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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erben.
Der Amoriter.

Doch, da das Wort "indoeuropäisch" meiner Feder entfährt,
will ich gleich hier eine Thatsache besprechen, der ich bisher kaum
flüchtig Erwähnung that. Die Kanaaniter bestanden vorwiegend, doch
nicht einzig aus Hethitern; mit ihnen eng verbunden, doch häufig in
getrennten Gauen ansässig und dadurch ihren Stamm relativ rein er-
haltend, lebten die Amoriter. Diese Amoriter waren grosse, blonde,
blauäugige Menschen von lichter Hautfarbe; sie waren "aus dem
Norden", d. h. aus Europa eingedrungen, die Ägypter nannten sie
daher Tamehu "das Volk der Nordländer", und zwar scheinen sie
(doch ist dies natürlich problematisch) Palästina nicht sehr lange vor
der Rückkehr der Israeliten aus Ägypten erreicht zu haben.1) Im
Osten des Jordans hatten sie mächtige Reiche gegründet, mit denen
die Israeliten später öfter Krieg führen mussten; ein anderer Teil war
in Palästina eingedrungen, wo er in engster Freundschaft mit den
Hethitern lebte,2) wieder andere hatten sich zu den Philistern ge-
schlagen, und zwar in so grosser Zahl (vermehrt vielleicht durch
direkte Zuzüge aus dem bereits durch und durch hellenischen Westen),
dass manche Geschichtsforscher die Philister als der Mehrzahl nach
arisch-europäischen Stammes betrachtet haben.3) Diese unsere eigenen
Stammesbrüder sind jene Enakskinder, die "Leute von grosser
Länge", welche den Israeliten so schreckliche Angst einjagten, als diese
sich das erste Mal kundschaftend ins südliche Palästina eingeschlichen
hatten (IV Mose XIII); zu ihnen gehörte der tapfere Goliath, der die
Israeliten zu einem ritterlichen Zweikampf auffordert und inzwischen
dem tückisch geschleuderten Stein erliegt;4) zu ihnen auch jene

1) Dass das Buch Genesis (XIV, 13) schon Abraham in friedlicher Bundes-
genossenschaft mit drei Amoritern in der Ebene Hebrons leben lässt, hat natürlich
auf historische Gültigkeit keinen Anspruch.
2) Siehe namentlich Sayce: Races of the Old Testament, S. 110 fg.
3) Vergl. Renan: Israel II, livre 3, ch. 3. Über den hellenischen Ursprung
eines bedeutenden Teils der Philister und die Einführung einer Anzahl griechischer
Worte durch sie ins Hebräische, siehe auch Renan: Israel, Band I, S. 157 Anm.;
und Maspero: II, S. 698. Übrigens ist die Frage nach dem Ursprung der Philister
und der Amoriter eine noch viel umstrittene; wir können den Streit getrost den
Historikern und Theologen überlassen; die anthropologischen Ergebnisse sind
Ergebnisse einer exakten Wissenschaft und die Philologie muss sich darnach
richten, nicht umgekehrt. Dass die Amoriter, sowie mindestens ein Teil der
Philister, grosse, blonde, blauäugige Dolichocephalen waren, ist sicher: somit
gehörten sie zum Typus Homo europaeus; uns Ungelehrten genügt das.
4) Die Legende, welche diese feige That dem David zuschreibt, ist eine
späte Interpolation; der ursprüngliche Bericht steht II Sam. XXI, 19 (vergl. Stade:
Die Erben.
Der Amoriter.

Doch, da das Wort »indoeuropäisch« meiner Feder entfährt,
will ich gleich hier eine Thatsache besprechen, der ich bisher kaum
flüchtig Erwähnung that. Die Kanaaniter bestanden vorwiegend, doch
nicht einzig aus Hethitern; mit ihnen eng verbunden, doch häufig in
getrennten Gauen ansässig und dadurch ihren Stamm relativ rein er-
haltend, lebten die Amoriter. Diese Amoriter waren grosse, blonde,
blauäugige Menschen von lichter Hautfarbe; sie waren »aus dem
Norden«, d. h. aus Europa eingedrungen, die Ägypter nannten sie
daher Tamehu »das Volk der Nordländer«, und zwar scheinen sie
(doch ist dies natürlich problematisch) Palästina nicht sehr lange vor
der Rückkehr der Israeliten aus Ägypten erreicht zu haben.1) Im
Osten des Jordans hatten sie mächtige Reiche gegründet, mit denen
die Israeliten später öfter Krieg führen mussten; ein anderer Teil war
in Palästina eingedrungen, wo er in engster Freundschaft mit den
Hethitern lebte,2) wieder andere hatten sich zu den Philistern ge-
schlagen, und zwar in so grosser Zahl (vermehrt vielleicht durch
direkte Zuzüge aus dem bereits durch und durch hellenischen Westen),
dass manche Geschichtsforscher die Philister als der Mehrzahl nach
arisch-europäischen Stammes betrachtet haben.3) Diese unsere eigenen
Stammesbrüder sind jene Enakskinder, die »Leute von grosser
Länge«, welche den Israeliten so schreckliche Angst einjagten, als diese
sich das erste Mal kundschaftend ins südliche Palästina eingeschlichen
hatten (IV Mose XIII); zu ihnen gehörte der tapfere Goliath, der die
Israeliten zu einem ritterlichen Zweikampf auffordert und inzwischen
dem tückisch geschleuderten Stein erliegt;4) zu ihnen auch jene

1) Dass das Buch Genesis (XIV, 13) schon Abraham in friedlicher Bundes-
genossenschaft mit drei Amoritern in der Ebene Hebrons leben lässt, hat natürlich
auf historische Gültigkeit keinen Anspruch.
2) Siehe namentlich Sayce: Races of the Old Testament, S. 110 fg.
3) Vergl. Renan: Israël II, livre 3, ch. 3. Über den hellenischen Ursprung
eines bedeutenden Teils der Philister und die Einführung einer Anzahl griechischer
Worte durch sie ins Hebräische, siehe auch Renan: Israël, Band I, S. 157 Anm.;
und Maspero: II, S. 698. Übrigens ist die Frage nach dem Ursprung der Philister
und der Amoriter eine noch viel umstrittene; wir können den Streit getrost den
Historikern und Theologen überlassen; die anthropologischen Ergebnisse sind
Ergebnisse einer exakten Wissenschaft und die Philologie muss sich darnach
richten, nicht umgekehrt. Dass die Amoriter, sowie mindestens ein Teil der
Philister, grosse, blonde, blauäugige Dolichocephalen waren, ist sicher: somit
gehörten sie zum Typus Homo europaeus; uns Ungelehrten genügt das.
4) Die Legende, welche diese feige That dem David zuschreibt, ist eine
späte Interpolation; der ursprüngliche Bericht steht II Sam. XXI, 19 (vergl. Stade:
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[366/0389] Die Erben. Doch, da das Wort »indoeuropäisch« meiner Feder entfährt, will ich gleich hier eine Thatsache besprechen, der ich bisher kaum flüchtig Erwähnung that. Die Kanaaniter bestanden vorwiegend, doch nicht einzig aus Hethitern; mit ihnen eng verbunden, doch häufig in getrennten Gauen ansässig und dadurch ihren Stamm relativ rein er- haltend, lebten die Amoriter. Diese Amoriter waren grosse, blonde, blauäugige Menschen von lichter Hautfarbe; sie waren »aus dem Norden«, d. h. aus Europa eingedrungen, die Ägypter nannten sie daher Tamehu »das Volk der Nordländer«, und zwar scheinen sie (doch ist dies natürlich problematisch) Palästina nicht sehr lange vor der Rückkehr der Israeliten aus Ägypten erreicht zu haben. 1) Im Osten des Jordans hatten sie mächtige Reiche gegründet, mit denen die Israeliten später öfter Krieg führen mussten; ein anderer Teil war in Palästina eingedrungen, wo er in engster Freundschaft mit den Hethitern lebte, 2) wieder andere hatten sich zu den Philistern ge- schlagen, und zwar in so grosser Zahl (vermehrt vielleicht durch direkte Zuzüge aus dem bereits durch und durch hellenischen Westen), dass manche Geschichtsforscher die Philister als der Mehrzahl nach arisch-europäischen Stammes betrachtet haben. 3) Diese unsere eigenen Stammesbrüder sind jene Enakskinder, die »Leute von grosser Länge«, welche den Israeliten so schreckliche Angst einjagten, als diese sich das erste Mal kundschaftend ins südliche Palästina eingeschlichen hatten (IV Mose XIII); zu ihnen gehörte der tapfere Goliath, der die Israeliten zu einem ritterlichen Zweikampf auffordert und inzwischen dem tückisch geschleuderten Stein erliegt; 4) zu ihnen auch jene 1) Dass das Buch Genesis (XIV, 13) schon Abraham in friedlicher Bundes- genossenschaft mit drei Amoritern in der Ebene Hebrons leben lässt, hat natürlich auf historische Gültigkeit keinen Anspruch. 2) Siehe namentlich Sayce: Races of the Old Testament, S. 110 fg. 3) Vergl. Renan: Israël II, livre 3, ch. 3. Über den hellenischen Ursprung eines bedeutenden Teils der Philister und die Einführung einer Anzahl griechischer Worte durch sie ins Hebräische, siehe auch Renan: Israël, Band I, S. 157 Anm.; und Maspero: II, S. 698. Übrigens ist die Frage nach dem Ursprung der Philister und der Amoriter eine noch viel umstrittene; wir können den Streit getrost den Historikern und Theologen überlassen; die anthropologischen Ergebnisse sind Ergebnisse einer exakten Wissenschaft und die Philologie muss sich darnach richten, nicht umgekehrt. Dass die Amoriter, sowie mindestens ein Teil der Philister, grosse, blonde, blauäugige Dolichocephalen waren, ist sicher: somit gehörten sie zum Typus Homo europaeus; uns Ungelehrten genügt das. 4) Die Legende, welche diese feige That dem David zuschreibt, ist eine späte Interpolation; der ursprüngliche Bericht steht II Sam. XXI, 19 (vergl. Stade:

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/389>, abgerufen am 24.11.2024.