Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Entstehung einer neuen Welt.
(wenn auch unbewusst) der Freiheit Schmied; der masslose Ehrgeiz
des Einen ist Allen zu gute gekommen; das politische Monopol hat
der politischen Kooperation die Wege geebnet. Diese Entwickelung
-- die noch lange nicht beendet ist -- erhellt in ihrer eigenartigen
Bedeutung, wenn man sie mit dem Entwickelungsgang des imperialen
Rom kontrastiert. Wir sahen, wie dort alle Rechte, alle Privilegien, alle
Freiheiten nach und nach aus den Händen des Volkes, welches die Nation
errichtet hatte, in die Hand eines einzelnen Mannes übergingen;1) die
Germanen haben den umgekehrten Weg eingeschlagen: sie haben sich
dadurch aus dem Chaos zu Nationen hinaufgearbeitet, dass sie die
Summe der Macht vorläufig in einigen wenigen Händen konzentrierten;
nunmehr fordert die Gesamtheit das ihre zurück: Recht und Ge-
rechtigkeit, Freiheit und grösstmögliche Ungebundenheit für jeden ein-
zelnen Bürger. Dem Monarchen wohnt in vielen Staaten schon heute
nicht viel mehr als eine geometrische Bedeutung inne: er ist ein
Mittelpunkt, der dazu dienen durfte, den Kreis zu ziehen. Viel ver-
wickelter gestalten sich freilich die Verhältnisse auf wirtschaftlichem
Gebiete und ausserdem sind sie noch lange nicht so weit herangereift
wie die politischen, doch glaube ich, dass sie viel Analogie mit ihnen
bieten. Es ist eben der selbe Menschencharakter hier wie dort am
Werke. Bei den Phöniziern hatte der Kapitalismus zur unbedingten
Sklaverei geführt, bei uns nicht; im Gegenteil: er bringt Härten, wie
das Königtum auch Härten in seinem Werden brachte, ist aber überall
der Vorläufer kommunistischer Regungen und Erfolge. In dem kom-
munistischen Staat der Chinesen herrscht tiermässige Einförmigkeit;
bei uns sehen wir überall aus kräftiger Gemeinsamkeit starke Individuen
hervorgehen.

Wer sich nun die Mühe giebt, die Geschichte unseres Gewerbes,
unserer Manufaktur, unseres Handels zu studieren, wird überall diese
beiden Mächte am Werke finden. Überall wird er die Kooperation
als Grundlage entdecken, vom denkwürdigen Bunde der lombardischen
Städte an (bald gefolgt von dem rheinischen Städtebund, der deutschen
Hansa, der Londoner Hansa), bis zu jenem überspannten aber genialen
Robert Owen, der an der Schwelle unseres Jahrhunderts den Samen
der grossartigen Kooperationsgedanken säete, der erst jetzt langsam auf-
zugehen beginnt. Nicht minder jedoch wird er allerorten und zu
allen Zeiten die Initiative des sich aus dem Zwange der Gemeinsam-

1) Siehe S. 148.

Die Entstehung einer neuen Welt.
(wenn auch unbewusst) der Freiheit Schmied; der masslose Ehrgeiz
des Einen ist Allen zu gute gekommen; das politische Monopol hat
der politischen Kooperation die Wege geebnet. Diese Entwickelung
— die noch lange nicht beendet ist — erhellt in ihrer eigenartigen
Bedeutung, wenn man sie mit dem Entwickelungsgang des imperialen
Rom kontrastiert. Wir sahen, wie dort alle Rechte, alle Privilegien, alle
Freiheiten nach und nach aus den Händen des Volkes, welches die Nation
errichtet hatte, in die Hand eines einzelnen Mannes übergingen;1) die
Germanen haben den umgekehrten Weg eingeschlagen: sie haben sich
dadurch aus dem Chaos zu Nationen hinaufgearbeitet, dass sie die
Summe der Macht vorläufig in einigen wenigen Händen konzentrierten;
nunmehr fordert die Gesamtheit das ihre zurück: Recht und Ge-
rechtigkeit, Freiheit und grösstmögliche Ungebundenheit für jeden ein-
zelnen Bürger. Dem Monarchen wohnt in vielen Staaten schon heute
nicht viel mehr als eine geometrische Bedeutung inne: er ist ein
Mittelpunkt, der dazu dienen durfte, den Kreis zu ziehen. Viel ver-
wickelter gestalten sich freilich die Verhältnisse auf wirtschaftlichem
Gebiete und ausserdem sind sie noch lange nicht so weit herangereift
wie die politischen, doch glaube ich, dass sie viel Analogie mit ihnen
bieten. Es ist eben der selbe Menschencharakter hier wie dort am
Werke. Bei den Phöniziern hatte der Kapitalismus zur unbedingten
Sklaverei geführt, bei uns nicht; im Gegenteil: er bringt Härten, wie
das Königtum auch Härten in seinem Werden brachte, ist aber überall
der Vorläufer kommunistischer Regungen und Erfolge. In dem kom-
munistischen Staat der Chinesen herrscht tiermässige Einförmigkeit;
bei uns sehen wir überall aus kräftiger Gemeinsamkeit starke Individuen
hervorgehen.

Wer sich nun die Mühe giebt, die Geschichte unseres Gewerbes,
unserer Manufaktur, unseres Handels zu studieren, wird überall diese
beiden Mächte am Werke finden. Überall wird er die Kooperation
als Grundlage entdecken, vom denkwürdigen Bunde der lombardischen
Städte an (bald gefolgt von dem rheinischen Städtebund, der deutschen
Hansa, der Londoner Hansa), bis zu jenem überspannten aber genialen
Robert Owen, der an der Schwelle unseres Jahrhunderts den Samen
der grossartigen Kooperationsgedanken säete, der erst jetzt langsam auf-
zugehen beginnt. Nicht minder jedoch wird er allerorten und zu
allen Zeiten die Initiative des sich aus dem Zwange der Gemeinsam-

1) Siehe S. 148.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0307" n="828"/><fw place="top" type="header">Die Entstehung einer neuen Welt.</fw><lb/>
(wenn auch unbewusst) der Freiheit Schmied; der masslose Ehrgeiz<lb/>
des Einen ist Allen zu gute gekommen; das politische Monopol hat<lb/>
der politischen Kooperation die Wege geebnet. Diese Entwickelung<lb/>
&#x2014; die noch lange nicht beendet ist &#x2014; erhellt in ihrer eigenartigen<lb/>
Bedeutung, wenn man sie mit dem Entwickelungsgang des imperialen<lb/>
Rom kontrastiert. Wir sahen, wie dort alle Rechte, alle Privilegien, alle<lb/>
Freiheiten nach und nach aus den Händen des Volkes, welches die Nation<lb/>
errichtet hatte, in die Hand eines einzelnen Mannes übergingen;<note place="foot" n="1)">Siehe S. 148.</note> die<lb/>
Germanen haben den umgekehrten Weg eingeschlagen: sie haben sich<lb/>
dadurch aus dem Chaos zu Nationen hinaufgearbeitet, dass sie die<lb/>
Summe der Macht vorläufig in einigen wenigen Händen konzentrierten;<lb/>
nunmehr fordert die Gesamtheit das ihre zurück: Recht und Ge-<lb/>
rechtigkeit, Freiheit und grösstmögliche Ungebundenheit für jeden ein-<lb/>
zelnen Bürger. Dem Monarchen wohnt in vielen Staaten schon heute<lb/>
nicht viel mehr als eine geometrische Bedeutung inne: er ist ein<lb/>
Mittelpunkt, der dazu dienen durfte, den Kreis zu ziehen. Viel ver-<lb/>
wickelter gestalten sich freilich die Verhältnisse auf wirtschaftlichem<lb/>
Gebiete und ausserdem sind sie noch lange nicht so weit herangereift<lb/>
wie die politischen, doch glaube ich, dass sie viel Analogie mit ihnen<lb/>
bieten. Es ist eben der selbe Menschencharakter hier wie dort am<lb/>
Werke. Bei den Phöniziern hatte der Kapitalismus zur unbedingten<lb/>
Sklaverei geführt, bei uns nicht; im Gegenteil: er bringt Härten, wie<lb/>
das Königtum auch Härten in seinem Werden brachte, ist aber überall<lb/>
der Vorläufer kommunistischer Regungen und Erfolge. In dem kom-<lb/>
munistischen Staat der Chinesen herrscht tiermässige Einförmigkeit;<lb/>
bei uns sehen wir überall aus kräftiger Gemeinsamkeit starke Individuen<lb/>
hervorgehen.</p><lb/>
              <p>Wer sich nun die Mühe giebt, die Geschichte unseres Gewerbes,<lb/>
unserer Manufaktur, unseres Handels zu studieren, wird überall diese<lb/>
beiden Mächte am Werke finden. Überall wird er die Kooperation<lb/>
als Grundlage entdecken, vom denkwürdigen Bunde der lombardischen<lb/>
Städte an (bald gefolgt von dem rheinischen Städtebund, der deutschen<lb/>
Hansa, der Londoner Hansa), bis zu jenem überspannten aber genialen<lb/>
Robert Owen, der an der Schwelle unseres Jahrhunderts den Samen<lb/>
der grossartigen Kooperationsgedanken säete, der erst jetzt langsam auf-<lb/>
zugehen beginnt. Nicht minder jedoch wird er allerorten und zu<lb/>
allen Zeiten die Initiative des sich aus dem Zwange der Gemeinsam-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[828/0307] Die Entstehung einer neuen Welt. (wenn auch unbewusst) der Freiheit Schmied; der masslose Ehrgeiz des Einen ist Allen zu gute gekommen; das politische Monopol hat der politischen Kooperation die Wege geebnet. Diese Entwickelung — die noch lange nicht beendet ist — erhellt in ihrer eigenartigen Bedeutung, wenn man sie mit dem Entwickelungsgang des imperialen Rom kontrastiert. Wir sahen, wie dort alle Rechte, alle Privilegien, alle Freiheiten nach und nach aus den Händen des Volkes, welches die Nation errichtet hatte, in die Hand eines einzelnen Mannes übergingen; 1) die Germanen haben den umgekehrten Weg eingeschlagen: sie haben sich dadurch aus dem Chaos zu Nationen hinaufgearbeitet, dass sie die Summe der Macht vorläufig in einigen wenigen Händen konzentrierten; nunmehr fordert die Gesamtheit das ihre zurück: Recht und Ge- rechtigkeit, Freiheit und grösstmögliche Ungebundenheit für jeden ein- zelnen Bürger. Dem Monarchen wohnt in vielen Staaten schon heute nicht viel mehr als eine geometrische Bedeutung inne: er ist ein Mittelpunkt, der dazu dienen durfte, den Kreis zu ziehen. Viel ver- wickelter gestalten sich freilich die Verhältnisse auf wirtschaftlichem Gebiete und ausserdem sind sie noch lange nicht so weit herangereift wie die politischen, doch glaube ich, dass sie viel Analogie mit ihnen bieten. Es ist eben der selbe Menschencharakter hier wie dort am Werke. Bei den Phöniziern hatte der Kapitalismus zur unbedingten Sklaverei geführt, bei uns nicht; im Gegenteil: er bringt Härten, wie das Königtum auch Härten in seinem Werden brachte, ist aber überall der Vorläufer kommunistischer Regungen und Erfolge. In dem kom- munistischen Staat der Chinesen herrscht tiermässige Einförmigkeit; bei uns sehen wir überall aus kräftiger Gemeinsamkeit starke Individuen hervorgehen. Wer sich nun die Mühe giebt, die Geschichte unseres Gewerbes, unserer Manufaktur, unseres Handels zu studieren, wird überall diese beiden Mächte am Werke finden. Überall wird er die Kooperation als Grundlage entdecken, vom denkwürdigen Bunde der lombardischen Städte an (bald gefolgt von dem rheinischen Städtebund, der deutschen Hansa, der Londoner Hansa), bis zu jenem überspannten aber genialen Robert Owen, der an der Schwelle unseres Jahrhunderts den Samen der grossartigen Kooperationsgedanken säete, der erst jetzt langsam auf- zugehen beginnt. Nicht minder jedoch wird er allerorten und zu allen Zeiten die Initiative des sich aus dem Zwange der Gemeinsam- 1) Siehe S. 148.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/307
Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 828. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/307>, abgerufen am 21.11.2024.