Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–98. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.tionaldichter entwickelt und welche Verdienste er sich als Herausgeber des Musenalmanachs der dreißiger Jahre nebst Gustav Schwab um die deutsche Poesie und die deutsche Jugend erworben hat, das ruht in frischer Erinnerung und kann in diesem engen Raume nicht ausgeführt werden (wie denn auch über sein früheres, zum Theil reichbewegtes Leben, z. B. über seinen Aufenthalt bei Frau von Stael, ja über den ganzen Menschen, auf die Biographie von Hitzig, so wie auf die Schilderung von Ampere in der Revue des deux mondes von 1840 verwiesen werden muß). Chamisso war ein Deutscher im vollsten Sinne des Wortes und doch dabei auch wieder ein liebenswürdiger Franzose, gleichwie sein ganzes Wesen eine merkwürdige Mischung von Mann und Kind, von Unbeholfenheit und Gewandtheit trug. Den Franzosen hatte er selbst sprachlich so wenig ausgezogen, daß er, der das Deutsche in seinen Versen mit wunderbarer Meisterschaft handhabte, in seinen Briefen die ergötzlichsten Gallicismen zum Besten gab, beim Zählen nach seiner Muttersprache greifen mußte, ja den Namen seines verehrten, geliebten Uhland nur in der ersten Hälfte deutsch, in der zweiten aber französisch (das nd dem bekannten nasalen ? opfernd) aussprach. (Für letztere Sünde hat sich denn wieder mancher biedere Deutsche unbewußt an ihm gerächt, indem er ihn mit besserer Gesinnung als Betonung "unsern Chamisso" nannte.) Die Entstehung des "Peter Schlemihl" erzählt K. Goedeke so. "Chamisso hatte auf einer Reise Hut, Mantelsack, Handschuhe, Schnupftuch und sein ganzes bewegliches Gut verloren. Fouque fragte, ob er nicht auch seinen Schatten verloren habe. Sie malten sich das Unglück aus. Ein anderes Mal wurde in einem Buche von dem Romanschriftsteller Lafontaine geblättert, wo ein sehr gefälliger Mann Allerlei aus der Tasche zieht, was eben gefordert wird. Chamisso meinte, wenn man dem Kerl ein gutes Wort gäbe, würde er auch noch Pferde und Wagen aus der Tasche ziehen. Nun war der Schlemihl fertig" - der, ebenfalls laut Goedeke, ein jüdisches Wort ist und Unstern, Pechvogel bedeutet. Man sieht also, daß es sich ursprünglich um ein bloßes Spiel mit lustigen Einfällen handelte, und noch aus tionaldichter entwickelt und welche Verdienste er sich als Herausgeber des Musenalmanachs der dreißiger Jahre nebst Gustav Schwab um die deutsche Poesie und die deutsche Jugend erworben hat, das ruht in frischer Erinnerung und kann in diesem engen Raume nicht ausgeführt werden (wie denn auch über sein früheres, zum Theil reichbewegtes Leben, z. B. über seinen Aufenthalt bei Frau von Staël, ja über den ganzen Menschen, auf die Biographie von Hitzig, so wie auf die Schilderung von Ampère in der Revue des deux mondes von 1840 verwiesen werden muß). Chamisso war ein Deutscher im vollsten Sinne des Wortes und doch dabei auch wieder ein liebenswürdiger Franzose, gleichwie sein ganzes Wesen eine merkwürdige Mischung von Mann und Kind, von Unbeholfenheit und Gewandtheit trug. Den Franzosen hatte er selbst sprachlich so wenig ausgezogen, daß er, der das Deutsche in seinen Versen mit wunderbarer Meisterschaft handhabte, in seinen Briefen die ergötzlichsten Gallicismen zum Besten gab, beim Zählen nach seiner Muttersprache greifen mußte, ja den Namen seines verehrten, geliebten Uhland nur in der ersten Hälfte deutsch, in der zweiten aber französisch (das nd dem bekannten nasalen ? opfernd) aussprach. (Für letztere Sünde hat sich denn wieder mancher biedere Deutsche unbewußt an ihm gerächt, indem er ihn mit besserer Gesinnung als Betonung „unsern Chamisso“ nannte.) Die Entstehung des „Peter Schlemihl“ erzählt K. Goedeke so. „Chamisso hatte auf einer Reise Hut, Mantelsack, Handschuhe, Schnupftuch und sein ganzes bewegliches Gut verloren. Fouquè fragte, ob er nicht auch seinen Schatten verloren habe. Sie malten sich das Unglück aus. Ein anderes Mal wurde in einem Buche von dem Romanschriftsteller Lafontaine geblättert, wo ein sehr gefälliger Mann Allerlei aus der Tasche zieht, was eben gefordert wird. Chamisso meinte, wenn man dem Kerl ein gutes Wort gäbe, würde er auch noch Pferde und Wagen aus der Tasche ziehen. Nun war der Schlemihl fertig“ - der, ebenfalls laut Goedeke, ein jüdisches Wort ist und Unstern, Pechvogel bedeutet. 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Den Franzosen hatte er selbst sprachlich so wenig ausgezogen, daß er, der das Deutsche in seinen Versen mit wunderbarer Meisterschaft handhabte, in seinen Briefen die ergötzlichsten Gallicismen zum Besten gab, beim Zählen nach seiner Muttersprache greifen mußte, ja den Namen seines verehrten, geliebten Uhland nur in der ersten Hälfte deutsch, in der zweiten aber französisch (das nd dem bekannten nasalen ? opfernd) aussprach. (Für letztere Sünde hat sich denn wieder mancher biedere Deutsche unbewußt an ihm gerächt, indem er ihn mit besserer Gesinnung als Betonung „unsern Chamisso“ nannte.)</p><lb/> <p>Die Entstehung des „Peter Schlemihl“ erzählt K. Goedeke so. „Chamisso hatte auf einer Reise Hut, Mantelsack, Handschuhe, Schnupftuch und sein ganzes bewegliches Gut verloren. Fouquè fragte, ob er nicht auch seinen Schatten verloren habe. Sie malten sich das Unglück aus. Ein anderes Mal wurde in einem Buche von dem Romanschriftsteller Lafontaine geblättert, wo ein sehr gefälliger Mann Allerlei aus der Tasche zieht, was eben gefordert wird. Chamisso meinte, wenn man dem Kerl ein gutes Wort gäbe, würde er auch noch Pferde und Wagen aus der Tasche ziehen. Nun war der Schlemihl fertig“ - der, ebenfalls laut Goedeke, ein jüdisches Wort ist und Unstern, Pechvogel bedeutet. Man sieht also, daß es sich ursprünglich um ein bloßes Spiel mit lustigen Einfällen handelte, und noch aus<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0007]
tionaldichter entwickelt und welche Verdienste er sich als Herausgeber des Musenalmanachs der dreißiger Jahre nebst Gustav Schwab um die deutsche Poesie und die deutsche Jugend erworben hat, das ruht in frischer Erinnerung und kann in diesem engen Raume nicht ausgeführt werden (wie denn auch über sein früheres, zum Theil reichbewegtes Leben, z. B. über seinen Aufenthalt bei Frau von Staël, ja über den ganzen Menschen, auf die Biographie von Hitzig, so wie auf die Schilderung von Ampère in der Revue des deux mondes von 1840 verwiesen werden muß). Chamisso war ein Deutscher im vollsten Sinne des Wortes und doch dabei auch wieder ein liebenswürdiger Franzose, gleichwie sein ganzes Wesen eine merkwürdige Mischung von Mann und Kind, von Unbeholfenheit und Gewandtheit trug. Den Franzosen hatte er selbst sprachlich so wenig ausgezogen, daß er, der das Deutsche in seinen Versen mit wunderbarer Meisterschaft handhabte, in seinen Briefen die ergötzlichsten Gallicismen zum Besten gab, beim Zählen nach seiner Muttersprache greifen mußte, ja den Namen seines verehrten, geliebten Uhland nur in der ersten Hälfte deutsch, in der zweiten aber französisch (das nd dem bekannten nasalen ? opfernd) aussprach. (Für letztere Sünde hat sich denn wieder mancher biedere Deutsche unbewußt an ihm gerächt, indem er ihn mit besserer Gesinnung als Betonung „unsern Chamisso“ nannte.)
Die Entstehung des „Peter Schlemihl“ erzählt K. Goedeke so. „Chamisso hatte auf einer Reise Hut, Mantelsack, Handschuhe, Schnupftuch und sein ganzes bewegliches Gut verloren. Fouquè fragte, ob er nicht auch seinen Schatten verloren habe. Sie malten sich das Unglück aus. Ein anderes Mal wurde in einem Buche von dem Romanschriftsteller Lafontaine geblättert, wo ein sehr gefälliger Mann Allerlei aus der Tasche zieht, was eben gefordert wird. Chamisso meinte, wenn man dem Kerl ein gutes Wort gäbe, würde er auch noch Pferde und Wagen aus der Tasche ziehen. Nun war der Schlemihl fertig“ - der, ebenfalls laut Goedeke, ein jüdisches Wort ist und Unstern, Pechvogel bedeutet. Man sieht also, daß es sich ursprünglich um ein bloßes Spiel mit lustigen Einfällen handelte, und noch aus
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