Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.Religion. dass Rom die ganze Welt gegen sich gehabt hat, und seine unvergleich-liche Macht lediglich der zwingenden Gewalt einer unerbittlich logischen Idee verdankt. Niemand verfuhr jemals logisch gegen Rom; Rom war stets rücksichtslos logisch für sich. Dadurch besiegte es ebensowohl den offenen Widerstand wie auch die zahlreichen inneren Versuche, ihm eine andere Richtung aufzuzwingen. Nicht Leo der Isaurier allein, der von aussen angriff, scheiterte, es scheiterte eben so sehr der heilige Franziskus von Assisi in seinem Bestreben, die ecclesia carnalis, wie er sie nannte, von innen zu reformieren;1) es scheiterte der apostolische Feuergeist, Arnold von Brescia, in seinem Wahne, die Kirche ihren weltlichen Zielen zu entrücken; es scheiterten die Römer in ihren wiederholten, ver- zweifelten Empörungen gegen die Tyrannei der Päpste; es scheiterte Abälard -- ein Fanatiker für das römische Religionsideal -- in seinem Ver- such, rationelleres, höheres Denken mit ihm zu verbinden; es scheiterte Abälard's Gegner, Bernhard, der Reformator des Mönchtums, der gern dem Papste und der ganzen Kirche seine mystische Religionsauffassung (Matth. IX, 20) geheilte Frau habe an jenem Orte, wo sie geheilt wurde, ein Standbild Christi errichtet, und Gott, weit entfernt zu zürnen, habe am Fusse der Bildsäule ein bisher unbekanntes Heilkraut hervorwachsen lassen! Das ist der erste Beweis, der zweite ist noch schöner. Abgar, Fürst von Edessa, ein Zeit- genosse des Heilands, habe einen Brief an Christus gerichtet, und dieser ihm zum Dank sein Porträt gesandt!! (Hefele: a. a. O., S. 383 und 395). -- Sehr merkwürdig und für die Beurteilung des römischen Standpunktes höchst lehrreich ist die Thatsache, dass der Papst dem Kaiser vorwirft (siehe a. a. O., S. 400), er habe den Menschen die Bilder geraubt und ihnen dafür "thörichte Reden und musikalische Possen" ge- geben. Das heisst also, Leo hat, genau so, wie wenige Jahre später Karl der Grosse es that, die Predigt wieder in die Kirche eingeführt und für Erhebung des Gemütes durch Musik gesorgt! Dies Beides dünkte dem römischen Mönch ebenso über- flüssig wie der Bilderdienst ihm unerlässlich schien. Bedenkt man nun, dass Germanicia, die Heimat Leo's, an den Grenzen Isaurien's, eine jener erst spät von den Kaisern gegründeten Veteranenkolonien war (Mommsen: Römische Geschichte, 3. Aufl., V, 310), bedenkt man, dass zahlreiche Germanen im Heere dienten, be- denkt man ferner, dass Leo der Isaurier ein Mann aus dem Volke war, der also nicht vermöge seiner Bildung, sondern vermöge seines Charakters sich hat von den echten Kleinasiaten so weit unterscheiden können, um das gerade zu hassen, was diese liebten, so dürfte die Frage wohl in uns aufkeimen, ob dieser Ansturm auf römisch-heidnischen Materialismus, wenngleich südlich von Rom zur Welt gekommen, nicht doch aus nordischer Seele geboren war? Manche Hypothese ruht auf schwächeren Füssen. 1) Dass die geistige Entwickelung dieses bewundernswerten Mannes höchst
wahrscheinlich unter dem direkten Einfluss der Waldenser stand, ist in neuerer Zeit gezeigt worden und verdient die grösste Beachtung (vergl. Thode: Franz von Assisi, 1885, S. 31 fg.). Religion. dass Rom die ganze Welt gegen sich gehabt hat, und seine unvergleich-liche Macht lediglich der zwingenden Gewalt einer unerbittlich logischen Idee verdankt. Niemand verfuhr jemals logisch gegen Rom; Rom war stets rücksichtslos logisch für sich. Dadurch besiegte es ebensowohl den offenen Widerstand wie auch die zahlreichen inneren Versuche, ihm eine andere Richtung aufzuzwingen. Nicht Leo der Isaurier allein, der von aussen angriff, scheiterte, es scheiterte eben so sehr der heilige Franziskus von Assisi in seinem Bestreben, die ecclesia carnalis, wie er sie nannte, von innen zu reformieren;1) es scheiterte der apostolische Feuergeist, Arnold von Brescia, in seinem Wahne, die Kirche ihren weltlichen Zielen zu entrücken; es scheiterten die Römer in ihren wiederholten, ver- zweifelten Empörungen gegen die Tyrannei der Päpste; es scheiterte Abälard — ein Fanatiker für das römische Religionsideal — in seinem Ver- such, rationelleres, höheres Denken mit ihm zu verbinden; es scheiterte Abälard’s Gegner, Bernhard, der Reformator des Mönchtums, der gern dem Papste und der ganzen Kirche seine mystische Religionsauffassung (Matth. IX, 20) geheilte Frau habe an jenem Orte, wo sie geheilt wurde, ein Standbild Christi errichtet, und Gott, weit entfernt zu zürnen, habe am Fusse der Bildsäule ein bisher unbekanntes Heilkraut hervorwachsen lassen! Das ist der erste Beweis, der zweite ist noch schöner. Abgar, Fürst von Edessa, ein Zeit- genosse des Heilands, habe einen Brief an Christus gerichtet, und dieser ihm zum Dank sein Porträt gesandt!! (Hefele: a. a. O., S. 383 und 395). — Sehr merkwürdig und für die Beurteilung des römischen Standpunktes höchst lehrreich ist die Thatsache, dass der Papst dem Kaiser vorwirft (siehe a. a. O., S. 400), er habe den Menschen die Bilder geraubt und ihnen dafür »thörichte Reden und musikalische Possen« ge- geben. Das heisst also, Leo hat, genau so, wie wenige Jahre später Karl der Grosse es that, die Predigt wieder in die Kirche eingeführt und für Erhebung des Gemütes durch Musik gesorgt! Dies Beides dünkte dem römischen Mönch ebenso über- flüssig wie der Bilderdienst ihm unerlässlich schien. Bedenkt man nun, dass Germanicia, die Heimat Leo’s, an den Grenzen Isaurien’s, eine jener erst spät von den Kaisern gegründeten Veteranenkolonien war (Mommsen: Römische Geschichte, 3. Aufl., V, 310), bedenkt man, dass zahlreiche Germanen im Heere dienten, be- denkt man ferner, dass Leo der Isaurier ein Mann aus dem Volke war, der also nicht vermöge seiner Bildung, sondern vermöge seines Charakters sich hat von den echten Kleinasiaten so weit unterscheiden können, um das gerade zu hassen, was diese liebten, so dürfte die Frage wohl in uns aufkeimen, ob dieser Ansturm auf römisch-heidnischen Materialismus, wenngleich südlich von Rom zur Welt gekommen, nicht doch aus nordischer Seele geboren war? Manche Hypothese ruht auf schwächeren Füssen. 1) Dass die geistige Entwickelung dieses bewundernswerten Mannes höchst
wahrscheinlich unter dem direkten Einfluss der Waldenser stand, ist in neuerer Zeit gezeigt worden und verdient die grösste Beachtung (vergl. Thode: Franz von Assisi, 1885, S. 31 fg.). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0092" n="613"/><fw place="top" type="header">Religion.</fw><lb/> dass Rom die ganze Welt gegen sich gehabt hat, und seine unvergleich-<lb/> liche Macht lediglich der zwingenden Gewalt einer unerbittlich logischen<lb/> Idee verdankt. Niemand verfuhr jemals logisch gegen Rom; Rom war<lb/> stets rücksichtslos logisch für sich. Dadurch besiegte es ebensowohl den<lb/> offenen Widerstand wie auch die zahlreichen inneren Versuche, ihm eine<lb/> andere Richtung aufzuzwingen. Nicht Leo der Isaurier allein, der von<lb/> aussen angriff, scheiterte, es scheiterte eben so sehr der heilige Franziskus<lb/> von Assisi in seinem Bestreben, die <hi rendition="#i">ecclesia carnalis,</hi> wie er sie nannte,<lb/> von innen zu reformieren;<note place="foot" n="1)">Dass die geistige Entwickelung dieses bewundernswerten Mannes höchst<lb/> wahrscheinlich unter dem direkten Einfluss der Waldenser stand, ist in neuerer<lb/> Zeit gezeigt worden und verdient die grösste Beachtung (vergl. Thode: <hi rendition="#i">Franz von<lb/> Assisi</hi>, 1885, S. 31 fg.).</note> es scheiterte der apostolische Feuergeist,<lb/> Arnold von Brescia, in seinem Wahne, die Kirche ihren weltlichen Zielen<lb/> zu entrücken; es scheiterten die Römer in ihren wiederholten, ver-<lb/> zweifelten Empörungen gegen die Tyrannei der Päpste; es scheiterte<lb/> Abälard — ein Fanatiker für das römische Religionsideal — in seinem Ver-<lb/> such, rationelleres, höheres Denken mit ihm zu verbinden; es scheiterte<lb/> Abälard’s Gegner, Bernhard, der Reformator des Mönchtums, der gern<lb/> dem Papste und der ganzen Kirche seine mystische Religionsauffassung<lb/><note xml:id="seg2pn_4_2" prev="#seg2pn_4_1" place="foot" n="1)">(<hi rendition="#i">Matth.</hi> IX, 20) geheilte Frau habe an jenem Orte, wo sie geheilt wurde, ein<lb/> Standbild Christi errichtet, und Gott, weit entfernt zu zürnen, habe am Fusse der<lb/> Bildsäule ein bisher unbekanntes Heilkraut hervorwachsen lassen! Das ist der<lb/> erste Beweis, der zweite ist noch schöner. Abgar, Fürst von Edessa, ein Zeit-<lb/> genosse des Heilands, habe einen Brief an Christus gerichtet, und dieser ihm zum<lb/> Dank sein Porträt gesandt!! (Hefele: a. a. O., S. 383 und 395). — Sehr merkwürdig<lb/> und für die Beurteilung des römischen Standpunktes höchst lehrreich ist die Thatsache,<lb/> dass der Papst dem Kaiser vorwirft (siehe a. a. O., S. 400), er habe den Menschen<lb/> die Bilder geraubt und ihnen dafür »thörichte Reden und musikalische Possen« ge-<lb/> geben. Das heisst also, Leo hat, genau so, wie wenige Jahre später Karl der Grosse<lb/> es that, die <hi rendition="#g">Predigt</hi> wieder in die Kirche eingeführt und für Erhebung des Gemütes<lb/><hi rendition="#g">durch Musik</hi> gesorgt! Dies Beides dünkte dem römischen Mönch ebenso über-<lb/> flüssig wie der Bilderdienst ihm unerlässlich schien. Bedenkt man nun, dass<lb/> Germanicia, die Heimat Leo’s, an den Grenzen Isaurien’s, eine jener erst spät von<lb/> den Kaisern gegründeten Veteranenkolonien war (Mommsen: <hi rendition="#i">Römische Geschichte,</hi><lb/> 3. Aufl., V, 310), bedenkt man, dass zahlreiche Germanen im Heere dienten, be-<lb/> denkt man ferner, dass Leo der Isaurier ein Mann aus dem Volke war, der also<lb/> nicht vermöge seiner Bildung, sondern vermöge seines Charakters sich hat von den<lb/> echten Kleinasiaten so weit unterscheiden können, um das gerade zu hassen, was<lb/> diese liebten, so dürfte die Frage wohl in uns aufkeimen, ob dieser Ansturm auf<lb/> römisch-heidnischen Materialismus, wenngleich südlich von Rom zur Welt gekommen,<lb/> nicht doch aus nordischer Seele geboren war? Manche Hypothese ruht auf<lb/> schwächeren Füssen.</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [613/0092]
Religion.
dass Rom die ganze Welt gegen sich gehabt hat, und seine unvergleich-
liche Macht lediglich der zwingenden Gewalt einer unerbittlich logischen
Idee verdankt. Niemand verfuhr jemals logisch gegen Rom; Rom war
stets rücksichtslos logisch für sich. Dadurch besiegte es ebensowohl den
offenen Widerstand wie auch die zahlreichen inneren Versuche, ihm eine
andere Richtung aufzuzwingen. Nicht Leo der Isaurier allein, der von
aussen angriff, scheiterte, es scheiterte eben so sehr der heilige Franziskus
von Assisi in seinem Bestreben, die ecclesia carnalis, wie er sie nannte,
von innen zu reformieren; 1) es scheiterte der apostolische Feuergeist,
Arnold von Brescia, in seinem Wahne, die Kirche ihren weltlichen Zielen
zu entrücken; es scheiterten die Römer in ihren wiederholten, ver-
zweifelten Empörungen gegen die Tyrannei der Päpste; es scheiterte
Abälard — ein Fanatiker für das römische Religionsideal — in seinem Ver-
such, rationelleres, höheres Denken mit ihm zu verbinden; es scheiterte
Abälard’s Gegner, Bernhard, der Reformator des Mönchtums, der gern
dem Papste und der ganzen Kirche seine mystische Religionsauffassung
1)
1) Dass die geistige Entwickelung dieses bewundernswerten Mannes höchst
wahrscheinlich unter dem direkten Einfluss der Waldenser stand, ist in neuerer
Zeit gezeigt worden und verdient die grösste Beachtung (vergl. Thode: Franz von
Assisi, 1885, S. 31 fg.).
1) (Matth. IX, 20) geheilte Frau habe an jenem Orte, wo sie geheilt wurde, ein
Standbild Christi errichtet, und Gott, weit entfernt zu zürnen, habe am Fusse der
Bildsäule ein bisher unbekanntes Heilkraut hervorwachsen lassen! Das ist der
erste Beweis, der zweite ist noch schöner. Abgar, Fürst von Edessa, ein Zeit-
genosse des Heilands, habe einen Brief an Christus gerichtet, und dieser ihm zum
Dank sein Porträt gesandt!! (Hefele: a. a. O., S. 383 und 395). — Sehr merkwürdig
und für die Beurteilung des römischen Standpunktes höchst lehrreich ist die Thatsache,
dass der Papst dem Kaiser vorwirft (siehe a. a. O., S. 400), er habe den Menschen
die Bilder geraubt und ihnen dafür »thörichte Reden und musikalische Possen« ge-
geben. Das heisst also, Leo hat, genau so, wie wenige Jahre später Karl der Grosse
es that, die Predigt wieder in die Kirche eingeführt und für Erhebung des Gemütes
durch Musik gesorgt! Dies Beides dünkte dem römischen Mönch ebenso über-
flüssig wie der Bilderdienst ihm unerlässlich schien. Bedenkt man nun, dass
Germanicia, die Heimat Leo’s, an den Grenzen Isaurien’s, eine jener erst spät von
den Kaisern gegründeten Veteranenkolonien war (Mommsen: Römische Geschichte,
3. Aufl., V, 310), bedenkt man, dass zahlreiche Germanen im Heere dienten, be-
denkt man ferner, dass Leo der Isaurier ein Mann aus dem Volke war, der also
nicht vermöge seiner Bildung, sondern vermöge seines Charakters sich hat von den
echten Kleinasiaten so weit unterscheiden können, um das gerade zu hassen, was
diese liebten, so dürfte die Frage wohl in uns aufkeimen, ob dieser Ansturm auf
römisch-heidnischen Materialismus, wenngleich südlich von Rom zur Welt gekommen,
nicht doch aus nordischer Seele geboren war? Manche Hypothese ruht auf
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