Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.Wirtschaft. lichkeit zu aller geistigen Freiheit, was sich auch bald vielerortenbewährte.1) Das ist die eine Seite der Sache. Der Unternehmungs- geist des Einzelnen ist aber bei uns zu stark, als dass er sich durch noch so strenge Verordnungen bändigen liesse, und so sehen wir auch damals, trotz der Herrschaft der Innungen, einzelne energische Männer ein ungeheures Vermögen erwerben. Im Jahre 1367 wandert z. B. ein armer Leinwebergeselle, Hans Fugger, nach Augsburg ein; hundert Jahre später sind seine Erben in der Lage, dem Erzherzog Siegmund von Tirol 150 000 Gulden vorzuschiessen. Allerdings hatte Fugger neben seinem Gewerbe auch Handel getrieben und zwar mit so viel Glück, dass sein Sohn Bergwerksbesitzer geworden war; doch wie war es möglich, da die Innungsgesetze dem einen Gesellen verboten, mehr als die anderen zu arbeiten, dass Fugger zu so viel Geld kam, um in diesem Masse Handel treiben zu können? Ich weiss es nicht; Niemand weiss es; aus jenem Anfang der Familie Fugger giebt es keine genauen Nachrichten.2) Jedenfalls sieht man, dass es möglich war. Und bildet auch die Familie Fugger durch den enormen Reichtum, den sie bald erwarb und durch die Rolle, welche sie dadurch in der Geschichte Europa's spielte, ein Unikum, so fehlte es an reichen Bürgern in keiner Stadt, und man braucht nur Ehrenberg's Zeitalter der Fugger (Jena 1896) oder Van der Kindere: Le siecle des Artevelde (Brüssel 1879) zur Hand zu nehmen, um zu sehen, wie überall Männer aus dem Volke, trotz des Innungszwanges, zu wohlhabender Selbständigkeit sich hinaufarbeiteten. Ohne die Innungen, d. h. also ohne Kooperation, wäre es überhaupt nie zu einem gewerblichen Leben bei uns ge- kommen -- das liegt auf der Hand; die Kooperation hinderte aber den Einzelnen nicht, sondern diente ihm als Sprungbrett. Nun aber, sobald der Einzelne fest und stark auf eigenen Füssen stand, benahm er sich genau so wie unsere damaligen Könige sich Fürsten und Volk gegenüber benahmen; er kannte nur ein Ziel: Monopol. Reich sein genügt nicht, frei sein befriedigt nicht: 1) Dass es dem Arbeiter im 13., 14. und 15. Jahrhundert durchschnittlich so viel besser als heute ging, erklärt Leber in seinem Essai sur l'appreciation de la fortune privee au moyen-age, 1847, durch den Nachweis, dass "das Geld des Armen damals verhältnismässig mehr wert war als das des Reichen, da nämlich Luxusgegenstände exorbitant hohe Preise erreichten, unerschwinglich für solche, die nicht ein sehr grosses Vermögen besassen, wogegen alles Unentbehrliche, wie einfache Nahrungs- mittel, Wohnung, Kleider u. s w., äusserst billig war" (citiert nach Van der Kindere: Le siecle des Artevelde, Bruxelles, 1879, S. 132). 2) Aloys Geiger: Jakob Fugger, Regensburg 1895. Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 53
Wirtschaft. lichkeit zu aller geistigen Freiheit, was sich auch bald vielerortenbewährte.1) Das ist die eine Seite der Sache. Der Unternehmungs- geist des Einzelnen ist aber bei uns zu stark, als dass er sich durch noch so strenge Verordnungen bändigen liesse, und so sehen wir auch damals, trotz der Herrschaft der Innungen, einzelne energische Männer ein ungeheures Vermögen erwerben. Im Jahre 1367 wandert z. B. ein armer Leinwebergeselle, Hans Fugger, nach Augsburg ein; hundert Jahre später sind seine Erben in der Lage, dem Erzherzog Siegmund von Tirol 150 000 Gulden vorzuschiessen. Allerdings hatte Fugger neben seinem Gewerbe auch Handel getrieben und zwar mit so viel Glück, dass sein Sohn Bergwerksbesitzer geworden war; doch wie war es möglich, da die Innungsgesetze dem einen Gesellen verboten, mehr als die anderen zu arbeiten, dass Fugger zu so viel Geld kam, um in diesem Masse Handel treiben zu können? Ich weiss es nicht; Niemand weiss es; aus jenem Anfang der Familie Fugger giebt es keine genauen Nachrichten.2) Jedenfalls sieht man, dass es möglich war. Und bildet auch die Familie Fugger durch den enormen Reichtum, den sie bald erwarb und durch die Rolle, welche sie dadurch in der Geschichte Europa’s spielte, ein Unikum, so fehlte es an reichen Bürgern in keiner Stadt, und man braucht nur Ehrenberg’s Zeitalter der Fugger (Jena 1896) oder Van der Kindere: Le siècle des Artevelde (Brüssel 1879) zur Hand zu nehmen, um zu sehen, wie überall Männer aus dem Volke, trotz des Innungszwanges, zu wohlhabender Selbständigkeit sich hinaufarbeiteten. Ohne die Innungen, d. h. also ohne Kooperation, wäre es überhaupt nie zu einem gewerblichen Leben bei uns ge- kommen — das liegt auf der Hand; die Kooperation hinderte aber den Einzelnen nicht, sondern diente ihm als Sprungbrett. Nun aber, sobald der Einzelne fest und stark auf eigenen Füssen stand, benahm er sich genau so wie unsere damaligen Könige sich Fürsten und Volk gegenüber benahmen; er kannte nur ein Ziel: Monopol. Reich sein genügt nicht, frei sein befriedigt nicht: 1) Dass es dem Arbeiter im 13., 14. und 15. Jahrhundert durchschnittlich so viel besser als heute ging, erklärt Leber in seinem Essai sur l’appréciation de la fortune privée au moyen-âge, 1847, durch den Nachweis, dass »das Geld des Armen damals verhältnismässig mehr wert war als das des Reichen, da nämlich Luxusgegenstände exorbitant hohe Preise erreichten, unerschwinglich für solche, die nicht ein sehr grosses Vermögen besassen, wogegen alles Unentbehrliche, wie einfache Nahrungs- mittel, Wohnung, Kleider u. s w., äusserst billig war« (citiert nach Van der Kindere: Le siècle des Artevelde, Bruxelles, 1879, S. 132). 2) Aloys Geiger: Jakob Fugger, Regensburg 1895. Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 53
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lichkeit zu aller geistigen Freiheit, was sich auch bald vielerorten
bewährte. 1) Das ist die eine Seite der Sache. Der Unternehmungs-
geist des Einzelnen ist aber bei uns zu stark, als dass er sich durch
noch so strenge Verordnungen bändigen liesse, und so sehen wir auch
damals, trotz der Herrschaft der Innungen, einzelne energische Männer
ein ungeheures Vermögen erwerben. Im Jahre 1367 wandert z. B.
ein armer Leinwebergeselle, Hans Fugger, nach Augsburg ein; hundert
Jahre später sind seine Erben in der Lage, dem Erzherzog Siegmund
von Tirol 150 000 Gulden vorzuschiessen. Allerdings hatte Fugger
neben seinem Gewerbe auch Handel getrieben und zwar mit so viel
Glück, dass sein Sohn Bergwerksbesitzer geworden war; doch wie
war es möglich, da die Innungsgesetze dem einen Gesellen verboten,
mehr als die anderen zu arbeiten, dass Fugger zu so viel Geld kam,
um in diesem Masse Handel treiben zu können? Ich weiss es nicht;
Niemand weiss es; aus jenem Anfang der Familie Fugger giebt es
keine genauen Nachrichten. 2) Jedenfalls sieht man, dass es möglich war.
Und bildet auch die Familie Fugger durch den enormen Reichtum,
den sie bald erwarb und durch die Rolle, welche sie dadurch in der
Geschichte Europa’s spielte, ein Unikum, so fehlte es an reichen Bürgern
in keiner Stadt, und man braucht nur Ehrenberg’s Zeitalter der Fugger
(Jena 1896) oder Van der Kindere: Le siècle des Artevelde (Brüssel 1879)
zur Hand zu nehmen, um zu sehen, wie überall Männer aus dem
Volke, trotz des Innungszwanges, zu wohlhabender Selbständigkeit sich
hinaufarbeiteten. Ohne die Innungen, d. h. also ohne Kooperation,
wäre es überhaupt nie zu einem gewerblichen Leben bei uns ge-
kommen — das liegt auf der Hand; die Kooperation hinderte aber
den Einzelnen nicht, sondern diente ihm als Sprungbrett. Nun
aber, sobald der Einzelne fest und stark auf eigenen Füssen stand,
benahm er sich genau so wie unsere damaligen Könige sich Fürsten
und Volk gegenüber benahmen; er kannte nur ein Ziel: Monopol.
Reich sein genügt nicht, frei sein befriedigt nicht:
1) Dass es dem Arbeiter im 13., 14. und 15. Jahrhundert durchschnittlich
so viel besser als heute ging, erklärt Leber in seinem Essai sur l’appréciation de la
fortune privée au moyen-âge, 1847, durch den Nachweis, dass »das Geld des Armen damals
verhältnismässig mehr wert war als das des Reichen, da nämlich Luxusgegenstände
exorbitant hohe Preise erreichten, unerschwinglich für solche, die nicht ein sehr
grosses Vermögen besassen, wogegen alles Unentbehrliche, wie einfache Nahrungs-
mittel, Wohnung, Kleider u. s w., äusserst billig war« (citiert nach Van der Kindere:
Le siècle des Artevelde, Bruxelles, 1879, S. 132).
2) Aloys Geiger: Jakob Fugger, Regensburg 1895.
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