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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampf.
Doch, man merke es wohl, die "römische" pflegte man zu sagen, nicht
die Welt kurzweg. Denn wenn auch der bezahlte Hofdichter, auf
der Jagd nach weithin schallenden Hexametern, die oft citierten
Worte schrieb

Tu regere imperio populos, Romane, memento!

so ist doch die selbst von manchen ernsten Historikern gedankenlos
gemachte Voraussetzung, hiermit sei das römische Programm aus-
gesprochen, durchaus hinfällig. Wie ich in meinem zweiten Kapitel
gezeigt habe: das politische Prinzip des alten Rom's war nicht Ex-
pansion, sondern Konzentration. Darüber sollten die hohlen Phrasen
eines Virgil Niemanden täuschen. Durch die geschichtlichen Ereignisse
ist Rom gezwungen worden, sich um seinen festen Mittelpunkt herum
auszubreiten, doch auch in den Tagen seiner ausgedehntesten Gewalt,
von Trajan bis Diocletian, wird jedem aufmerksamen Beobachter nichts
mehr auffallen als die strenge Selbstbeherrschung und Selbstbeschränkung.
Das ist das Geheimnis römischer Kraft; dadurch bewährt sich Rom als
die wahrhaft politische Nation unter allen. Doch, so weit diese
Nation reicht, vernichtet sie Eigenart, schafft sie einen orbis romanus;
ihre Wirkung nach aussen ist eine nivellierende. Und als es keine
römische Nation mehr gab, nicht einmal mehr in Rom einen Caesar,
da blieb nur das Prinzip des Nivellierens, der Vernichtung jeder Eigen-
art als "römisch" übrig. Hierauf pflanzte nun die Kirche den echten
Universalgedanken, den das rein politische Rom nie gekannt hatte.
Kaiser waren es gewesen, in erster Reihe Theodosius, welche den
Begriff der römischen Kirche geschaffen hatten, wobei ihnen zunächst
gewiss nur der orbis romanus und dessen bessere Disziplin vorgeschwebt
hat; doch war hierdurch an Stelle eines politischen Prinzips ein religiöses
getreten, und während das erstere von Natur begrenzt war, war das
letztere von Natur grenzenlos. Die Bekehrung zum Christentum ward
jetzt eine moralische Verpflichtung, da von ihr das ewige Heil der
Menschen abhing; Grenzen konnte es für eine derartige Überzeugung
nicht geben.1) Andererseits war es staatliche Verpflichtung, der römi-
schen
Kirche mit Ausschluss jeder anderen Gestaltung der christlichen

1) Siehe z. B. den wundervollen Brief Alcuin's an Karl den Grossen (in
Waitz: Deutsche Verfassungsgeschichte, II, 182), worin der Abt den Kaiser mahnt,
er solle das Imperium über die ganze Welt ausdehnen, nicht aus politischem Ehr-
geiz, sondern weil er hierdurch die Grenzen des katholischen Glaubens immer
weiter rücke.

Der Kampf.
Doch, man merke es wohl, die »römische« pflegte man zu sagen, nicht
die Welt kurzweg. Denn wenn auch der bezahlte Hofdichter, auf
der Jagd nach weithin schallenden Hexametern, die oft citierten
Worte schrieb

Tu regere imperio populos, Romane, memento!

so ist doch die selbst von manchen ernsten Historikern gedankenlos
gemachte Voraussetzung, hiermit sei das römische Programm aus-
gesprochen, durchaus hinfällig. Wie ich in meinem zweiten Kapitel
gezeigt habe: das politische Prinzip des alten Rom’s war nicht Ex-
pansion, sondern Konzentration. Darüber sollten die hohlen Phrasen
eines Virgil Niemanden täuschen. Durch die geschichtlichen Ereignisse
ist Rom gezwungen worden, sich um seinen festen Mittelpunkt herum
auszubreiten, doch auch in den Tagen seiner ausgedehntesten Gewalt,
von Trajan bis Diocletian, wird jedem aufmerksamen Beobachter nichts
mehr auffallen als die strenge Selbstbeherrschung und Selbstbeschränkung.
Das ist das Geheimnis römischer Kraft; dadurch bewährt sich Rom als
die wahrhaft politische Nation unter allen. Doch, so weit diese
Nation reicht, vernichtet sie Eigenart, schafft sie einen orbis romanus;
ihre Wirkung nach aussen ist eine nivellierende. Und als es keine
römische Nation mehr gab, nicht einmal mehr in Rom einen Caesar,
da blieb nur das Prinzip des Nivellierens, der Vernichtung jeder Eigen-
art als »römisch« übrig. Hierauf pflanzte nun die Kirche den echten
Universalgedanken, den das rein politische Rom nie gekannt hatte.
Kaiser waren es gewesen, in erster Reihe Theodosius, welche den
Begriff der römischen Kirche geschaffen hatten, wobei ihnen zunächst
gewiss nur der orbis romanus und dessen bessere Disziplin vorgeschwebt
hat; doch war hierdurch an Stelle eines politischen Prinzips ein religiöses
getreten, und während das erstere von Natur begrenzt war, war das
letztere von Natur grenzenlos. Die Bekehrung zum Christentum ward
jetzt eine moralische Verpflichtung, da von ihr das ewige Heil der
Menschen abhing; Grenzen konnte es für eine derartige Überzeugung
nicht geben.1) Andererseits war es staatliche Verpflichtung, der römi-
schen
Kirche mit Ausschluss jeder anderen Gestaltung der christlichen

1) Siehe z. B. den wundervollen Brief Alcuin’s an Karl den Grossen (in
Waitz: Deutsche Verfassungsgeschichte, II, 182), worin der Abt den Kaiser mahnt,
er solle das Imperium über die ganze Welt ausdehnen, nicht aus politischem Ehr-
geiz, sondern weil er hierdurch die Grenzen des katholischen Glaubens immer
weiter rücke.
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[652/0131] Der Kampf. Doch, man merke es wohl, die »römische« pflegte man zu sagen, nicht die Welt kurzweg. Denn wenn auch der bezahlte Hofdichter, auf der Jagd nach weithin schallenden Hexametern, die oft citierten Worte schrieb Tu regere imperio populos, Romane, memento! so ist doch die selbst von manchen ernsten Historikern gedankenlos gemachte Voraussetzung, hiermit sei das römische Programm aus- gesprochen, durchaus hinfällig. Wie ich in meinem zweiten Kapitel gezeigt habe: das politische Prinzip des alten Rom’s war nicht Ex- pansion, sondern Konzentration. Darüber sollten die hohlen Phrasen eines Virgil Niemanden täuschen. Durch die geschichtlichen Ereignisse ist Rom gezwungen worden, sich um seinen festen Mittelpunkt herum auszubreiten, doch auch in den Tagen seiner ausgedehntesten Gewalt, von Trajan bis Diocletian, wird jedem aufmerksamen Beobachter nichts mehr auffallen als die strenge Selbstbeherrschung und Selbstbeschränkung. Das ist das Geheimnis römischer Kraft; dadurch bewährt sich Rom als die wahrhaft politische Nation unter allen. Doch, so weit diese Nation reicht, vernichtet sie Eigenart, schafft sie einen orbis romanus; ihre Wirkung nach aussen ist eine nivellierende. Und als es keine römische Nation mehr gab, nicht einmal mehr in Rom einen Caesar, da blieb nur das Prinzip des Nivellierens, der Vernichtung jeder Eigen- art als »römisch« übrig. Hierauf pflanzte nun die Kirche den echten Universalgedanken, den das rein politische Rom nie gekannt hatte. Kaiser waren es gewesen, in erster Reihe Theodosius, welche den Begriff der römischen Kirche geschaffen hatten, wobei ihnen zunächst gewiss nur der orbis romanus und dessen bessere Disziplin vorgeschwebt hat; doch war hierdurch an Stelle eines politischen Prinzips ein religiöses getreten, und während das erstere von Natur begrenzt war, war das letztere von Natur grenzenlos. Die Bekehrung zum Christentum ward jetzt eine moralische Verpflichtung, da von ihr das ewige Heil der Menschen abhing; Grenzen konnte es für eine derartige Überzeugung nicht geben. 1) Andererseits war es staatliche Verpflichtung, der römi- schen Kirche mit Ausschluss jeder anderen Gestaltung der christlichen 1) Siehe z. B. den wundervollen Brief Alcuin’s an Karl den Grossen (in Waitz: Deutsche Verfassungsgeschichte, II, 182), worin der Abt den Kaiser mahnt, er solle das Imperium über die ganze Welt ausdehnen, nicht aus politischem Ehr- geiz, sondern weil er hierdurch die Grenzen des katholischen Glaubens immer weiter rücke.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 652. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/131>, abgerufen am 24.11.2024.