nur ein äusserst reges wirtschaftliches Leben vermag es, so viel Wissen zu verzehren, zu verdauen und zu verwerten. Nicht das Wissen hat die Lebenskraft erzeugt, sondern die grosse überschüssige Lebenskraft hat nach immer weiterem Wissen, genau so wie nach immer weiterem Besitz auf allen anderen Gebieten unablässig gestrebt. Dies ist die wahre innere Quelle jenes Siegeslaufes der Wissbegier, der vom 13. Jahr- hundert ab nie wieder erschlafft. Wer diese Einsicht besitzt, wird auch der Geschichte der Entdeckungen nicht wie ein Kind, sondern mit Verständnis folgen.
Eine Bestätigung des Zusammenhanges der verschiedenen Seiten derDie treibenden Kräfte. Individualität drängt sich uns bei diesem so charakteristisch individualisti- schen Phänomen gleich auf. Ich habe soeben gesagt, unser Streben nach "Besitz" sei die Quelle unseres Wissensschatzes: es war nicht meine Ab- sicht, diesem Worte eine irgendwie tadelnde Bedeutung beizulegen; Besitz ist Macht, Macht ist Freiheit. Ausserdem bedeutet ein jedes derartige Streben nicht allein die Sucht, unsere Macht durch Hinzu- ziehung des ausser uns selbst Liegenden zu steigern, sondern es be- deutet zugleich die Sehnsucht der Selbstentäusserung. Hier, wie bei der Liebe, gehen die Gegensätze Hand in Hand: man nimmt, um zu nehmen, man nimmt aber auch, um geben zu können. Und genau so wie wir beim Germanen den Staatenbildner mit dem Künstler ver- wandt fanden,1) ebenso ist ein gewisses hochgeartetes Streben nach Besitz innig verschwistert mit der Fähigkeit, aus dem Besessenen Neues zu schaffen und es der ganzen Welt zur Bereicherung zu schenken. Trotz alledem soll man bei der Geschichte unserer Entdeckungen das Eine nicht übersehen: welche grosse Rolle die Sucht nach Gold -- ganz unmittelbar und ungeschminkt -- gespielt hat. An dem einen Ende des Entdeckungswerkes steht nämlich, als die einfache, breite Grundlage alles Übrigen, die Erforschung der Erde, die "Ent-deckung" des Planeten, der dem Menschen zum Wohnsitz dient: aus ihr erst hat sich mit Sicherheit Gestalt und Wesen dieses Gestirns ergeben, damit zugleich die grundlegenden Einsichten bezüglich der Stellung des Menschen im Kosmos, aus ihr erst erfuhren wir Ausführliches über die verschiedenen Geschlechter der Menschen, über die Art der Gesteine, über Pflanzen- und Tierwelt; ganz am anderen Ende desselben Werkes steht die Erforschung der inneren Beschaffenheit der sichtbaren Materie, das, was wir heute Chemie und Physik nennen, ein gar geheimnisvolles
1) Siehe S. 503 fg.
Entdeckung.
nur ein äusserst reges wirtschaftliches Leben vermag es, so viel Wissen zu verzehren, zu verdauen und zu verwerten. Nicht das Wissen hat die Lebenskraft erzeugt, sondern die grosse überschüssige Lebenskraft hat nach immer weiterem Wissen, genau so wie nach immer weiterem Besitz auf allen anderen Gebieten unablässig gestrebt. Dies ist die wahre innere Quelle jenes Siegeslaufes der Wissbegier, der vom 13. Jahr- hundert ab nie wieder erschlafft. Wer diese Einsicht besitzt, wird auch der Geschichte der Entdeckungen nicht wie ein Kind, sondern mit Verständnis folgen.
Eine Bestätigung des Zusammenhanges der verschiedenen Seiten derDie treibenden Kräfte. Individualität drängt sich uns bei diesem so charakteristisch individualisti- schen Phänomen gleich auf. Ich habe soeben gesagt, unser Streben nach »Besitz« sei die Quelle unseres Wissensschatzes: es war nicht meine Ab- sicht, diesem Worte eine irgendwie tadelnde Bedeutung beizulegen; Besitz ist Macht, Macht ist Freiheit. Ausserdem bedeutet ein jedes derartige Streben nicht allein die Sucht, unsere Macht durch Hinzu- ziehung des ausser uns selbst Liegenden zu steigern, sondern es be- deutet zugleich die Sehnsucht der Selbstentäusserung. Hier, wie bei der Liebe, gehen die Gegensätze Hand in Hand: man nimmt, um zu nehmen, man nimmt aber auch, um geben zu können. Und genau so wie wir beim Germanen den Staatenbildner mit dem Künstler ver- wandt fanden,1) ebenso ist ein gewisses hochgeartetes Streben nach Besitz innig verschwistert mit der Fähigkeit, aus dem Besessenen Neues zu schaffen und es der ganzen Welt zur Bereicherung zu schenken. Trotz alledem soll man bei der Geschichte unserer Entdeckungen das Eine nicht übersehen: welche grosse Rolle die Sucht nach Gold — ganz unmittelbar und ungeschminkt — gespielt hat. An dem einen Ende des Entdeckungswerkes steht nämlich, als die einfache, breite Grundlage alles Übrigen, die Erforschung der Erde, die »Ent-deckung« des Planeten, der dem Menschen zum Wohnsitz dient: aus ihr erst hat sich mit Sicherheit Gestalt und Wesen dieses Gestirns ergeben, damit zugleich die grundlegenden Einsichten bezüglich der Stellung des Menschen im Kosmos, aus ihr erst erfuhren wir Ausführliches über die verschiedenen Geschlechter der Menschen, über die Art der Gesteine, über Pflanzen- und Tierwelt; ganz am anderen Ende desselben Werkes steht die Erforschung der inneren Beschaffenheit der sichtbaren Materie, das, was wir heute Chemie und Physik nennen, ein gar geheimnisvolles
1) Siehe S. 503 fg.
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Entdeckung.
nur ein äusserst reges wirtschaftliches Leben vermag es, so viel Wissen
zu verzehren, zu verdauen und zu verwerten. Nicht das Wissen hat
die Lebenskraft erzeugt, sondern die grosse überschüssige Lebenskraft
hat nach immer weiterem Wissen, genau so wie nach immer weiterem
Besitz auf allen anderen Gebieten unablässig gestrebt. Dies ist die
wahre innere Quelle jenes Siegeslaufes der Wissbegier, der vom 13. Jahr-
hundert ab nie wieder erschlafft. Wer diese Einsicht besitzt, wird auch
der Geschichte der Entdeckungen nicht wie ein Kind, sondern mit
Verständnis folgen.
Eine Bestätigung des Zusammenhanges der verschiedenen Seiten der
Individualität drängt sich uns bei diesem so charakteristisch individualisti-
schen Phänomen gleich auf. Ich habe soeben gesagt, unser Streben nach
»Besitz« sei die Quelle unseres Wissensschatzes: es war nicht meine Ab-
sicht, diesem Worte eine irgendwie tadelnde Bedeutung beizulegen;
Besitz ist Macht, Macht ist Freiheit. Ausserdem bedeutet ein jedes
derartige Streben nicht allein die Sucht, unsere Macht durch Hinzu-
ziehung des ausser uns selbst Liegenden zu steigern, sondern es be-
deutet zugleich die Sehnsucht der Selbstentäusserung. Hier, wie bei
der Liebe, gehen die Gegensätze Hand in Hand: man nimmt, um zu
nehmen, man nimmt aber auch, um geben zu können. Und genau
so wie wir beim Germanen den Staatenbildner mit dem Künstler ver-
wandt fanden, 1) ebenso ist ein gewisses hochgeartetes Streben nach
Besitz innig verschwistert mit der Fähigkeit, aus dem Besessenen Neues
zu schaffen und es der ganzen Welt zur Bereicherung zu schenken.
Trotz alledem soll man bei der Geschichte unserer Entdeckungen das
Eine nicht übersehen: welche grosse Rolle die Sucht nach Gold —
ganz unmittelbar und ungeschminkt — gespielt hat. An dem einen
Ende des Entdeckungswerkes steht nämlich, als die einfache, breite
Grundlage alles Übrigen, die Erforschung der Erde, die »Ent-deckung«
des Planeten, der dem Menschen zum Wohnsitz dient: aus ihr erst hat
sich mit Sicherheit Gestalt und Wesen dieses Gestirns ergeben, damit
zugleich die grundlegenden Einsichten bezüglich der Stellung des
Menschen im Kosmos, aus ihr erst erfuhren wir Ausführliches über die
verschiedenen Geschlechter der Menschen, über die Art der Gesteine,
über Pflanzen- und Tierwelt; ganz am anderen Ende desselben Werkes
steht die Erforschung der inneren Beschaffenheit der sichtbaren Materie,
das, was wir heute Chemie und Physik nennen, ein gar geheimnisvolles
Die treibenden
Kräfte.
1) Siehe S. 503 fg.
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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 755. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/234>, abgerufen am 21.11.2024.
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