Und dieser Auftritt, lieber Freund, mitten in der Sonne, -- sie kniete noch immer zwei Schritte vor mir, und ich, ohne Schatten, konnte die Kluft nicht überspringen, nicht wieder vor dem Engel auf die Knie fallen. O, was hätt' ich nicht da für einen Schatten gegeben. Ich mußte meine Schaam, meine Angst, meine Ver¬ zweiflung tief in den Grund meines Wagens ver¬ bergen. Bendel besann sich endlich für mich, er sprang von der andern Seite aus dem Wagen heraus, ich rief ihn noch zurück und reichte ihm aus meinem Kästchen, das mir eben zur Hand lag, eine reiche diamantene Krone, die die schöne Fanny hatte zieren sollen. Er trat vor, und sprach im Namen seines Herrn, welcher solche Eh¬ renbezeugungen nicht annehmen könne noch wolle; es müsse hier ein Irrthum vorwalten, jedoch seien die guten Einwohner der Stadt für ihren guten Willen bedankt. Er nahm indeß den dargehalte¬ nen Kranz von seinem Ort, und legte den bril¬ lantenen Reif an dessen Stelle; dann reichte er ehrerbietig der schönen Jungfrau die Hand zum Aufstehen, entfernte mit einem Wink Geistlich¬ keit, Magistratus und alle Deputationen. Nie¬
Und dieſer Auftritt, lieber Freund, mitten in der Sonne, — ſie kniete noch immer zwei Schritte vor mir, und ich, ohne Schatten, konnte die Kluft nicht uͤberſpringen, nicht wieder vor dem Engel auf die Knie fallen. O, was haͤtt’ ich nicht da fuͤr einen Schatten gegeben. Ich mußte meine Schaam, meine Angſt, meine Ver¬ zweiflung tief in den Grund meines Wagens ver¬ bergen. Bendel beſann ſich endlich fuͤr mich, er ſprang von der andern Seite aus dem Wagen heraus, ich rief ihn noch zuruͤck und reichte ihm aus meinem Kaͤſtchen, das mir eben zur Hand lag, eine reiche diamantene Krone, die die ſchoͤne Fanny hatte zieren ſollen. Er trat vor, und ſprach im Namen ſeines Herrn, welcher ſolche Eh¬ renbezeugungen nicht annehmen koͤnne noch wolle; es muͤſſe hier ein Irrthum vorwalten, jedoch ſeien die guten Einwohner der Stadt fuͤr ihren guten Willen bedankt. Er nahm indeß den dargehalte¬ nen Kranz von ſeinem Ort, und legte den bril¬ lantenen Reif an deſſen Stelle; dann reichte er ehrerbietig der ſchoͤnen Jungfrau die Hand zum Aufſtehen, entfernte mit einem Wink Geiſtlich¬ keit, Magistratus und alle Deputationen. Nie¬
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Und dieſer Auftritt, lieber Freund, mitten
in der Sonne, — ſie kniete noch immer zwei
Schritte vor mir, und ich, ohne Schatten, konnte
die Kluft nicht uͤberſpringen, nicht wieder vor
dem Engel auf die Knie fallen. O, was haͤtt’
ich nicht da fuͤr einen Schatten gegeben. Ich
mußte meine Schaam, meine Angſt, meine Ver¬
zweiflung tief in den Grund meines Wagens ver¬
bergen. Bendel beſann ſich endlich fuͤr mich,
er ſprang von der andern Seite aus dem Wagen
heraus, ich rief ihn noch zuruͤck und reichte ihm
aus meinem Kaͤſtchen, das mir eben zur Hand
lag, eine reiche diamantene Krone, die die ſchoͤne
Fanny hatte zieren ſollen. Er trat vor, und
ſprach im Namen ſeines Herrn, welcher ſolche Eh¬
renbezeugungen nicht annehmen koͤnne noch wolle;
es muͤſſe hier ein Irrthum vorwalten, jedoch ſeien
die guten Einwohner der Stadt fuͤr ihren guten
Willen bedankt. Er nahm indeß den dargehalte¬
nen Kranz von ſeinem Ort, und legte den bril¬
lantenen Reif an deſſen Stelle; dann reichte er
ehrerbietig der ſchoͤnen Jungfrau die Hand zum
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Beigebunden im Anhang des für das DTA gewählten E… [mehr]
Beigebunden im Anhang des für das DTA gewählten Exemplars aus der SBB-PK sind sechs Kupfer von George Cruikshank aus der 2. Aufl. (1827).
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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. Nürnberg, 1814, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamisso_schlemihl_1814/59>, abgerufen am 16.02.2025.
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