Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.Religion. feindlichen Judentums (denn hiermit hätte sie sich das Volk, welchesimmer mehr abergläubisch als religiös ist, verscheucht); der germanische Ernst war ihr willkommen, sowie die mystische Entzückung -- doch wachte sie darüber, dass strenge Innerlichkeit den Weg des Heils nicht zu dornenvoll für schwache Seelen gestaltete, und dass mystischer Hochflug nicht von dem Kultus der Kirche emanzipiere; die mythischen Spekulationen der Hellenen wies sie nicht gerade zurück, sie begriff ihren Wert für die menschliche Phantasie, doch entkleidete sie den Mythus seiner plastischen, nie auszudenkenden, entwickelungsfähigen und darum ewig revolutionären Bedeutung und bannte ihn zu bleibender Regungslosigkeit gleich einem anzubetenden Idol. Dagegen nahm sie in weitherzigster Weise die Ceremonien und namentlich die Sakramente des prachtliebenden, in Zauberei seine Religion suchenden Völkerchaos in sich auf. Dies ist ja ihr eigentliches Element, das einzige, welches das Imperium, das heisst also Rom, selbständig zum Bau des Christen- tums beitrug; und dadurch wurde bewirkt, dass -- während heilige Männer nicht müde wurden, im Christentum den Gegensatz zum Heidentum aufzuzeigen -- die grosse Masse ohne einen sonderlichen Unterschied zu merken aus dem einen ins andere übertrat: sie fanden ja die prächtig gekleidete Klerisei wieder, die Umzüge, die Bilder, die wunderwirkenden Lokalheiligtümer, die mystische Verwandlung des Opfers, die stoffliche Mitteilung des ewigen Lebens, die Beichte, die Sündenvergebung, den Ablass -- -- -- alles, was sie längst gewohnt waren. Über diesen förmlichen, feierlichen Eintritt des Geistes des Völker-Der Sieg des Die Anknüpfung an die äussere Religion des Paulus (im Gegen- 1) Die engültige formelle Vollendung erfolgte einige Jahre später, erstens
durch die Einführung der obligatorischen Adoration der Hostie im Jahre 1264, zweitens durch die allgemeine Einführung des Fronleichnamsfestes im Jahre 1311, zur Feier der wunderbaren Verwandlung der Hostie in den Leib Gottes. Religion. feindlichen Judentums (denn hiermit hätte sie sich das Volk, welchesimmer mehr abergläubisch als religiös ist, verscheucht); der germanische Ernst war ihr willkommen, sowie die mystische Entzückung — doch wachte sie darüber, dass strenge Innerlichkeit den Weg des Heils nicht zu dornenvoll für schwache Seelen gestaltete, und dass mystischer Hochflug nicht von dem Kultus der Kirche emanzipiere; die mythischen Spekulationen der Hellenen wies sie nicht gerade zurück, sie begriff ihren Wert für die menschliche Phantasie, doch entkleidete sie den Mythus seiner plastischen, nie auszudenkenden, entwickelungsfähigen und darum ewig revolutionären Bedeutung und bannte ihn zu bleibender Regungslosigkeit gleich einem anzubetenden Idol. Dagegen nahm sie in weitherzigster Weise die Ceremonien und namentlich die Sakramente des prachtliebenden, in Zauberei seine Religion suchenden Völkerchaos in sich auf. Dies ist ja ihr eigentliches Element, das einzige, welches das Imperium, das heisst also Rom, selbständig zum Bau des Christen- tums beitrug; und dadurch wurde bewirkt, dass — während heilige Männer nicht müde wurden, im Christentum den Gegensatz zum Heidentum aufzuzeigen — die grosse Masse ohne einen sonderlichen Unterschied zu merken aus dem einen ins andere übertrat: sie fanden ja die prächtig gekleidete Klerisei wieder, die Umzüge, die Bilder, die wunderwirkenden Lokalheiligtümer, die mystische Verwandlung des Opfers, die stoffliche Mitteilung des ewigen Lebens, die Beichte, die Sündenvergebung, den Ablass — — — alles, was sie längst gewohnt waren. Über diesen förmlichen, feierlichen Eintritt des Geistes des Völker-Der Sieg des Die Anknüpfung an die äussere Religion des Paulus (im Gegen- 1) Die engültige formelle Vollendung erfolgte einige Jahre später, erstens
durch die Einführung der obligatorischen Adoration der Hostie im Jahre 1264, zweitens durch die allgemeine Einführung des Fronleichnamsfestes im Jahre 1311, zur Feier der wunderbaren Verwandlung der Hostie in den Leib Gottes. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0114" n="635"/><fw place="top" type="header">Religion.</fw><lb/> feindlichen Judentums (denn hiermit hätte sie sich das Volk, welches<lb/> immer mehr abergläubisch als religiös ist, verscheucht); der germanische<lb/> Ernst war ihr willkommen, sowie die mystische Entzückung — doch<lb/> wachte sie darüber, dass strenge Innerlichkeit den Weg des Heils nicht<lb/> zu dornenvoll für schwache Seelen gestaltete, und dass mystischer<lb/> Hochflug nicht von dem Kultus der Kirche emanzipiere; die mythischen<lb/> Spekulationen der Hellenen wies sie nicht gerade zurück, sie begriff<lb/> ihren Wert für die menschliche Phantasie, doch entkleidete sie den<lb/> Mythus seiner plastischen, nie auszudenkenden, entwickelungsfähigen<lb/> und darum ewig revolutionären Bedeutung und bannte ihn zu bleibender<lb/> Regungslosigkeit gleich einem anzubetenden Idol. Dagegen nahm sie<lb/> in weitherzigster Weise die Ceremonien und namentlich die Sakramente<lb/> des prachtliebenden, in Zauberei seine Religion suchenden Völkerchaos<lb/> in sich auf. Dies ist ja ihr eigentliches Element, das einzige, welches<lb/> das Imperium, das heisst also Rom, selbständig zum Bau des Christen-<lb/> tums beitrug; und dadurch wurde bewirkt, dass — während heilige<lb/> Männer nicht müde wurden, im Christentum den Gegensatz zum<lb/> Heidentum aufzuzeigen — die grosse Masse ohne einen sonderlichen<lb/> Unterschied zu merken aus dem einen ins andere übertrat: sie fanden<lb/> ja die prächtig gekleidete Klerisei wieder, die Umzüge, die Bilder, die<lb/> wunderwirkenden Lokalheiligtümer, die mystische Verwandlung des<lb/> Opfers, die stoffliche Mitteilung des ewigen Lebens, die Beichte, die<lb/> Sündenvergebung, den Ablass — — — alles, was sie längst gewohnt<lb/> waren.</p><lb/> <p>Über diesen förmlichen, feierlichen Eintritt des Geistes des Völker-<note place="right">Der Sieg des<lb/> Völkerchaos.</note><lb/> chaos in das Christentum muss ich zum Schluss einige Worte der Er-<lb/> läuterung sagen; er verlieh dem Christentum eine besondere Färbung,<lb/> die bis zum heutigen Tage in allen Konfessionen (auch in den von<lb/> Rom losgetrennten) mehr oder weniger vorherrscht, und er erhielt<lb/> seinen formellen Abschluss am Ende der Periode, die uns hier be-<lb/> schäftigt. Die Proklamierung des Dogmas der Transsubstantiation, im<lb/> Jahre 1215, bedeutet die Vollendung einer tausendjährigen Entwickelung<lb/> nach dieser Richtung hin.<note place="foot" n="1)">Die engültige formelle Vollendung erfolgte einige Jahre später, erstens<lb/> durch die Einführung der obligatorischen Adoration der Hostie im Jahre 1264,<lb/> zweitens durch die allgemeine Einführung des Fronleichnamsfestes im Jahre 1311,<lb/> zur Feier der wunderbaren Verwandlung der Hostie in den Leib Gottes.</note></p><lb/> <p>Die Anknüpfung an die äussere Religion des Paulus (im Gegen-<lb/> satz zu seiner inneren) bedingte ja auf alle Fälle eine der jüdischen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [635/0114]
Religion.
feindlichen Judentums (denn hiermit hätte sie sich das Volk, welches
immer mehr abergläubisch als religiös ist, verscheucht); der germanische
Ernst war ihr willkommen, sowie die mystische Entzückung — doch
wachte sie darüber, dass strenge Innerlichkeit den Weg des Heils nicht
zu dornenvoll für schwache Seelen gestaltete, und dass mystischer
Hochflug nicht von dem Kultus der Kirche emanzipiere; die mythischen
Spekulationen der Hellenen wies sie nicht gerade zurück, sie begriff
ihren Wert für die menschliche Phantasie, doch entkleidete sie den
Mythus seiner plastischen, nie auszudenkenden, entwickelungsfähigen
und darum ewig revolutionären Bedeutung und bannte ihn zu bleibender
Regungslosigkeit gleich einem anzubetenden Idol. Dagegen nahm sie
in weitherzigster Weise die Ceremonien und namentlich die Sakramente
des prachtliebenden, in Zauberei seine Religion suchenden Völkerchaos
in sich auf. Dies ist ja ihr eigentliches Element, das einzige, welches
das Imperium, das heisst also Rom, selbständig zum Bau des Christen-
tums beitrug; und dadurch wurde bewirkt, dass — während heilige
Männer nicht müde wurden, im Christentum den Gegensatz zum
Heidentum aufzuzeigen — die grosse Masse ohne einen sonderlichen
Unterschied zu merken aus dem einen ins andere übertrat: sie fanden
ja die prächtig gekleidete Klerisei wieder, die Umzüge, die Bilder, die
wunderwirkenden Lokalheiligtümer, die mystische Verwandlung des
Opfers, die stoffliche Mitteilung des ewigen Lebens, die Beichte, die
Sündenvergebung, den Ablass — — — alles, was sie längst gewohnt
waren.
Über diesen förmlichen, feierlichen Eintritt des Geistes des Völker-
chaos in das Christentum muss ich zum Schluss einige Worte der Er-
läuterung sagen; er verlieh dem Christentum eine besondere Färbung,
die bis zum heutigen Tage in allen Konfessionen (auch in den von
Rom losgetrennten) mehr oder weniger vorherrscht, und er erhielt
seinen formellen Abschluss am Ende der Periode, die uns hier be-
schäftigt. Die Proklamierung des Dogmas der Transsubstantiation, im
Jahre 1215, bedeutet die Vollendung einer tausendjährigen Entwickelung
nach dieser Richtung hin. 1)
Der Sieg des
Völkerchaos.
Die Anknüpfung an die äussere Religion des Paulus (im Gegen-
satz zu seiner inneren) bedingte ja auf alle Fälle eine der jüdischen
1) Die engültige formelle Vollendung erfolgte einige Jahre später, erstens
durch die Einführung der obligatorischen Adoration der Hostie im Jahre 1264,
zweitens durch die allgemeine Einführung des Fronleichnamsfestes im Jahre 1311,
zur Feier der wunderbaren Verwandlung der Hostie in den Leib Gottes.
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