Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte. Dietrich von Bern hatte den Titel und die Krone des Imperatorsvon sich gewiesen; er war zu stolz, um mehr sein zu wollen als König der Ostgoten; späteren Germanen dagegen schillerte der kaiser- liche Purpur vor den Augen wie ein zaubergewaltiger Talisman, so ganz waren sie von ungermanischen Vorstellungen geblendet. Denn inzwischen waren die Jurisconsulti des poströmischen Afterrechtes gekommen und hatten den germanischen Fürsten Wunderdinge über königliche Gerechtsame ins Ohr geflüstert; und die römische Kirche, welche die mächtigste Verbreiterin des justinianischen Rechtes war,1) lehrte, dieses Recht sei ein heiliges, gottgegebenes;2) nun trat der Papst hinzu und erklärte sich für den einzigen Herrn aller Kronen, er allein, als Vertreter Christi auf Erden, könne sie verleihen und abnehmen,3) und dem servus servorum sei der Kaiser als blosser rex regum unter- geordnet. Wenn aber der Papst die Kronen schenkte oder bestätigte, so war jeder König fortan König von Gottes Gnaden, und wenn der Rechtsgelehrte darthat, dem Träger der Krone sei von Rechtswegen das ganze Land zu eigen, sowie unbeschränkte Allmacht über seine Unterthanen, so war die Verwandlung fertig und an Stelle eines Volkes von freien Männern stand nun ein Volk von Knechten. Das nennt Montesquieu, und nicht mit Unrecht, Barbarei. Die germanischen Fürsten, die nicht allein aus Herrsch- und Habsucht, sondern auch in Folge der Verwirrung aller Begriffe auf diesen Pakt eingegangen waren, hatten sich unbewusst den feindlichen Mächten verdungen; nunmehr waren sie Stützen der antigermanischen Bestrebungen. Wieder war ein Sieg über den germanischen Geist errungen! Weitere Beispiele davon, wie der Germane sich selber nach und 1) Savigny: Geschichte des römischen Rechts, I, Kap. 3. 2) "Das Mittelalter stellte das römische Recht als geoffenbarte Vernunft in Dingen des Rechts (ratio scripta) dem Christentum als geoffenbarte Religion zur Seite" (Jhering: Vorgeschichte der Indoeuropäer, S. 302). 3) Phillips: Lehrbuch des Kirchenrechtes, 1881 (!), § 102 u. s. w.
Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte. Dietrich von Bern hatte den Titel und die Krone des Imperatorsvon sich gewiesen; er war zu stolz, um mehr sein zu wollen als König der Ostgoten; späteren Germanen dagegen schillerte der kaiser- liche Purpur vor den Augen wie ein zaubergewaltiger Talisman, so ganz waren sie von ungermanischen Vorstellungen geblendet. Denn inzwischen waren die Jurisconsulti des poströmischen Afterrechtes gekommen und hatten den germanischen Fürsten Wunderdinge über königliche Gerechtsame ins Ohr geflüstert; und die römische Kirche, welche die mächtigste Verbreiterin des justinianischen Rechtes war,1) lehrte, dieses Recht sei ein heiliges, gottgegebenes;2) nun trat der Papst hinzu und erklärte sich für den einzigen Herrn aller Kronen, er allein, als Vertreter Christi auf Erden, könne sie verleihen und abnehmen,3) und dem servus servorum sei der Kaiser als blosser rex regum unter- geordnet. Wenn aber der Papst die Kronen schenkte oder bestätigte, so war jeder König fortan König von Gottes Gnaden, und wenn der Rechtsgelehrte darthat, dem Träger der Krone sei von Rechtswegen das ganze Land zu eigen, sowie unbeschränkte Allmacht über seine Unterthanen, so war die Verwandlung fertig und an Stelle eines Volkes von freien Männern stand nun ein Volk von Knechten. Das nennt Montesquieu, und nicht mit Unrecht, Barbarei. Die germanischen Fürsten, die nicht allein aus Herrsch- und Habsucht, sondern auch in Folge der Verwirrung aller Begriffe auf diesen Pakt eingegangen waren, hatten sich unbewusst den feindlichen Mächten verdungen; nunmehr waren sie Stützen der antigermanischen Bestrebungen. Wieder war ein Sieg über den germanischen Geist errungen! Weitere Beispiele davon, wie der Germane sich selber nach und 1) Savigny: Geschichte des römischen Rechts, I, Kap. 3. 2) »Das Mittelalter stellte das römische Recht als geoffenbarte Vernunft in Dingen des Rechts (ratio scripta) dem Christentum als geoffenbarte Religion zur Seite« (Jhering: Vorgeschichte der Indoeuropäer, S. 302). 3) Phillips: Lehrbuch des Kirchenrechtes, 1881 (!), § 102 u. s. w.
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Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.
Dietrich von Bern hatte den Titel und die Krone des Imperators
von sich gewiesen; er war zu stolz, um mehr sein zu wollen als
König der Ostgoten; späteren Germanen dagegen schillerte der kaiser-
liche Purpur vor den Augen wie ein zaubergewaltiger Talisman, so
ganz waren sie von ungermanischen Vorstellungen geblendet. Denn
inzwischen waren die Jurisconsulti des poströmischen Afterrechtes
gekommen und hatten den germanischen Fürsten Wunderdinge über
königliche Gerechtsame ins Ohr geflüstert; und die römische Kirche,
welche die mächtigste Verbreiterin des justinianischen Rechtes war, 1)
lehrte, dieses Recht sei ein heiliges, gottgegebenes; 2) nun trat der Papst
hinzu und erklärte sich für den einzigen Herrn aller Kronen, er allein,
als Vertreter Christi auf Erden, könne sie verleihen und abnehmen, 3)
und dem servus servorum sei der Kaiser als blosser rex regum unter-
geordnet. Wenn aber der Papst die Kronen schenkte oder bestätigte,
so war jeder König fortan König von Gottes Gnaden, und wenn der
Rechtsgelehrte darthat, dem Träger der Krone sei von Rechtswegen
das ganze Land zu eigen, sowie unbeschränkte Allmacht über seine
Unterthanen, so war die Verwandlung fertig und an Stelle eines
Volkes von freien Männern stand nun ein Volk von Knechten. Das
nennt Montesquieu, und nicht mit Unrecht, Barbarei. Die germanischen
Fürsten, die nicht allein aus Herrsch- und Habsucht, sondern auch in
Folge der Verwirrung aller Begriffe auf diesen Pakt eingegangen
waren, hatten sich unbewusst den feindlichen Mächten verdungen;
nunmehr waren sie Stützen der antigermanischen Bestrebungen. Wieder
war ein Sieg über den germanischen Geist errungen!
Weitere Beispiele davon, wie der Germane sich selber nach und
nach entfremdet wurde, überlasse ich dem Sinnen des Lesers. Hatte
er erst die Freiheit zu handeln und die Freiheit zu glauben ver-
loren, so war die Grundlage seines besonderen, unvergleichlichen
Wesens in einer Weise unterminiert, dass nur die heftigste Empörung
ihn vor gänzlichem Untergang retten konnte. Wie frei und kühn
war nicht das religiöse Denken der ersten nordischen Scholastiker
gewesen, voll Persönlichkeit und Leben; wie geknechtet und geknebelt
erscheint es nach Thomas von Aquin, der bis auf den heutigen Tag
1) Savigny: Geschichte des römischen Rechts, I, Kap. 3.
2) »Das Mittelalter stellte das römische Recht als geoffenbarte Vernunft
in Dingen des Rechts (ratio scripta) dem Christentum als geoffenbarte Religion
zur Seite« (Jhering: Vorgeschichte der Indoeuropäer, S. 302).
3) Phillips: Lehrbuch des Kirchenrechtes, 1881 (!), § 102 u. s. w.
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