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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Die Entstehung einer neuen Welt.
gleich zu Anfang dieses Kapitels an dem Beispiele Italiens sahen --
vorwiegend als Hemmniss, als Zerstörung, als Ablenkung aus der
diesem besonderen Menschentypus notwendigen Bahn. Dort dagegen,
wo die Germanen durch Zahl oder reineres Blut vorwogen, wurde
alles Fremde in dieselbe Richtung mit fortgerissen und selbst der Nicht-
Germane musste Germane werden, um etwas zu sein und zu gelten.

Natürlich darf man das Wort Germane nicht in dem üblichen
engen Sinne nehmen; diese Fraktionierung widerspricht den That-
sachen und macht die Geschichte so unklar, als schaute man sie durch
ein gesprungenes Augenglas an; hat man dagegen die offenbare ur-
sprüngliche Identität der aus Nordeuropa herausgetretenen Völker
erkannt, zugleich den Grund ihrer verschiedenartigen Individualität in
der noch heute sich bewährenden, unvergleichlichen Plasticität, in der
Anlage des Germanentums zur fortgesetzten Individualisierung erblicken
gelernt, dann begreift man sofort, dass, was wir heute die europäische
Kultur nennen, in Wahrheit nicht eine europäische, sondern eine spezifisch
germanische ist. Im heutigen Rom fanden wir uns nur halb in dem
Element dieser Kultur; der ganze Süden von Europa, in welchem das
Völkerchaos leider nie ausgerottet wurde und wo es heute, in Folge
der Naturgesetze, die wir in Kapitel 4. ausführlich studiert haben, schnell
wieder zunimmt, schwimmt nur gezwungen mit: er kann der Gewalt
unserer Civilisation nicht widerstehen, innerlich aber gehört er kaum
mehr ihr an. Fahren wir nach Osten, so überschreiten wir die Grenze
etwa 24 Stunden von Wien mit der Eisenbahn; von dort aus quer durch
bis zum Stillen Ozean ist nicht ein Zoll von unserer Kultur berührt.
Nördlich von der gedachten Linie zeugen lediglich Schienen, Tele-
graphenstangen und Kosakenpatrouillen davon, dass ein reingermanischer
Monarch an der Spitze eines Volkes, dessen thätige, schöpferische
Elemente mindestens Halbgermanen sind, die Hand organisierend über
dieses immense Gebiet auszustrecken begonnen hat; doch auch diese
Hand reicht nur bis zu der der unseren absolut antagonistischen
Civilisation und Kultur der Chinesen, Japanesen, Tonkinesen, u. s. w.
Elisee Reclus, der berühmte Geograph, versicherte mir, als er soeben
das Studium der gesamten Litteratur über China für seine Geographie
Universelle
beendet hatte, kein einziger Europäer -- auch diejenigen
nicht, die wie Richthofen und Harte, viele Jahre dort gelebt, auch
kein Missionär, der sein ganzes Leben im Innersten des Landes zu-
gebracht -- könne von sich melden: J'ai connu un Chinois. Die
Persönlichkeit des Chinesen ist eben für uns undurchdringlich, wie

Die Entstehung einer neuen Welt.
gleich zu Anfang dieses Kapitels an dem Beispiele Italiens sahen —
vorwiegend als Hemmniss, als Zerstörung, als Ablenkung aus der
diesem besonderen Menschentypus notwendigen Bahn. Dort dagegen,
wo die Germanen durch Zahl oder reineres Blut vorwogen, wurde
alles Fremde in dieselbe Richtung mit fortgerissen und selbst der Nicht-
Germane musste Germane werden, um etwas zu sein und zu gelten.

Natürlich darf man das Wort Germane nicht in dem üblichen
engen Sinne nehmen; diese Fraktionierung widerspricht den That-
sachen und macht die Geschichte so unklar, als schaute man sie durch
ein gesprungenes Augenglas an; hat man dagegen die offenbare ur-
sprüngliche Identität der aus Nordeuropa herausgetretenen Völker
erkannt, zugleich den Grund ihrer verschiedenartigen Individualität in
der noch heute sich bewährenden, unvergleichlichen Plasticität, in der
Anlage des Germanentums zur fortgesetzten Individualisierung erblicken
gelernt, dann begreift man sofort, dass, was wir heute die europäische
Kultur nennen, in Wahrheit nicht eine europäische, sondern eine spezifisch
germanische ist. Im heutigen Rom fanden wir uns nur halb in dem
Element dieser Kultur; der ganze Süden von Europa, in welchem das
Völkerchaos leider nie ausgerottet wurde und wo es heute, in Folge
der Naturgesetze, die wir in Kapitel 4. ausführlich studiert haben, schnell
wieder zunimmt, schwimmt nur gezwungen mit: er kann der Gewalt
unserer Civilisation nicht widerstehen, innerlich aber gehört er kaum
mehr ihr an. Fahren wir nach Osten, so überschreiten wir die Grenze
etwa 24 Stunden von Wien mit der Eisenbahn; von dort aus quer durch
bis zum Stillen Ozean ist nicht ein Zoll von unserer Kultur berührt.
Nördlich von der gedachten Linie zeugen lediglich Schienen, Tele-
graphenstangen und Kosakenpatrouillen davon, dass ein reingermanischer
Monarch an der Spitze eines Volkes, dessen thätige, schöpferische
Elemente mindestens Halbgermanen sind, die Hand organisierend über
dieses immense Gebiet auszustrecken begonnen hat; doch auch diese
Hand reicht nur bis zu der der unseren absolut antagonistischen
Civilisation und Kultur der Chinesen, Japanesen, Tonkinesen, u. s. w.
Elisée Reclus, der berühmte Geograph, versicherte mir, als er soeben
das Studium der gesamten Litteratur über China für seine Géographie
Universelle
beendet hatte, kein einziger Europäer — auch diejenigen
nicht, die wie Richthofen und Harte, viele Jahre dort gelebt, auch
kein Missionär, der sein ganzes Leben im Innersten des Landes zu-
gebracht — könne von sich melden: J’ai connu un Chinois. Die
Persönlichkeit des Chinesen ist eben für uns undurchdringlich, wie

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[710/0189] Die Entstehung einer neuen Welt. gleich zu Anfang dieses Kapitels an dem Beispiele Italiens sahen — vorwiegend als Hemmniss, als Zerstörung, als Ablenkung aus der diesem besonderen Menschentypus notwendigen Bahn. Dort dagegen, wo die Germanen durch Zahl oder reineres Blut vorwogen, wurde alles Fremde in dieselbe Richtung mit fortgerissen und selbst der Nicht- Germane musste Germane werden, um etwas zu sein und zu gelten. Natürlich darf man das Wort Germane nicht in dem üblichen engen Sinne nehmen; diese Fraktionierung widerspricht den That- sachen und macht die Geschichte so unklar, als schaute man sie durch ein gesprungenes Augenglas an; hat man dagegen die offenbare ur- sprüngliche Identität der aus Nordeuropa herausgetretenen Völker erkannt, zugleich den Grund ihrer verschiedenartigen Individualität in der noch heute sich bewährenden, unvergleichlichen Plasticität, in der Anlage des Germanentums zur fortgesetzten Individualisierung erblicken gelernt, dann begreift man sofort, dass, was wir heute die europäische Kultur nennen, in Wahrheit nicht eine europäische, sondern eine spezifisch germanische ist. Im heutigen Rom fanden wir uns nur halb in dem Element dieser Kultur; der ganze Süden von Europa, in welchem das Völkerchaos leider nie ausgerottet wurde und wo es heute, in Folge der Naturgesetze, die wir in Kapitel 4. ausführlich studiert haben, schnell wieder zunimmt, schwimmt nur gezwungen mit: er kann der Gewalt unserer Civilisation nicht widerstehen, innerlich aber gehört er kaum mehr ihr an. Fahren wir nach Osten, so überschreiten wir die Grenze etwa 24 Stunden von Wien mit der Eisenbahn; von dort aus quer durch bis zum Stillen Ozean ist nicht ein Zoll von unserer Kultur berührt. Nördlich von der gedachten Linie zeugen lediglich Schienen, Tele- graphenstangen und Kosakenpatrouillen davon, dass ein reingermanischer Monarch an der Spitze eines Volkes, dessen thätige, schöpferische Elemente mindestens Halbgermanen sind, die Hand organisierend über dieses immense Gebiet auszustrecken begonnen hat; doch auch diese Hand reicht nur bis zu der der unseren absolut antagonistischen Civilisation und Kultur der Chinesen, Japanesen, Tonkinesen, u. s. w. Elisée Reclus, der berühmte Geograph, versicherte mir, als er soeben das Studium der gesamten Litteratur über China für seine Géographie Universelle beendet hatte, kein einziger Europäer — auch diejenigen nicht, die wie Richthofen und Harte, viele Jahre dort gelebt, auch kein Missionär, der sein ganzes Leben im Innersten des Landes zu- gebracht — könne von sich melden: J’ai connu un Chinois. Die Persönlichkeit des Chinesen ist eben für uns undurchdringlich, wie

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 710. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/189>, abgerufen am 21.11.2024.