hatte den Portugiesen die gesamte östliche Welt zu eigen geschenkt und jetzt waren sie auf Madagascar und auf Indien gestossen mit seinen fabelhaften Schätzen an Gold, Edelsteinen, Gewürzen u. s. w., während Amerika einstweilen wenig bot; und so kannten die Spanier keine Ruhe bis Magalhanes seine grosse That vollbracht, und auf dem west- lichen Wege ebenfalls bis nach Indien vorgedrungen war.1)
Auf Einzelheiten werde ich nicht eingehen. Nicht als ob esDie Einheit des Entdeckungs- werkes. hier nicht noch vieles auszuführen gäbe, was der Leser weder aus Geschichtswerken noch aus Konversationslexicis wird ergänzen können, doch sobald der ganze lebendige Organismus uns klar vor Augen steht -- die besondere Anlage, die treibenden Kräfte, die hemmende Um- gebung -- ist die an diesem Orte gestellte Aufgabe vollbracht, und das dürfte jetzt der Fall sein. Nicht eine Chronik der Vergangen- heit, sondern eine Beleuchtung der Gegenwart bezwecke ich ja. Und darum möchte ich nur noch auf das Eine mit besonderem Nachdruck die Aufmerksamkeit richten. Es verwirrt nämlich das historische Ver- ständnis völlig, wenn man die geographischen Entdeckungen, wie üblich, von dem übrigen Entdeckungswerk scheidet; ebenso entsteht eine weitere Verwirrung, wenn man diejenigen Entdeckungen, welche speziell das Menschengeschlecht betreffen -- ethnographische, sprach- liche, religionsgeschichtliche u. s. w. -- wieder in ein besonderes Fach einreiht, oder zu Philologie und Historie zählt. Die Einheit der Wissen- schaften wird täglich mehr anerkannt, die Einheit des Entdeckungs- werkes, d. h. also der Herbeischaffung des Wissensstoffes, fordert die- selbe Anerkennung. Gleichviel, was entdeckt wird, gleichviel ob ein kühner Abenteurer, ein erfindungsreicher Industrieller oder ein ge- duldiger Gelehrter es zu Tage fördert, es sind dieselben Anlagen unseres Wesens am Werke, derselbe Drang nach Besitz, dieselbe Leidenschaft- lichkeit, dieselbe Hingabe an die Natur, dieselbe Kunst der Beobachtung; es ist derselbe germanische Mann, von dem Faust sagt:
Im Weiterschreiten find' er Qual und Glück, Er! unbefriedigt jeden Augenblick.
Und jede einzelne Entdeckung, gleichviel auf welchem Gebiete sie stattfindet, fördert jede andere, wie fern auch abliegende. Das ist bei
1) Magalhanes erblickte Land, d. h. er vollendete den Beweis, dass unsere Erde rund sei, am 6. März 1521, am selben Tage, an dem Karl V. die Vorladung Luther's nach Worms unterschrieb.
Entdeckung.
hatte den Portugiesen die gesamte östliche Welt zu eigen geschenkt und jetzt waren sie auf Madagascar und auf Indien gestossen mit seinen fabelhaften Schätzen an Gold, Edelsteinen, Gewürzen u. s. w., während Amerika einstweilen wenig bot; und so kannten die Spanier keine Ruhe bis Magalhães seine grosse That vollbracht, und auf dem west- lichen Wege ebenfalls bis nach Indien vorgedrungen war.1)
Auf Einzelheiten werde ich nicht eingehen. Nicht als ob esDie Einheit des Entdeckungs- werkes. hier nicht noch vieles auszuführen gäbe, was der Leser weder aus Geschichtswerken noch aus Konversationslexicis wird ergänzen können, doch sobald der ganze lebendige Organismus uns klar vor Augen steht — die besondere Anlage, die treibenden Kräfte, die hemmende Um- gebung — ist die an diesem Orte gestellte Aufgabe vollbracht, und das dürfte jetzt der Fall sein. Nicht eine Chronik der Vergangen- heit, sondern eine Beleuchtung der Gegenwart bezwecke ich ja. Und darum möchte ich nur noch auf das Eine mit besonderem Nachdruck die Aufmerksamkeit richten. Es verwirrt nämlich das historische Ver- ständnis völlig, wenn man die geographischen Entdeckungen, wie üblich, von dem übrigen Entdeckungswerk scheidet; ebenso entsteht eine weitere Verwirrung, wenn man diejenigen Entdeckungen, welche speziell das Menschengeschlecht betreffen — ethnographische, sprach- liche, religionsgeschichtliche u. s. w. — wieder in ein besonderes Fach einreiht, oder zu Philologie und Historie zählt. Die Einheit der Wissen- schaften wird täglich mehr anerkannt, die Einheit des Entdeckungs- werkes, d. h. also der Herbeischaffung des Wissensstoffes, fordert die- selbe Anerkennung. Gleichviel, was entdeckt wird, gleichviel ob ein kühner Abenteurer, ein erfindungsreicher Industrieller oder ein ge- duldiger Gelehrter es zu Tage fördert, es sind dieselben Anlagen unseres Wesens am Werke, derselbe Drang nach Besitz, dieselbe Leidenschaft- lichkeit, dieselbe Hingabe an die Natur, dieselbe Kunst der Beobachtung; es ist derselbe germanische Mann, von dem Faust sagt:
Im Weiterschreiten find’ er Qual und Glück, Er! unbefriedigt jeden Augenblick.
Und jede einzelne Entdeckung, gleichviel auf welchem Gebiete sie stattfindet, fördert jede andere, wie fern auch abliegende. Das ist bei
1) Magalhães erblickte Land, d. h. er vollendete den Beweis, dass unsere Erde rund sei, am 6. März 1521, am selben Tage, an dem Karl V. die Vorladung Luther’s nach Worms unterschrieb.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0248"n="769"/><fwplace="top"type="header">Entdeckung.</fw><lb/>
hatte den Portugiesen die gesamte östliche Welt zu eigen geschenkt<lb/>
und jetzt waren sie auf Madagascar und auf Indien gestossen mit seinen<lb/>
fabelhaften Schätzen an Gold, Edelsteinen, Gewürzen u. s. w., während<lb/>
Amerika einstweilen wenig bot; und so kannten die Spanier keine<lb/>
Ruhe bis Magalhães seine grosse That vollbracht, und auf dem west-<lb/>
lichen Wege ebenfalls bis nach Indien vorgedrungen war.<noteplace="foot"n="1)">Magalhães erblickte Land, d. h. er vollendete den Beweis, dass unsere<lb/>
Erde rund sei, am 6. März 1521, am selben Tage, an dem Karl V. die Vorladung<lb/>
Luther’s nach Worms unterschrieb.</note></p><lb/><p>Auf Einzelheiten werde ich nicht eingehen. Nicht als ob es<noteplace="right">Die Einheit des<lb/>
Entdeckungs-<lb/>
werkes.</note><lb/>
hier nicht noch vieles auszuführen gäbe, was der Leser weder aus<lb/>
Geschichtswerken noch aus Konversationslexicis wird ergänzen können,<lb/>
doch sobald der ganze lebendige Organismus uns klar vor Augen steht<lb/>— die besondere Anlage, die treibenden Kräfte, die hemmende Um-<lb/>
gebung — ist die an diesem Orte gestellte Aufgabe vollbracht, und<lb/>
das dürfte jetzt der Fall sein. Nicht eine Chronik der Vergangen-<lb/>
heit, sondern eine Beleuchtung der Gegenwart bezwecke ich ja. Und<lb/>
darum möchte ich nur noch auf das Eine mit besonderem Nachdruck<lb/>
die Aufmerksamkeit richten. Es verwirrt nämlich das historische Ver-<lb/>
ständnis völlig, wenn man die geographischen Entdeckungen, wie<lb/>
üblich, von dem übrigen Entdeckungswerk scheidet; ebenso entsteht<lb/>
eine weitere Verwirrung, wenn man diejenigen Entdeckungen, welche<lb/>
speziell das Menschengeschlecht betreffen — ethnographische, sprach-<lb/>
liche, religionsgeschichtliche u. s. w. — wieder in ein besonderes Fach<lb/>
einreiht, oder zu Philologie und Historie zählt. Die Einheit der Wissen-<lb/>
schaften wird täglich mehr anerkannt, die Einheit des Entdeckungs-<lb/>
werkes, d. h. also der Herbeischaffung des Wissensstoffes, fordert die-<lb/>
selbe Anerkennung. Gleichviel, was entdeckt wird, gleichviel ob ein<lb/>
kühner Abenteurer, ein erfindungsreicher Industrieller oder ein ge-<lb/>
duldiger Gelehrter es zu Tage fördert, es sind dieselben Anlagen unseres<lb/>
Wesens am Werke, derselbe Drang nach Besitz, dieselbe Leidenschaft-<lb/>
lichkeit, dieselbe Hingabe an die Natur, dieselbe Kunst der Beobachtung;<lb/>
es ist derselbe germanische Mann, von dem Faust sagt:</p><lb/><cit><quote>Im Weiterschreiten find’ er Qual und Glück,<lb/>
Er! unbefriedigt jeden Augenblick.</quote></cit><lb/><p>Und jede einzelne Entdeckung, gleichviel auf welchem Gebiete sie<lb/>
stattfindet, fördert jede andere, wie fern auch abliegende. Das ist bei<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[769/0248]
Entdeckung.
hatte den Portugiesen die gesamte östliche Welt zu eigen geschenkt
und jetzt waren sie auf Madagascar und auf Indien gestossen mit seinen
fabelhaften Schätzen an Gold, Edelsteinen, Gewürzen u. s. w., während
Amerika einstweilen wenig bot; und so kannten die Spanier keine
Ruhe bis Magalhães seine grosse That vollbracht, und auf dem west-
lichen Wege ebenfalls bis nach Indien vorgedrungen war. 1)
Auf Einzelheiten werde ich nicht eingehen. Nicht als ob es
hier nicht noch vieles auszuführen gäbe, was der Leser weder aus
Geschichtswerken noch aus Konversationslexicis wird ergänzen können,
doch sobald der ganze lebendige Organismus uns klar vor Augen steht
— die besondere Anlage, die treibenden Kräfte, die hemmende Um-
gebung — ist die an diesem Orte gestellte Aufgabe vollbracht, und
das dürfte jetzt der Fall sein. Nicht eine Chronik der Vergangen-
heit, sondern eine Beleuchtung der Gegenwart bezwecke ich ja. Und
darum möchte ich nur noch auf das Eine mit besonderem Nachdruck
die Aufmerksamkeit richten. Es verwirrt nämlich das historische Ver-
ständnis völlig, wenn man die geographischen Entdeckungen, wie
üblich, von dem übrigen Entdeckungswerk scheidet; ebenso entsteht
eine weitere Verwirrung, wenn man diejenigen Entdeckungen, welche
speziell das Menschengeschlecht betreffen — ethnographische, sprach-
liche, religionsgeschichtliche u. s. w. — wieder in ein besonderes Fach
einreiht, oder zu Philologie und Historie zählt. Die Einheit der Wissen-
schaften wird täglich mehr anerkannt, die Einheit des Entdeckungs-
werkes, d. h. also der Herbeischaffung des Wissensstoffes, fordert die-
selbe Anerkennung. Gleichviel, was entdeckt wird, gleichviel ob ein
kühner Abenteurer, ein erfindungsreicher Industrieller oder ein ge-
duldiger Gelehrter es zu Tage fördert, es sind dieselben Anlagen unseres
Wesens am Werke, derselbe Drang nach Besitz, dieselbe Leidenschaft-
lichkeit, dieselbe Hingabe an die Natur, dieselbe Kunst der Beobachtung;
es ist derselbe germanische Mann, von dem Faust sagt:
Die Einheit des
Entdeckungs-
werkes.
Im Weiterschreiten find’ er Qual und Glück,
Er! unbefriedigt jeden Augenblick.
Und jede einzelne Entdeckung, gleichviel auf welchem Gebiete sie
stattfindet, fördert jede andere, wie fern auch abliegende. Das ist bei
1) Magalhães erblickte Land, d. h. er vollendete den Beweis, dass unsere
Erde rund sei, am 6. März 1521, am selben Tage, an dem Karl V. die Vorladung
Luther’s nach Worms unterschrieb.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 769. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/248>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.