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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampf.
inneren schöpferischen religiösen Gedanken, verwickelte sich dieses
pseudojüdische theologische Gewebe in einen Widerspruch nach dem
anderen in dem Bestreben, logisch überzeugend und einheitlich zu sein.
Wir haben schon gesehen, dass gerade Paulus es war, der in hervor-
ragender Weise das Alte Testament zu der neuen Heilslehre in or-
ganische Beziehung zu setzen bestrebt war. Namentlich geschieht dies
in dem am meisten jüdischen seiner Briefe, dem an die Römer. Im
Gegensatz zu anderen Stellen wird hier (V, 12) der Sündenfall als ein
rein historisches Ereignis eingeführt, der dann das zweite historische
Ereignis, die Geburt des zweiten Adam "aus David's Samen" (I, 3)
logisch bedingt. Die ganze Weltgeschichte verläuft darnach in Ge-
mässheit mit einem sehr übersichtlichen, menschlich begreiflichen, so-
zusagen "empirischen" göttlichen Plane. An Stelle der engen jüdi-
schen Auffassung tritt hier allerdings ein universeller Heilplan, doch
das Prinzip ist dasselbe. Es ist der nämliche, durchaus menschlich
gedachte Jahve, der da schafft, gebietet, verbietet, zürnt, straft, belohnt;
Israel ist auch das auserwählte Volk, der "gute Oelbaum", in den
einzelne Zweige des wilden Baumes des Heidentums nunmehr einge-
pfropft werden (Röm. XI, 17 fg.); und auch diese Erweiterung des
Judentums bewirkt Paulus lediglich durch eine Umdeutung der Messias-
lehre, "wie sie in der damaligen jüdischen Apokalyptik ausgebildet
worden war".1) Nunmehr ist alles hübsch logisch und rationalistisch
beisammen: die Schöpfung, der zufällige Sündenfall, die Strafe, die
Erwählung eines besonderen Priestervolkes, aus dessen Mitte der Messias
hervorgehen soll, der Tod des Messias als Sühnopfer (genau im alt-
jüdischen Sinne), das letzte Gericht, welches Buch führt über die
Werke der Menschen und darnach Lohn und Strafe austeilt. Jüdischer
kann man unmöglich sein: ein willkürliches Gesetz bestimmt, was
Heiligkeit und was Sünde sei, die Übertretung des Gesetzes wird be-
straft,
die Strafe kann aber durch die Darbringung eines entsprechenden
Opfers gesühnt werden. Hier ist von einem aller Kreatur ange-
borenen Erlösungsbedürfnis im indischen Sinne keine Rede, für die
Wiedergeburt, wie sie Christus seinen Jüngern so eindringlich lehrte, ist
kein Platz, der Begriff der Gnade besitzt in einem solchen System gar
keinen Sinn, ebensowenig der Glaube (in der paulinischen Auffassung).2)

1) Pfleiderer: a. a. O., S. 113.
2) Mir als Laien sind so enge Grenzen hier gesteckt, dass ich nicht um-
hin kann, den Leser zu bitten, er möge sich eingehende Belehrung über diesen
so wichtigen Gegenstand bei den Fachleuten holen. Am deutlichsten tritt der

Der Kampf.
inneren schöpferischen religiösen Gedanken, verwickelte sich dieses
pseudojüdische theologische Gewebe in einen Widerspruch nach dem
anderen in dem Bestreben, logisch überzeugend und einheitlich zu sein.
Wir haben schon gesehen, dass gerade Paulus es war, der in hervor-
ragender Weise das Alte Testament zu der neuen Heilslehre in or-
ganische Beziehung zu setzen bestrebt war. Namentlich geschieht dies
in dem am meisten jüdischen seiner Briefe, dem an die Römer. Im
Gegensatz zu anderen Stellen wird hier (V, 12) der Sündenfall als ein
rein historisches Ereignis eingeführt, der dann das zweite historische
Ereignis, die Geburt des zweiten Adam »aus David’s Samen« (I, 3)
logisch bedingt. Die ganze Weltgeschichte verläuft darnach in Ge-
mässheit mit einem sehr übersichtlichen, menschlich begreiflichen, so-
zusagen »empirischen« göttlichen Plane. An Stelle der engen jüdi-
schen Auffassung tritt hier allerdings ein universeller Heilplan, doch
das Prinzip ist dasselbe. Es ist der nämliche, durchaus menschlich
gedachte Jahve, der da schafft, gebietet, verbietet, zürnt, straft, belohnt;
Israel ist auch das auserwählte Volk, der »gute Oelbaum«, in den
einzelne Zweige des wilden Baumes des Heidentums nunmehr einge-
pfropft werden (Röm. XI, 17 fg.); und auch diese Erweiterung des
Judentums bewirkt Paulus lediglich durch eine Umdeutung der Messias-
lehre, »wie sie in der damaligen jüdischen Apokalyptik ausgebildet
worden war«.1) Nunmehr ist alles hübsch logisch und rationalistisch
beisammen: die Schöpfung, der zufällige Sündenfall, die Strafe, die
Erwählung eines besonderen Priestervolkes, aus dessen Mitte der Messias
hervorgehen soll, der Tod des Messias als Sühnopfer (genau im alt-
jüdischen Sinne), das letzte Gericht, welches Buch führt über die
Werke der Menschen und darnach Lohn und Strafe austeilt. Jüdischer
kann man unmöglich sein: ein willkürliches Gesetz bestimmt, was
Heiligkeit und was Sünde sei, die Übertretung des Gesetzes wird be-
straft,
die Strafe kann aber durch die Darbringung eines entsprechenden
Opfers gesühnt werden. Hier ist von einem aller Kreatur ange-
borenen Erlösungsbedürfnis im indischen Sinne keine Rede, für die
Wiedergeburt, wie sie Christus seinen Jüngern so eindringlich lehrte, ist
kein Platz, der Begriff der Gnade besitzt in einem solchen System gar
keinen Sinn, ebensowenig der Glaube (in der paulinischen Auffassung).2)

1) Pfleiderer: a. a. O., S. 113.
2) Mir als Laien sind so enge Grenzen hier gesteckt, dass ich nicht um-
hin kann, den Leser zu bitten, er möge sich eingehende Belehrung über diesen
so wichtigen Gegenstand bei den Fachleuten holen. Am deutlichsten tritt der
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[586/0065] Der Kampf. inneren schöpferischen religiösen Gedanken, verwickelte sich dieses pseudojüdische theologische Gewebe in einen Widerspruch nach dem anderen in dem Bestreben, logisch überzeugend und einheitlich zu sein. Wir haben schon gesehen, dass gerade Paulus es war, der in hervor- ragender Weise das Alte Testament zu der neuen Heilslehre in or- ganische Beziehung zu setzen bestrebt war. Namentlich geschieht dies in dem am meisten jüdischen seiner Briefe, dem an die Römer. Im Gegensatz zu anderen Stellen wird hier (V, 12) der Sündenfall als ein rein historisches Ereignis eingeführt, der dann das zweite historische Ereignis, die Geburt des zweiten Adam »aus David’s Samen« (I, 3) logisch bedingt. Die ganze Weltgeschichte verläuft darnach in Ge- mässheit mit einem sehr übersichtlichen, menschlich begreiflichen, so- zusagen »empirischen« göttlichen Plane. An Stelle der engen jüdi- schen Auffassung tritt hier allerdings ein universeller Heilplan, doch das Prinzip ist dasselbe. Es ist der nämliche, durchaus menschlich gedachte Jahve, der da schafft, gebietet, verbietet, zürnt, straft, belohnt; Israel ist auch das auserwählte Volk, der »gute Oelbaum«, in den einzelne Zweige des wilden Baumes des Heidentums nunmehr einge- pfropft werden (Röm. XI, 17 fg.); und auch diese Erweiterung des Judentums bewirkt Paulus lediglich durch eine Umdeutung der Messias- lehre, »wie sie in der damaligen jüdischen Apokalyptik ausgebildet worden war«. 1) Nunmehr ist alles hübsch logisch und rationalistisch beisammen: die Schöpfung, der zufällige Sündenfall, die Strafe, die Erwählung eines besonderen Priestervolkes, aus dessen Mitte der Messias hervorgehen soll, der Tod des Messias als Sühnopfer (genau im alt- jüdischen Sinne), das letzte Gericht, welches Buch führt über die Werke der Menschen und darnach Lohn und Strafe austeilt. Jüdischer kann man unmöglich sein: ein willkürliches Gesetz bestimmt, was Heiligkeit und was Sünde sei, die Übertretung des Gesetzes wird be- straft, die Strafe kann aber durch die Darbringung eines entsprechenden Opfers gesühnt werden. Hier ist von einem aller Kreatur ange- borenen Erlösungsbedürfnis im indischen Sinne keine Rede, für die Wiedergeburt, wie sie Christus seinen Jüngern so eindringlich lehrte, ist kein Platz, der Begriff der Gnade besitzt in einem solchen System gar keinen Sinn, ebensowenig der Glaube (in der paulinischen Auffassung). 2) 1) Pfleiderer: a. a. O., S. 113. 2) Mir als Laien sind so enge Grenzen hier gesteckt, dass ich nicht um- hin kann, den Leser zu bitten, er möge sich eingehende Belehrung über diesen so wichtigen Gegenstand bei den Fachleuten holen. Am deutlichsten tritt der

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/65>, abgerufen am 26.11.2024.