Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.Der Kampf. einander bindet, wie tief auch Denkweise und Rassenanlage uns von-einander scheiden mögen. Ich habe, zu meinem Glück, mehrere gute und treue Freunde unter der katholischen Geistlichkeit gezählt und bis zum heutigen Tage keinen verloren. Und ich erinnere mich, wie ein sehr begabter Dominikaner, der gerne mit mir diskutierte und dem ich manche Belehrung über theologische Dinge verdanke, ein- mal voller Verzweiflung ausrief: "Aber Sie sind ja ein schrecklicher Mensch! nicht einmal der heilige Thomas von Aquin könnte mit Ihnen fertig werden!" Und dennoch entzog mir der hochwürdige Herr sein Wohlwollen nicht, ebenso wenig wie ich ihm meine Ver- ehrung. Was uns einte, war eben doch grösser und mächtiger als das Viele, was uns trennte; es war die Gestalt Jesu Christi. Mochte ein Jeder von uns den Andern dermassen im verderblichen Irrtum befangen glauben, dass er, in die Arena der Welt versetzt, keinen Augenblick gezögert hätte, ihn rücksichtslos anzugreifen, in der Stille des Klosters, wo ich den Pater zu besuchen pflegte, fühlten wir uns immer wieder zu jenem Zustande hingezogen, den Augustinus (siehe S. 596) so herrlich schildert, wo Alles -- selbst die Stimme der Engel -- schweigt und nur der Eine redet; da wussten wir uns vereint und mit gleicher Überzeugung bekannten wir Beide: "Himmel und Erde werden vergehen, doch Seine Worte werden nicht vergehen." Der Kampf. einander bindet, wie tief auch Denkweise und Rassenanlage uns von-einander scheiden mögen. Ich habe, zu meinem Glück, mehrere gute und treue Freunde unter der katholischen Geistlichkeit gezählt und bis zum heutigen Tage keinen verloren. Und ich erinnere mich, wie ein sehr begabter Dominikaner, der gerne mit mir diskutierte und dem ich manche Belehrung über theologische Dinge verdanke, ein- mal voller Verzweiflung ausrief: »Aber Sie sind ja ein schrecklicher Mensch! nicht einmal der heilige Thomas von Aquin könnte mit Ihnen fertig werden!« Und dennoch entzog mir der hochwürdige Herr sein Wohlwollen nicht, ebenso wenig wie ich ihm meine Ver- ehrung. Was uns einte, war eben doch grösser und mächtiger als das Viele, was uns trennte; es war die Gestalt Jesu Christi. Mochte ein Jeder von uns den Andern dermassen im verderblichen Irrtum befangen glauben, dass er, in die Arena der Welt versetzt, keinen Augenblick gezögert hätte, ihn rücksichtslos anzugreifen, in der Stille des Klosters, wo ich den Pater zu besuchen pflegte, fühlten wir uns immer wieder zu jenem Zustande hingezogen, den Augustinus (siehe S. 596) so herrlich schildert, wo Alles — selbst die Stimme der Engel — schweigt und nur der Eine redet; da wussten wir uns vereint und mit gleicher Überzeugung bekannten wir Beide: »Himmel und Erde werden vergehen, doch Seine Worte werden nicht vergehen.« <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0127" n="648"/><fw place="top" type="header">Der Kampf.</fw><lb/> einander bindet, wie tief auch Denkweise und Rassenanlage uns von-<lb/> einander scheiden mögen. Ich habe, zu meinem Glück, mehrere gute<lb/> und treue Freunde unter der katholischen Geistlichkeit gezählt und<lb/> bis zum heutigen Tage keinen verloren. Und ich erinnere mich,<lb/> wie ein sehr begabter Dominikaner, der gerne mit mir diskutierte<lb/> und dem ich manche Belehrung über theologische Dinge verdanke, ein-<lb/> mal voller Verzweiflung ausrief: »Aber Sie sind ja ein schrecklicher<lb/> Mensch! nicht einmal der heilige Thomas von Aquin könnte mit<lb/> Ihnen fertig werden!« Und dennoch entzog mir der hochwürdige<lb/> Herr sein Wohlwollen nicht, ebenso wenig wie ich ihm meine Ver-<lb/> ehrung. Was uns einte, war eben doch grösser und mächtiger als<lb/> das Viele, was uns trennte; es war die Gestalt Jesu Christi. Mochte<lb/> ein Jeder von uns den Andern dermassen im verderblichen Irrtum<lb/> befangen glauben, dass er, in die Arena der Welt versetzt, keinen<lb/> Augenblick gezögert hätte, ihn rücksichtslos anzugreifen, in der Stille<lb/> des Klosters, wo ich den Pater zu besuchen pflegte, fühlten wir<lb/> uns immer wieder zu jenem Zustande hingezogen, den Augustinus<lb/> (siehe S. 596) so herrlich schildert, wo Alles — selbst die Stimme<lb/> der Engel — schweigt und nur der Eine redet; da wussten wir uns<lb/> vereint und mit gleicher Überzeugung bekannten wir Beide: »Himmel<lb/> und Erde werden vergehen, doch Seine Worte werden nicht vergehen.«</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </body> </text> </TEI> [648/0127]
Der Kampf.
einander bindet, wie tief auch Denkweise und Rassenanlage uns von-
einander scheiden mögen. Ich habe, zu meinem Glück, mehrere gute
und treue Freunde unter der katholischen Geistlichkeit gezählt und
bis zum heutigen Tage keinen verloren. Und ich erinnere mich,
wie ein sehr begabter Dominikaner, der gerne mit mir diskutierte
und dem ich manche Belehrung über theologische Dinge verdanke, ein-
mal voller Verzweiflung ausrief: »Aber Sie sind ja ein schrecklicher
Mensch! nicht einmal der heilige Thomas von Aquin könnte mit
Ihnen fertig werden!« Und dennoch entzog mir der hochwürdige
Herr sein Wohlwollen nicht, ebenso wenig wie ich ihm meine Ver-
ehrung. Was uns einte, war eben doch grösser und mächtiger als
das Viele, was uns trennte; es war die Gestalt Jesu Christi. Mochte
ein Jeder von uns den Andern dermassen im verderblichen Irrtum
befangen glauben, dass er, in die Arena der Welt versetzt, keinen
Augenblick gezögert hätte, ihn rücksichtslos anzugreifen, in der Stille
des Klosters, wo ich den Pater zu besuchen pflegte, fühlten wir
uns immer wieder zu jenem Zustande hingezogen, den Augustinus
(siehe S. 596) so herrlich schildert, wo Alles — selbst die Stimme
der Engel — schweigt und nur der Eine redet; da wussten wir uns
vereint und mit gleicher Überzeugung bekannten wir Beide: »Himmel
und Erde werden vergehen, doch Seine Worte werden nicht vergehen.«
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