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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Religion.
überzeugung. Und zwar wurde es eingeleitet durch zwei Massnahmen,
deren Zusammengehörigkeit im ersten Augenblick nicht einleuchtet,
jedoch aus obiger Darstellung klar erhellt: das Übersetzen der
Bibel
in die Volkssprachen ward verboten (auch das Lesen in der
lateinischen Vulgata seitens gebildeter Laien); das Dogma der Trans-
substantiation
wurde erlassen.1)

Hiermit war das Gebäude vollendet, und zwar durchaus logisch.
Freilich hatten die Apostolischen Konstitutionen gerade dem Laien ein-
geschärft, "wenn er zu Hause sitze, solle er fleissig das Evangelium
durchforschen",2) und in der Eucharistie solle er eine "Darbringung von
Gaben zu Ehren Christi" erblicken; doch wer wusste damals noch etwas

1) Innocenz verbot schon im Jahre 1198 das Lesen der Bibel, die Synode
von Toulouse im Jahre 1229 und andere Konzilien schärften das Verbot immer von
Neuem ein. Die Synode von Toulouse verbot auf das Strengste, dass Laien auch
nur irgend ein Bruchstück des Alten oder des Neuen Testamentes läsen, mit
alleiniger Ausnahme der Psalmen (c. XIV.). Wenn also kurz vor Luther's Zeiten
die Bibel in Deutschland sehr verbreitet war, so heisst es doch Sand in die
Augen streuen, wenn man, wie Janssen und andere katholische Schriftsteller, diese
Thatsache als einen Beweis des freiheitlichen Sinnes des römischen Stuhles hin-
stellt. Die Erfindung des Druckes hatte eben schneller gewirkt, als die immer
langsame Kurie gegenwirken konnte, ausserdem zog es den Deutschen allezeit in-
stinktiv zum Evangelium, und wenn ihm etwas sehr am Herzen lag, pflegte er
Verbote nicht mehr als nötig zu achten. Übrigens brachte das Tridentiner Konzil
bald Ordnung in diese Angelegenheit und im Jahre 1622 verbot der Papst über-
haupt und ohne Ausnahme alles Lesen in der Bibel ausser in der lateinischen
Vulgata. Erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wurden päpstlich
approbierte, vorsichtig redigierte Übersetzungen, und zwar nur insofern sie mit
ebenfalls approbierten Anmerkungen versehen sind, gestattet, -- eine Zwangsmass-
regel gegen die Verbreitung der heiligen Schrift in den wortgetreuen Ausgaben
der Bibelgesellschaften. -- Wie es dagegen im 13. Jahrhundert mit den Bibelstudien
des römischen Klerus aussah, findet eine humorvolle Illustration in der Thatsache,
dass auf der Synode zu Nympha, im Jahre 1234, bei welcher römische und griechische
Katholiken behufs Anbahnung einer Wiedervereinigung zusammentrafen, weder bei
den einen noch bei den anderen, noch in den Kirchen und Klöstern der Stadt
und Umgebung ein Exemplar der Bibel aufzutreiben war, so dass die Nachfolger
der Apostel über den Wortlaut eines fraglichen Citats zur Tagesordnung übergehen
und sich wieder einmal, statt auf die heilige Schrift, auf Kirchenväter und Konzilien
stützen mussten (siehe Hefele: a. a. O., V, 1048). Genau in demselben Augenblick
berichtet der zur Verfolgung der Waldenser entsandte Dominikaner Rainer, alle
diese Häretiker seien in der heiligen Schrift vortrefflich bewandert und er habe
ungebildete Bauern gesehen, welche das ganze Neue Testament auswendig her-
sagen konnten (citiert bei Neander: a. a. O., VIII, 414).
2) Erstes Buch Von den Laien, Abschnitt 5.
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überzeugung. Und zwar wurde es eingeleitet durch zwei Massnahmen,
deren Zusammengehörigkeit im ersten Augenblick nicht einleuchtet,
jedoch aus obiger Darstellung klar erhellt: das Übersetzen der
Bibel
in die Volkssprachen ward verboten (auch das Lesen in der
lateinischen Vulgata seitens gebildeter Laien); das Dogma der Trans-
substantiation
wurde erlassen.1)

Hiermit war das Gebäude vollendet, und zwar durchaus logisch.
Freilich hatten die Apostolischen Konstitutionen gerade dem Laien ein-
geschärft, »wenn er zu Hause sitze, solle er fleissig das Evangelium
durchforschen«,2) und in der Eucharistie solle er eine »Darbringung von
Gaben zu Ehren Christi« erblicken; doch wer wusste damals noch etwas

1) Innocenz verbot schon im Jahre 1198 das Lesen der Bibel, die Synode
von Toulouse im Jahre 1229 und andere Konzilien schärften das Verbot immer von
Neuem ein. Die Synode von Toulouse verbot auf das Strengste, dass Laien auch
nur irgend ein Bruchstück des Alten oder des Neuen Testamentes läsen, mit
alleiniger Ausnahme der Psalmen (c. XIV.). Wenn also kurz vor Luther’s Zeiten
die Bibel in Deutschland sehr verbreitet war, so heisst es doch Sand in die
Augen streuen, wenn man, wie Janssen und andere katholische Schriftsteller, diese
Thatsache als einen Beweis des freiheitlichen Sinnes des römischen Stuhles hin-
stellt. Die Erfindung des Druckes hatte eben schneller gewirkt, als die immer
langsame Kurie gegenwirken konnte, ausserdem zog es den Deutschen allezeit in-
stinktiv zum Evangelium, und wenn ihm etwas sehr am Herzen lag, pflegte er
Verbote nicht mehr als nötig zu achten. Übrigens brachte das Tridentiner Konzil
bald Ordnung in diese Angelegenheit und im Jahre 1622 verbot der Papst über-
haupt und ohne Ausnahme alles Lesen in der Bibel ausser in der lateinischen
Vulgata. Erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wurden päpstlich
approbierte, vorsichtig redigierte Übersetzungen, und zwar nur insofern sie mit
ebenfalls approbierten Anmerkungen versehen sind, gestattet, — eine Zwangsmass-
regel gegen die Verbreitung der heiligen Schrift in den wortgetreuen Ausgaben
der Bibelgesellschaften. — Wie es dagegen im 13. Jahrhundert mit den Bibelstudien
des römischen Klerus aussah, findet eine humorvolle Illustration in der Thatsache,
dass auf der Synode zu Nympha, im Jahre 1234, bei welcher römische und griechische
Katholiken behufs Anbahnung einer Wiedervereinigung zusammentrafen, weder bei
den einen noch bei den anderen, noch in den Kirchen und Klöstern der Stadt
und Umgebung ein Exemplar der Bibel aufzutreiben war, so dass die Nachfolger
der Apostel über den Wortlaut eines fraglichen Citats zur Tagesordnung übergehen
und sich wieder einmal, statt auf die heilige Schrift, auf Kirchenväter und Konzilien
stützen mussten (siehe Hefele: a. a. O., V, 1048). Genau in demselben Augenblick
berichtet der zur Verfolgung der Waldenser entsandte Dominikaner Rainer, alle
diese Häretiker seien in der heiligen Schrift vortrefflich bewandert und er habe
ungebildete Bauern gesehen, welche das ganze Neue Testament auswendig her-
sagen konnten (citiert bei Neander: a. a. O., VIII, 414).
2) Erstes Buch Von den Laien, Abschnitt 5.
41*
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[643/0122] Religion. überzeugung. Und zwar wurde es eingeleitet durch zwei Massnahmen, deren Zusammengehörigkeit im ersten Augenblick nicht einleuchtet, jedoch aus obiger Darstellung klar erhellt: das Übersetzen der Bibel in die Volkssprachen ward verboten (auch das Lesen in der lateinischen Vulgata seitens gebildeter Laien); das Dogma der Trans- substantiation wurde erlassen. 1) Hiermit war das Gebäude vollendet, und zwar durchaus logisch. Freilich hatten die Apostolischen Konstitutionen gerade dem Laien ein- geschärft, »wenn er zu Hause sitze, solle er fleissig das Evangelium durchforschen«, 2) und in der Eucharistie solle er eine »Darbringung von Gaben zu Ehren Christi« erblicken; doch wer wusste damals noch etwas 1) Innocenz verbot schon im Jahre 1198 das Lesen der Bibel, die Synode von Toulouse im Jahre 1229 und andere Konzilien schärften das Verbot immer von Neuem ein. Die Synode von Toulouse verbot auf das Strengste, dass Laien auch nur irgend ein Bruchstück des Alten oder des Neuen Testamentes läsen, mit alleiniger Ausnahme der Psalmen (c. XIV.). Wenn also kurz vor Luther’s Zeiten die Bibel in Deutschland sehr verbreitet war, so heisst es doch Sand in die Augen streuen, wenn man, wie Janssen und andere katholische Schriftsteller, diese Thatsache als einen Beweis des freiheitlichen Sinnes des römischen Stuhles hin- stellt. Die Erfindung des Druckes hatte eben schneller gewirkt, als die immer langsame Kurie gegenwirken konnte, ausserdem zog es den Deutschen allezeit in- stinktiv zum Evangelium, und wenn ihm etwas sehr am Herzen lag, pflegte er Verbote nicht mehr als nötig zu achten. Übrigens brachte das Tridentiner Konzil bald Ordnung in diese Angelegenheit und im Jahre 1622 verbot der Papst über- haupt und ohne Ausnahme alles Lesen in der Bibel ausser in der lateinischen Vulgata. Erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wurden päpstlich approbierte, vorsichtig redigierte Übersetzungen, und zwar nur insofern sie mit ebenfalls approbierten Anmerkungen versehen sind, gestattet, — eine Zwangsmass- regel gegen die Verbreitung der heiligen Schrift in den wortgetreuen Ausgaben der Bibelgesellschaften. — Wie es dagegen im 13. Jahrhundert mit den Bibelstudien des römischen Klerus aussah, findet eine humorvolle Illustration in der Thatsache, dass auf der Synode zu Nympha, im Jahre 1234, bei welcher römische und griechische Katholiken behufs Anbahnung einer Wiedervereinigung zusammentrafen, weder bei den einen noch bei den anderen, noch in den Kirchen und Klöstern der Stadt und Umgebung ein Exemplar der Bibel aufzutreiben war, so dass die Nachfolger der Apostel über den Wortlaut eines fraglichen Citats zur Tagesordnung übergehen und sich wieder einmal, statt auf die heilige Schrift, auf Kirchenväter und Konzilien stützen mussten (siehe Hefele: a. a. O., V, 1048). Genau in demselben Augenblick berichtet der zur Verfolgung der Waldenser entsandte Dominikaner Rainer, alle diese Häretiker seien in der heiligen Schrift vortrefflich bewandert und er habe ungebildete Bauern gesehen, welche das ganze Neue Testament auswendig her- sagen konnten (citiert bei Neander: a. a. O., VIII, 414). 2) Erstes Buch Von den Laien, Abschnitt 5. 41*

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 643. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/122>, abgerufen am 21.11.2024.