der Eid eines einzigen Juden, um Schuldforderungen gegen
Christen zu beweisen (wie übrigens im Erzherzogtum Österreich und
vielerorten), während das Zeugnis eines Christen vor Gericht gegen
einen Juden nichts galt, und anderes dergleichen; diese Privilegien
missbrauchten sie in so massloser Weise, dass endlich das Volk sich
erhob. Nicht unähnlich wäre es in Deutschland ergangen, hätten
nicht die Kirche und einsichtige Staatsmänner bei Zeiten dem Übel
gesteuert. Karl der Grosse hatte sich Juden für die Verwaltung
seiner Finanzen aus Italien verschrieben; bald sicherten sie sich aller-
orten als Steuerpächter Reichtum und Einfluss und benutzten diese,

1) Mommsen: Römische Geschichte, V, 543.
2) Heman: Die historische Weltstellung der Juden 1882, S. 24 fg. -- Für
eine anders gefärbte Darstellung, die aber im Thatsächlichen vollkommen überein-
stimmt, siehe Graetz: Volksth. Gesch. d. Juden II, 344 fg.

Die Erben.
schlagen an einem Tage die sämtlichen übrigen Bewohner, 240 000
an der Zahl; und damit dieser Inselstaat nicht ohne einen sichern
Rückhalt auf dem Festland bleibe, erschlagen sie zugleich die 220 000
nicht-jüdischen Bewohner der Stadt Cyrene.1) In Spanien verfolgen
sie denselben Zweck mit grösserer Vorsicht und erstaunlicher Beharr-
lichkeit. Gerade unter der Regierung desjenigen Westgotenkönigs,
der sie mit Wohlthaten überhäuft hatte, rufen sie die stammverwandten
Araber aus Afrika herüber; ohne Hass, nur weil sie dabei zu profi-
tieren hoffen, verraten sie ihren edlen Beschützer; unter den Kalifen
bekommen sie dann nach und nach einen immer grösseren Anteil
an der Regierung; »sie konzentrierten«, schreibt der durchaus juden-
freundliche Geschichtsschreiber Heman, »sowohl die geistigen als die
materiellen Kräfte vollständig in ihrer Hand«; dabei ging allerdings
der blühende maurische Staat geistig und materiell zu Grunde, was
aber den Juden gleichgültig war, da sie inzwischen im christlichen
Staat der Spanier, berufen den maurischen zu ersetzen, eben so festen
Fuss gefasst hatten. »Der bewegliche Reichtum des Landes lag hier
ganz in ihren Händen; der Grundbesitz kam immer mehr in dieselben
Hände durch Wucher und Aufkauf der verschuldeten Adelsgüter.
Vom Staatssekretär und Finanzminister ab waren alle Beamtungen,
die mit Steuer- und Geldsachen zu thun hatten, in jüdischen Händen.
Durch Wucher war ihnen fast ganz Aragonien verpfändet. In den
Städten bildeten sie die Majorität der begüterten Bevölkerung.«2)
Ganz schlau waren sie aber, wie immer, auch dort nicht; ihre Macht
hatten sie benutzt, um sich allerhand Privilegien zu erwirken, so z. B.
genügte der Eid eines einzigen Juden, um Schuldforderungen gegen
Christen zu beweisen (wie übrigens im Erzherzogtum Österreich und
vielerorten), während das Zeugnis eines Christen vor Gericht gegen
einen Juden nichts galt, und anderes dergleichen; diese Privilegien
missbrauchten sie in so massloser Weise, dass endlich das Volk sich
erhob. Nicht unähnlich wäre es in Deutschland ergangen, hätten
nicht die Kirche und einsichtige Staatsmänner bei Zeiten dem Übel
gesteuert. Karl der Grosse hatte sich Juden für die Verwaltung
seiner Finanzen aus Italien verschrieben; bald sicherten sie sich aller-
orten als Steuerpächter Reichtum und Einfluss und benutzten diese,

1) Mommsen: Römische Geschichte, V, 543.
2) Heman: Die historische Weltstellung der Juden 1882, S. 24 fg. — Für
eine anders gefärbte Darstellung, die aber im Thatsächlichen vollkommen überein-
stimmt, siehe Graetz: Volksth. Gesch. d. Juden II, 344 fg.
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[334/0357] Die Erben. schlagen an einem Tage die sämtlichen übrigen Bewohner, 240 000 an der Zahl; und damit dieser Inselstaat nicht ohne einen sichern Rückhalt auf dem Festland bleibe, erschlagen sie zugleich die 220 000 nicht-jüdischen Bewohner der Stadt Cyrene. 1) In Spanien verfolgen sie denselben Zweck mit grösserer Vorsicht und erstaunlicher Beharr- lichkeit. Gerade unter der Regierung desjenigen Westgotenkönigs, der sie mit Wohlthaten überhäuft hatte, rufen sie die stammverwandten Araber aus Afrika herüber; ohne Hass, nur weil sie dabei zu profi- tieren hoffen, verraten sie ihren edlen Beschützer; unter den Kalifen bekommen sie dann nach und nach einen immer grösseren Anteil an der Regierung; »sie konzentrierten«, schreibt der durchaus juden- freundliche Geschichtsschreiber Heman, »sowohl die geistigen als die materiellen Kräfte vollständig in ihrer Hand«; dabei ging allerdings der blühende maurische Staat geistig und materiell zu Grunde, was aber den Juden gleichgültig war, da sie inzwischen im christlichen Staat der Spanier, berufen den maurischen zu ersetzen, eben so festen Fuss gefasst hatten. »Der bewegliche Reichtum des Landes lag hier ganz in ihren Händen; der Grundbesitz kam immer mehr in dieselben Hände durch Wucher und Aufkauf der verschuldeten Adelsgüter. Vom Staatssekretär und Finanzminister ab waren alle Beamtungen, die mit Steuer- und Geldsachen zu thun hatten, in jüdischen Händen. Durch Wucher war ihnen fast ganz Aragonien verpfändet. In den Städten bildeten sie die Majorität der begüterten Bevölkerung.« 2) Ganz schlau waren sie aber, wie immer, auch dort nicht; ihre Macht hatten sie benutzt, um sich allerhand Privilegien zu erwirken, so z. B. genügte der Eid eines einzigen Juden, um Schuldforderungen gegen Christen zu beweisen (wie übrigens im Erzherzogtum Österreich und vielerorten), während das Zeugnis eines Christen vor Gericht gegen einen Juden nichts galt, und anderes dergleichen; diese Privilegien missbrauchten sie in so massloser Weise, dass endlich das Volk sich erhob. Nicht unähnlich wäre es in Deutschland ergangen, hätten nicht die Kirche und einsichtige Staatsmänner bei Zeiten dem Übel gesteuert. Karl der Grosse hatte sich Juden für die Verwaltung seiner Finanzen aus Italien verschrieben; bald sicherten sie sich aller- orten als Steuerpächter Reichtum und Einfluss und benutzten diese, 1) Mommsen: Römische Geschichte, V, 543. 2) Heman: Die historische Weltstellung der Juden 1882, S. 24 fg. — Für eine anders gefärbte Darstellung, die aber im Thatsächlichen vollkommen überein- stimmt, siehe Graetz: Volksth. Gesch. d. Juden II, 344 fg.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/357>, abgerufen am 24.11.2024.