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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erben.
nur unter Zuziehung fremder Elemente vor sich;1) jedenfalls blieb
die Stadt Jerusalem bis zu David's Zeiten eine amoritische, mit Bei-
mischung vieler Hethiter (Jebusiter nennt die Bibel diese gemischte
Bevölkerung), doch ohne Israeliten; erst im achten Jahre seiner Re-
gierung eroberte David mit seinen fremden Söldnertruppen diese feste
Burg und erwählte sie, ihrer starken Lage wegen, zu seiner Residenz.
Die amoritisch-hethitische Bevölkerung blieb aber auch fernerhin durch
Zahl und Stellung bedeutend2): von einem wohlhabenden Amoriter
muss David den Boden kaufen, um darauf einen Altar zu errichten
(II Sam. XXIV, 18 fg.), und bei einem Gethiter, einem seiner ver-
trauten Truppenführer, stellt er die heilige Bundeslade ein, als er sie nach
Jerusalem übergeführt hat (II Sam. IV, 10).3) So lässt denn auch der
Prophet Hesekiel (XVI) der Stadt Jerusalem von Gott zurufen: "Von
Ursprung und von Geburt bist du eine Kanaaniterin; dein Vater war
ein Amoriter, deine Mutter eine Hethiterin!" Und dann wirft er den
israelitischen Bewohnern vor, wie sie sich mit diesen fremden Ele-
menten vermengt hätten: "also triebest du Hurerei, dass du dich
einem Jeglichen, wer vorüber ging, gemein machtest und thatest
seinen Willen" -- eine Naivetät des frommen Juden, da die Grossen
des Reiches mit dem Beispiel nicht gekargt hatten und er selber, als
Jerusalemit, das Kind dieser dreifachen Bastardierung war; Hesekiel,
dem eigentlichen Erfinder des spezifischen Judentums, schwebte eben
schon jene paradoxe Idee eines aus reiner Rasse hervorgegangenen
Juden vor, was eine contradictio in adjecto ist. Gerade der Judäer
hat nun unter allen Israeliten am meisten amoritisches Blut in sich
aufgenommen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die Amoriter
den Süden Palästinas, die Gebiete Simeon's, Juda's und Benjamin's,
ziemlich dicht bewohnten, während sie weiter nördlich spärlicher ver-
treten waren. Die ägyptischen Denkmäler, auf welchen die verschiedenen
Völker äusserst charakteristisch abgebildet sind, beweisen unwiderruflich,
dass zur Zeit Salomo's und seiner Nachfolger die Einwohner des
südlichen Israels, besonders die Truppenanführer, sich durch das Vor-

1) Siehe namentlich Wellhausen's Prolegomena (an vielen Orten).
2) Im Buche Josua XV, 63 lesen wir: "Die Jebusiter aber wohnten zu
Jerusalem und die Kinder Juda's konnten sie nicht vertreiben; also blieben
die Jebusiter mit den Kindern Juda's zu Jerusalem bis auf diesen Tag."
3) Dass Obededom wirklich ein Gethiter war, wie die angeführte Stelle
besagt und nicht, wie die spätere Version lautet (I. Chron. XVI, 18) ein Levit,
zeigt Wellhausen: Prolegomena, S. 43.

Die Erben.
nur unter Zuziehung fremder Elemente vor sich;1) jedenfalls blieb
die Stadt Jerusalem bis zu David’s Zeiten eine amoritische, mit Bei-
mischung vieler Hethiter (Jebusiter nennt die Bibel diese gemischte
Bevölkerung), doch ohne Israeliten; erst im achten Jahre seiner Re-
gierung eroberte David mit seinen fremden Söldnertruppen diese feste
Burg und erwählte sie, ihrer starken Lage wegen, zu seiner Residenz.
Die amoritisch-hethitische Bevölkerung blieb aber auch fernerhin durch
Zahl und Stellung bedeutend2): von einem wohlhabenden Amoriter
muss David den Boden kaufen, um darauf einen Altar zu errichten
(II Sam. XXIV, 18 fg.), und bei einem Gethiter, einem seiner ver-
trauten Truppenführer, stellt er die heilige Bundeslade ein, als er sie nach
Jerusalem übergeführt hat (II Sam. IV, 10).3) So lässt denn auch der
Prophet Hesekiel (XVI) der Stadt Jerusalem von Gott zurufen: »Von
Ursprung und von Geburt bist du eine Kanaaniterin; dein Vater war
ein Amoriter, deine Mutter eine Hethiterin!« Und dann wirft er den
israelitischen Bewohnern vor, wie sie sich mit diesen fremden Ele-
menten vermengt hätten: »also triebest du Hurerei, dass du dich
einem Jeglichen, wer vorüber ging, gemein machtest und thatest
seinen Willen« — eine Naivetät des frommen Juden, da die Grossen
des Reiches mit dem Beispiel nicht gekargt hatten und er selber, als
Jerusalemit, das Kind dieser dreifachen Bastardierung war; Hesekiel,
dem eigentlichen Erfinder des spezifischen Judentums, schwebte eben
schon jene paradoxe Idee eines aus reiner Rasse hervorgegangenen
Juden vor, was eine contradictio in adjecto ist. Gerade der Judäer
hat nun unter allen Israeliten am meisten amoritisches Blut in sich
aufgenommen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die Amoriter
den Süden Palästinas, die Gebiete Simeon’s, Juda’s und Benjamin’s,
ziemlich dicht bewohnten, während sie weiter nördlich spärlicher ver-
treten waren. Die ägyptischen Denkmäler, auf welchen die verschiedenen
Völker äusserst charakteristisch abgebildet sind, beweisen unwiderruflich,
dass zur Zeit Salomo’s und seiner Nachfolger die Einwohner des
südlichen Israels, besonders die Truppenanführer, sich durch das Vor-

1) Siehe namentlich Wellhausen’s Prolegomena (an vielen Orten).
2) Im Buche Josua XV, 63 lesen wir: »Die Jebusiter aber wohnten zu
Jerusalem und die Kinder Juda’s konnten sie nicht vertreiben; also blieben
die Jebusiter mit den Kindern Juda’s zu Jerusalem bis auf diesen Tag.«
3) Dass Obededom wirklich ein Gethiter war, wie die angeführte Stelle
besagt und nicht, wie die spätere Version lautet (I. Chron. XVI, 18) ein Levit,
zeigt Wellhausen: Prolegomena, S. 43.
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[368/0391] Die Erben. nur unter Zuziehung fremder Elemente vor sich; 1) jedenfalls blieb die Stadt Jerusalem bis zu David’s Zeiten eine amoritische, mit Bei- mischung vieler Hethiter (Jebusiter nennt die Bibel diese gemischte Bevölkerung), doch ohne Israeliten; erst im achten Jahre seiner Re- gierung eroberte David mit seinen fremden Söldnertruppen diese feste Burg und erwählte sie, ihrer starken Lage wegen, zu seiner Residenz. Die amoritisch-hethitische Bevölkerung blieb aber auch fernerhin durch Zahl und Stellung bedeutend 2): von einem wohlhabenden Amoriter muss David den Boden kaufen, um darauf einen Altar zu errichten (II Sam. XXIV, 18 fg.), und bei einem Gethiter, einem seiner ver- trauten Truppenführer, stellt er die heilige Bundeslade ein, als er sie nach Jerusalem übergeführt hat (II Sam. IV, 10). 3) So lässt denn auch der Prophet Hesekiel (XVI) der Stadt Jerusalem von Gott zurufen: »Von Ursprung und von Geburt bist du eine Kanaaniterin; dein Vater war ein Amoriter, deine Mutter eine Hethiterin!« Und dann wirft er den israelitischen Bewohnern vor, wie sie sich mit diesen fremden Ele- menten vermengt hätten: »also triebest du Hurerei, dass du dich einem Jeglichen, wer vorüber ging, gemein machtest und thatest seinen Willen« — eine Naivetät des frommen Juden, da die Grossen des Reiches mit dem Beispiel nicht gekargt hatten und er selber, als Jerusalemit, das Kind dieser dreifachen Bastardierung war; Hesekiel, dem eigentlichen Erfinder des spezifischen Judentums, schwebte eben schon jene paradoxe Idee eines aus reiner Rasse hervorgegangenen Juden vor, was eine contradictio in adjecto ist. Gerade der Judäer hat nun unter allen Israeliten am meisten amoritisches Blut in sich aufgenommen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die Amoriter den Süden Palästinas, die Gebiete Simeon’s, Juda’s und Benjamin’s, ziemlich dicht bewohnten, während sie weiter nördlich spärlicher ver- treten waren. Die ägyptischen Denkmäler, auf welchen die verschiedenen Völker äusserst charakteristisch abgebildet sind, beweisen unwiderruflich, dass zur Zeit Salomo’s und seiner Nachfolger die Einwohner des südlichen Israels, besonders die Truppenanführer, sich durch das Vor- 1) Siehe namentlich Wellhausen’s Prolegomena (an vielen Orten). 2) Im Buche Josua XV, 63 lesen wir: »Die Jebusiter aber wohnten zu Jerusalem und die Kinder Juda’s konnten sie nicht vertreiben; also blieben die Jebusiter mit den Kindern Juda’s zu Jerusalem bis auf diesen Tag.« 3) Dass Obededom wirklich ein Gethiter war, wie die angeführte Stelle besagt und nicht, wie die spätere Version lautet (I. Chron. XVI, 18) ein Levit, zeigt Wellhausen: Prolegomena, S. 43.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/391>, abgerufen am 24.11.2024.