Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. Plato nennt diese Sprache ein Schwimmbrett, das uns den Lebens-strom hinunterträgt; sie ist ebenso allgemein verbreitet, wie die Em- pfindung dieses Geheimnisses, ihr Vokabularium so verschieden wie die Kulturstufen und die Himmelsstriche. So z. B. haben die Samoaner das unergründliche und doch von ihnen, wie man sieht, so unmittelbar empfundene Mysterium der Allgegenwart Gottes sich folgendermassen versinnbildlicht. Sie stellen sich den Körper ihres Gottes Saveasiuleo als aus zwei trennbaren Teilen bestehend vor; der obere, menschlich gestaltete Teil (der eigentliche Gott) verweilt im "Hause der Geister", bei den Verstorbenen, der untere Teil ist ein ungeheuer langes, see- schlangenartiges Gebilde, das sich um alle Inseln des grossen Meeres schlingt, aufmerksam auf das, was die Menschen thun.1) Freilich ist es ein weiter Weg von einer verhältnismässig so rohen Phantasie bis zu der christlich-theologischen Vorstellung von der Allgegenwart Gottes, und noch weiter liegt sie von dem transcendentalen Idealismus, der einem Cankara zur Vorstellung desselben Geheimnisses dient, doch kann ich einen prinzipiellen Unterschied nicht erblicken. Ausserdem sehen wir an anderen Beispielen, wie diese Betätigung der Imagination bei religiösen Vorstellungen überall nach und nach zu sehr geklärten Ideen führt. Tylor, dieser so vorsichtige, zuverlässige Gelehrte, be- hauptet, dass es wahrscheinlich auf dem ganzen afrikanischen Kontinent, von den Hottentotten bis zu den Berbern, keinen Stamm gäbe, der nicht an eine oberste Gottheit glaube, und er zeigt, wie diese Auf- fassung aus dem einfachen Animismus sich allmählich herausbilde. Doch finden es die meisten, so z. B. die Neger der Goldküste, un- würdig, den grossen Weltgeist mit den geringfügigen irdischen An- gelegenheiten beschäftigt zu denken; nur selten, meinen sie, greife er in diese ein. Ein anderer Stamm, der der Yorubas (auf einer merklich höheren Kulturstufe stehende Neger von der Sklavenküste) lehrt: Nie- mand kann sich Gott direkt nähern, sondern der Allmächtige selbst hat Fürsprecher und Mittler zwischen ihm und dem Menschengeschlechte eingesetzt. Gott bringt man keine Opfer dar, weil er nichts bedarf, dagegen die Mittler, die den Menschen sehr ähnlich sind, werden durch Geschenke an Schafen, Tauben und anderen Dingen erfreut.2) Das dünkt mich schon eine recht hochgeartete "Volksmetaphysik", eine Religion, die Achtung verdient. Andererseits wissen wir, wie 1) E. B. Tylor: Die Anfänge der Kultur, deutsch von Spengel und Poske, 1873, II, 309. 2) Tylor: a. a. O. S. 348, 349.
Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. Plato nennt diese Sprache ein Schwimmbrett, das uns den Lebens-strom hinunterträgt; sie ist ebenso allgemein verbreitet, wie die Em- pfindung dieses Geheimnisses, ihr Vokabularium so verschieden wie die Kulturstufen und die Himmelsstriche. So z. B. haben die Samoaner das unergründliche und doch von ihnen, wie man sieht, so unmittelbar empfundene Mysterium der Allgegenwart Gottes sich folgendermassen versinnbildlicht. Sie stellen sich den Körper ihres Gottes Saveasiuleo als aus zwei trennbaren Teilen bestehend vor; der obere, menschlich gestaltete Teil (der eigentliche Gott) verweilt im »Hause der Geister«, bei den Verstorbenen, der untere Teil ist ein ungeheuer langes, see- schlangenartiges Gebilde, das sich um alle Inseln des grossen Meeres schlingt, aufmerksam auf das, was die Menschen thun.1) Freilich ist es ein weiter Weg von einer verhältnismässig so rohen Phantasie bis zu der christlich-theologischen Vorstellung von der Allgegenwart Gottes, und noch weiter liegt sie von dem transcendentalen Idealismus, der einem Çankara zur Vorstellung desselben Geheimnisses dient, doch kann ich einen prinzipiellen Unterschied nicht erblicken. Ausserdem sehen wir an anderen Beispielen, wie diese Betätigung der Imagination bei religiösen Vorstellungen überall nach und nach zu sehr geklärten Ideen führt. Tylor, dieser so vorsichtige, zuverlässige Gelehrte, be- hauptet, dass es wahrscheinlich auf dem ganzen afrikanischen Kontinent, von den Hottentotten bis zu den Berbern, keinen Stamm gäbe, der nicht an eine oberste Gottheit glaube, und er zeigt, wie diese Auf- fassung aus dem einfachen Animismus sich allmählich herausbilde. Doch finden es die meisten, so z. B. die Neger der Goldküste, un- würdig, den grossen Weltgeist mit den geringfügigen irdischen An- gelegenheiten beschäftigt zu denken; nur selten, meinen sie, greife er in diese ein. Ein anderer Stamm, der der Yorubas (auf einer merklich höheren Kulturstufe stehende Neger von der Sklavenküste) lehrt: Nie- mand kann sich Gott direkt nähern, sondern der Allmächtige selbst hat Fürsprecher und Mittler zwischen ihm und dem Menschengeschlechte eingesetzt. Gott bringt man keine Opfer dar, weil er nichts bedarf, dagegen die Mittler, die den Menschen sehr ähnlich sind, werden durch Geschenke an Schafen, Tauben und anderen Dingen erfreut.2) Das dünkt mich schon eine recht hochgeartete »Volksmetaphysik«, eine Religion, die Achtung verdient. Andererseits wissen wir, wie 1) E. B. Tylor: Die Anfänge der Kultur, deutsch von Spengel und Poske, 1873, II, 309. 2) Tylor: a. a. O. S. 348, 349.
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Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
Plato nennt diese Sprache ein Schwimmbrett, das uns den Lebens-
strom hinunterträgt; sie ist ebenso allgemein verbreitet, wie die Em-
pfindung dieses Geheimnisses, ihr Vokabularium so verschieden wie
die Kulturstufen und die Himmelsstriche. So z. B. haben die Samoaner
das unergründliche und doch von ihnen, wie man sieht, so unmittelbar
empfundene Mysterium der Allgegenwart Gottes sich folgendermassen
versinnbildlicht. Sie stellen sich den Körper ihres Gottes Saveasiuleo als
aus zwei trennbaren Teilen bestehend vor; der obere, menschlich
gestaltete Teil (der eigentliche Gott) verweilt im »Hause der Geister«,
bei den Verstorbenen, der untere Teil ist ein ungeheuer langes, see-
schlangenartiges Gebilde, das sich um alle Inseln des grossen Meeres
schlingt, aufmerksam auf das, was die Menschen thun. 1) Freilich ist
es ein weiter Weg von einer verhältnismässig so rohen Phantasie bis
zu der christlich-theologischen Vorstellung von der Allgegenwart Gottes,
und noch weiter liegt sie von dem transcendentalen Idealismus, der
einem Çankara zur Vorstellung desselben Geheimnisses dient, doch
kann ich einen prinzipiellen Unterschied nicht erblicken. Ausserdem
sehen wir an anderen Beispielen, wie diese Betätigung der Imagination
bei religiösen Vorstellungen überall nach und nach zu sehr geklärten
Ideen führt. Tylor, dieser so vorsichtige, zuverlässige Gelehrte, be-
hauptet, dass es wahrscheinlich auf dem ganzen afrikanischen Kontinent,
von den Hottentotten bis zu den Berbern, keinen Stamm gäbe, der
nicht an eine oberste Gottheit glaube, und er zeigt, wie diese Auf-
fassung aus dem einfachen Animismus sich allmählich herausbilde.
Doch finden es die meisten, so z. B. die Neger der Goldküste, un-
würdig, den grossen Weltgeist mit den geringfügigen irdischen An-
gelegenheiten beschäftigt zu denken; nur selten, meinen sie, greife er
in diese ein. Ein anderer Stamm, der der Yorubas (auf einer merklich
höheren Kulturstufe stehende Neger von der Sklavenküste) lehrt: Nie-
mand kann sich Gott direkt nähern, sondern der Allmächtige selbst hat
Fürsprecher und Mittler zwischen ihm und dem Menschengeschlechte
eingesetzt. Gott bringt man keine Opfer dar, weil er nichts bedarf,
dagegen die Mittler, die den Menschen sehr ähnlich sind, werden
durch Geschenke an Schafen, Tauben und anderen Dingen erfreut. 2)
Das dünkt mich schon eine recht hochgeartete »Volksmetaphysik«,
eine Religion, die Achtung verdient. Andererseits wissen wir, wie
1) E. B. Tylor: Die Anfänge der Kultur, deutsch von Spengel und Poske,
1873, II, 309.
2) Tylor: a. a. O. S. 348, 349.
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